Einleitung
Individuelle körperliche, psychische, geistige und soziale Fähigkeiten sind wesentliche Basis für die Arbeitsfähigkeit. Lernen, Qualifizierung und Entwicklung sind Teil der Arbeitsgestaltung, ebenso wie fachliche Qualifikation, allgemeine Bildung, Können, Erfahrung und Sinnverständnis. Darüber hinaus sind auch der technologische und strukturelle Wandel der Berufsbilder, Anforderungen, Standards, Flexibilität und Weiterbildung Teil einer neuen Normalität im Arbeitsleben. Laufende Veränderungen der Gesellschaft, Arbeits- und Lebensumgebung, Organisationsstrukturen, der Umsetzungswerkzeuge, Arbeitsmittel sowie auch gesetzliche Regelungen werden und sind demnach permanent anzupassen.
Veränderungen gehen auch mit zeitlichen Ressourcen einher, somit muss sich das Management mit mehrfachen Belastungen befassen, um demnach Arbeit so zu gestalten, dass jede:r Einzelne, egal wie alt, keine entlang dem biopsychosozialen Paradigma gedachten gesundheitlichen Einschränkungen [6] erfährt.
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Eine sinnerfüllte Aufgabe ermöglicht Engagement und Leistung
Alter und Altern im betrieblichen Kontext berücksichtigt den Aspekt, dass mit dem Alter Fähigkeiten nicht per se abnehmen, sondern zunächst nur die Varianz zunimmt. Hinzu kommt, dass eine sinnerfüllte Aufgabe Engagement und Leistung ermöglicht, selbst wenn die Rahmenbedingungen frustrierend und demotivierend sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dauerhafte und unzureichende Rahmenbedingungen die Motivation und Belastbarkeit reduzieren. Wenn die Tätigkeit aber für den Einzelnen (und andere) eine Bedeutung hat, dann zieht das Sinnmotiv den Einzelnen und auch andere über Hindernisse und Entbehrungen hinweg [8]. Gerade dieses Sinnbedürfnis ist, sobald es zufriedengestellt wird, ein Motivator und die Basis für Belastbarkeit und Resilienz.
Das Potenzial der Beschäftigten steht dem Arbeitgeber und Unternehmen gegenüber, wo Leistungsfähigkeit erwartet wird. Die Gestaltung von Arbeitsplatz, Arbeitsinhalten, Arbeitsumgebung, -zeit, -organisation, soziale Rahmenbedingungen und soziale Kommunikation obliegen der Sorgfalt des Managements des Unternehmens.
Aufgrund der demografischen Entwicklung benötigt ein Betrieb die Betrachtung der alters- und alternsgerechten Arbeitsgestaltung, um die Arbeitsfähigkeit der Arbeitnehmer:innen langfristig zu erhalten. Das Altern setzt bereits in der Jugend ein, deshalb soll eine alternsgerechte Arbeitsgestaltung [9] schon bei lernenden Arbeitnehmer:innen beginnen. Mit dem Begriff der alternsgerechten Arbeitsgestaltung werden mögliche Veränderungen der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit berücksichtigt. Durch gezielte Maßnahmen werden die Arbeitsanforderungen dem geänderten Leistungsvermögen angepasst [10].
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Methodik
Auf Basis einer Literaturrecherche zu alternsgerechter Personalentwicklung und Bewertung von Arbeitsanforderungen nach Alternsgerechtigkeit, mittels Interviews und Arbeitsbeobachtungen anhand von Checklisten, wurde eine Arbeitsanforderungsmatrix verschiedener Arbeitsbereiche erstellt, welche alternskritische und alternsförderliche Aspekte der Tätigkeiten aufzeigt. Die Ergebnisse der Interviews und Beobachtungen wurden anschließend mit Expert:innen aus dem Arbeitnehmer:innenschutz und der Personalentwicklung reflektiert, um etwaige Rückschlüsse für eine Adaption der Funktionsbeschreibungen bzw. berufliche Entwicklungswege und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen. In Zukunft sollen einseitige Belastungen mit negativen, auch psychischen Beanspruchungsfolgen für Betroffene vermieden und altersbedingte unterschiedliche Potenziale und Bedürfnisse bei der Arbeitsgestaltung berücksichtigt werden.
Physische Aspekte werden oft durch soziale und fachliche Kompetenz ausgeglichen
Für die Bewertung der Arbeitsanforderungen nach alternsbezogenen Kriterien und Entwicklung der Matrix wurden primär mit der Checkliste nach Spirduso [4] drei Arbeitsanforderungsmerkmalgruppen erfasst: (1) Anforderung an Kompetenz und psychische Leistungsfähigkeit: Kommunikation, Verantwortung, Resilienz, Konzentrationsanforderungen, Umgang mit Risiko, Datenverarbeitung, (2) Merkmale des Arbeitsplatzes bzw. Arbeitsmittel: unnatürliche Arbeitspositionen, Anforderungen an das Gleichgewicht, Umgang mit Hilfsmitteln, (un)regelmäßige Pausengestaltung sowie (3) physische Anforderungen: Beleuchtung, Abwechslung von Hitze und Kälte.
Der Leitfaden zur Durchführung der strukturierten Kurzinterviews (leitfadengestützte Interviews) und für die teilnehmende Beobachtung (Arbeitsbeobachtung) wurde auf Basis der Checkliste erstellt und jeder der zehn Interviewpartner (ausschließlich Männer) wurde über Zielsetzung der Erhebung und die Vertraulichkeit persönlicher Ergebnisse mündlich aufgeklärt sowie eine Zustimmung eingeholt. Für Kurzinterviews im Rahmen der Arbeitsbeobachtungen wurden an jeder Abteilung zwei Termine mit den Führungskräften vereinbart, um wiederholt die Absicht der Beobachtungen zu erörtern. Im Rahmen der Arbeitsplatzbeobachtungen wurden die Interviews mit den Mitarbeitern durchgeführt.
Ergebnisse
Eine erste Betrachtung der Ergebnisse zeigt, dass physische Aspekte alternskritisch einzustufen sind. Oft werden diese durch soziale und fachliche Kompetenz ausgeglichen, was alternskritische Momente aus der Tätigkeit unter Umständen abfedern kann. Deswegen ist es wichtig, konkrete Erfahrungen und implizites Wissen zu erfassen. Älter sein bedeutet nicht automatisch erfahrener sein, jede Erfahrung benötigt einen strukturierten Reflexionsprozess, um einschätzen zu können, ob diese Erfahrung auch die Arbeitsfähigkeit nachhaltig fördert. Unreflektierte Erfahrungen können auch zu ungünstigen Routinen werden und mitunter gefährliche Situationen auslösen. Diese Erkenntnis ist daher aus Qualitätssicherungsgründen und für Mitarbeiter:innen aus Gesundheitsgründen für Unternehmen relevant. Wie bereits erwähnt, bedeutet „älter sein“ nicht per se, besser oder sicherer zu arbeiten, wenn diese Erfahrung nicht bewusst reflektiert wird.
Fallbeispiel
Im nachfolgenden Beispiel wird dargelegt und verdeutlicht, wie Arbeit vom Individuum gelebt werden kann und wie die oben genannten Bedeutungen zueinander in Zusammenhang stehen:
Herr A. (56 Jahre), in dessen Zuständigkeit die Betriebsführung einer veralteten, nach physikalischen Gesetzen funktionierenden Förderanlage gehört, übt seinen Beruf mit spezieller Qualifikation erwerbstätig aus. Durch seine spezielle Fähigkeit und bewusste kreative Tätigkeit schafft er ein Werk (Patent einer neuen technischen Komponente). Er erfüllt seine Arbeit plan- und zweckmäßig. Jedenfalls findet er in der Sinnerfüllung seiner Arbeit einen wichtigen Motivations- und Resilienzfaktor.
Der technologische und strukturelle Wandel braucht Anpassung und Reflexionsprozesse
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Dieses Beispiel verdeutlicht, dass der technologische und strukturelle Wandel Anpassung und Reflexionsprozesse braucht. Veränderungen gehen auch mit zeitlichen Ressourcen einher, somit muss sich das Management mit mehrfachen Belastungen befassen, um demnach Arbeit so zu gestalten, dass jede:r Einzelne, egal wie alt, keine gesundheitlichen Einschränkungen erfährt und kreative Prozesse gefördert werden können.
Die Betrachtungsweise kann beispielsweise chronologisches Alter (gesellschaftliche Werte), biologisches Alter (Kinder), psychologisches Alter (Lebensstile), funktionales Alter (gemessen an Leistungskriterien), organisationales Alter (Zugehörigkeitsdauer) und subjektives Alter umfassen [1].
Diskussion
Ziel dieser Studie war es, mittels Interviewdaten Einblick in ein gelingendes Generationenmanagement, zielgerichtete Erhebungen, Auswertungen, Maßnahmenableitungen und Evaluation zu initiieren. Die Untersuchung beschäftigte sich mit explorativen Analysen, in denen sich die psychischen Belastungen abbildeten, um die daraus abgeleiteten Verbesserungsmaßnahmen auf die Arbeitsfähigkeit von Mitarbeiter:innen alternsgerecht zu fokussieren.
Die aktuelle wissenschaftliche Diskussion im Bereich der Arbeitsfähigkeit befasst sich immer mehr mit den Fragen des körperlichen und psychischen Wohlbefindens im gesamten Arbeitszyklus. Dabei geht es darum, welche Interventionen, für welche Subgruppe, wie wirksam sind, wobei die Diskussion nicht nur an Defiziten, sondern auch an differenzierteren Funktionen (Funktionsebenen) festgemacht werden sollte.
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Arbeitsfähigkeit sollte auch an differenzierteren Funktionen (Funktionsebenen) festgemacht werden
Das Defizitmodell (vgl. PINA-Orientierungshilfe [5]) wurde in der Folge durch das Kompetenzmodell abgelöst, allerdings ist auch dieser Begriff nicht ideal. Denn eine gesicherte Erkenntnis ist nur, dass sich die Unterschiede in den Fähigkeiten und Kompetenzen zwischen einzelnen Individuen unterscheiden und damit auch die Streuung vergrößern. Gesundheitszustand und Leistungsfähigkeit weisen dadurch bei älteren Beschäftigten eine größere Bandbreite auf als bei Jüngeren.
Fragen der konkreten Intervention sind aktuell kaum durch Leitlinien geregelt. Dennoch kommt der subjektiven Einschätzung der Arbeitsfähigkeit gerade im interdisziplinären Betreuungsfeld Bedeutung zu, und für die Ableitung von Maßnahmen, welche die Verbesserung der Arbeitsfähigkeit ermöglichen, werden validierte Befragungsinstrumente (z. B.: Work Ability Index [3], W‑A‑I Plus™, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund/Berlin/Dresden) angeboten.
Im „Training along the Job“ kommt wie im „Training off the Job“ der interprofessionellen Zusammenarbeit besondere Bedeutung zu [7]. Dabei werden Maßnahmen wie Karriereplanung, Coaching, Mentoring, Förderkreis und Erfahrungsaustausch (in Peergruppen) angewendet [2]. Diese sollten auch psychisches Funktionieren inkludieren sowie frühzeitig, niederschwellig, systematisch und über einen längeren Zeitraum angeboten werden.
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Fazit für die Praxis
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Die Durchführung von alternsgerechten Arbeitsfähigkeitsuntersuchungen sollte regelmäßig auch bei psychischem Leiden und niederschwellig erfolgen.
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Praxisnahe Begleitforschung zur Indikation und Durchführung alternsgerechter Maßnahmen sollte in möglichst vielen Einrichtungen durchgeführt und gefördert werden.
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Durch Funktionsbeschreibungen erhalten die Mitarbeitenden einen größeren Handlungsspielraum sowie die Verantwortung für die Zusammenarbeit und letztlich Entwicklungsperspektiven.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
E. Bieber, R. Crevenna und H. Löffler-Stastka geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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