Einführung
Das Konstrukt der Resilienz, also der seelischen Widerstandskraft, hat in den letzten Jahren in deutlicher Weise Einzug in den Fachdiskurs – und die Forschung – in den Human- und Gesundheitswissenschaften gefunden. Zur Übertragung der Resilienzperspektive auf das Feld der Psychotherapie bestehen einige konzeptionelle Überlegungen (z. B. Schär und Steinebach 2015; Rönnau-Böse und Fröhlich-Gildhoff 2015b); dieser Beitrag soll diese vertiefen und anhand konkreter Praxisbeispiele verdeutlichen. Dazu werden zunächst Definitionen und Erkenntnisse der Resilienzforschung vorgestellt und diese dann in Relation zum Personzentrierten Ansatz sowie zu therapieschulenübergreifenden Grundprinzipien der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie gesetzt. In einem weiteren Schritt werden dann Möglichkeiten der Resilienzförderung in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie anhand von Beispielen bzw. Fallvignetten verdeutlicht.
Resilienz – Definition und Faktoren
Aus der Vielzahl von Definitionen von Resilienz wird die von Welter-Enderlin & Hildenbrandt am ehesten einer entwicklungspsychologischen Perspektive gerecht: „Unter Resilienz wird die Fähigkeit von Menschen verstanden, Krisen im Lebenszyklus unter Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zu meistern und als Anlass für Entwicklung zu nutzen“ (Welter-Enderlin und Hildenbrandt 2006, S. 13).
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In einer weitergefassten Definition wird Resilienz als eine Kompetenz verstanden, die sich aus verschiedenen Einzelfähigkeiten (den Resilienzfaktoren, siehe unten) zusammensetzt (vgl. z. B. Rönnau-Böse und Fröhlich-Gildhoff 2012). Diese Kompetenzen sind nicht nur relevant für Krisensituationen, sondern auch notwendig um z. B. Entwicklungsaufgaben und weniger kritische Alltagssituationen zu bewältigen. Die Einzelkompetenzen entwickeln sich im Verlauf der Lebensgeschichte in verschiedensten Situationen, werden unter Belastung aktiviert und manifestieren sich dann als Resilienz. Fingerle (2011) verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff des „Bewältigungskapitals“: „Über Bewältigungskapital zu verfügen bedeutet, Ressourcen zu identifizieren, zu nutzen und über sie zu reflektieren, um eigene Ziele zu erreichen, das eigene Potential von Problemen und Krisen weiter zu entwickeln und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen“ (ebd., S. 213).
Inzwischen hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass unter Resilienz keine angeborene Eigenschaft oder einmal erlernte Fähigkeit verstanden wird, sondern der Begriff dynamisch und flexibel aufgefasst werden muss. Resilienz kann nicht einmal erworben und dann für immer behalten werden, sondern verändert sich im Laufe des Lebens eines Menschen – abhängig von den Erfahrungen und Ereignissen (vgl. Opp und Fingerle 2008; Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse 2014), die bei der Bewältigung von Krisen und Herausforderungen gemacht werden.
Als stabilster Prädiktor für eine resiliente Entwicklung wurde eine unterstützende und zugewandte Beziehung identifiziert. Die Bedeutung dieses Schutzfaktors wird so konsistent in allen Studien hervorgehoben, dass Luthar (2006, S. 780) in ihrer Synthese der letzten Jahrzehnte der Resilienzforschung konstatiert: „Resilience rest fundamentally on relationship“. Dass Resilienz also letztendlich immer von Beziehungen abhängt, wird nicht nur von der Resilienzforschung vertreten, sondern auch von vielen anderen Forschungsrichtungen, wie der Entwicklungspsychologie (z. B. Dornes 2009), der Psychotherapieforschung (z. B. Grawe et al. 2001) und der Bindungsforschung (z. B. Grossmann und Grossmann 2007). Insbesondere die Bedeutung von sogenannten kompensatorischen Beziehungen, also z. B. Fürsorgepersonen aus dem erweiterten Familienkreis, Freunde, (Ehe‑)Partner oder pädagogische/pflegerische Fachkräfte, wird immer wieder betont. Es zeigt sich, dass es nicht entscheidend ist, zu wem diese Beziehung besteht, sondern wie diese Beziehung gestaltet ist, damit sie sich positiv auswirkt. Die Bezugsperson sollte:
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konstant verfügbar sein,
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ein Gefühl von Sicherheit vermitteln,
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feinfühlig auf die Bedürfnisse eingehen können,
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wertschätzend sein, Vertrauen und Unterstützung bieten,
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das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen stärken (vgl. Bengel et al. 2009),
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eine optimistische Grundhaltung vermitteln,
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herausfordernde, jedoch bewältigbare Anforderungen stellen und dabei individuell-passgenaue Unterstützung anbieten,
Neben diesem Schutzfaktor, der am stärksten zu einer gelingenden, seelisch gesunden Entwicklung beiträgt, können aus Langzeitstudien sechs zentrale personale Kompetenzen als Resilienzfaktoren identifiziert werden (Rönnau-Böse 2013): Angemessene Selbst- und Fremdwahrnehmung, positive Selbstwirksamkeitserwartungen, soziale Kompetenz, Selbstregulations/-steuerungsfähigkeiten, Problemlösefähigkeiten sowie generelle aktive Bewältigungskompetenzen in Anforderungs- und Krisensituationen (Abb. 1).
1.
Selbst- und Fremdwahrnehmung
Selbstwahrnehmung umfasst vor allem die ganzheitliche und adäquate Wahrnehmung der eigenen Emotionen, Handlungen und Gedanken. Gleichzeitig spielt die Selbstreflexion eine Rolle, d. h. die Fähigkeit, sich zu sich selbst in Beziehung setzen zu können. Fremdwahrnehmung meint die Fähigkeit, andere Personen und ihre Gefühlszustände angemessen und möglichst ‚richtig‘ wahrzunehmen bzw. einzuschätzen und sich in deren Sicht- und Denkweise versetzen zu können.
2.
Selbstregulation
Sich selbst regulieren zu können, umfasst die Fähigkeit, eigene innere Zustände, also hauptsächlich Gefühle und Spannungszustände herzustellen und aufrecht zu erhalten und deren Intensität und Dauer selbständig zu beeinflussen bzw. kontrollieren zu können – und damit auch die begleitenden physiologischen Prozesse und Verhaltensweisen zu regulieren. Dazu gehört bspw. das Wissen, welche Strategien zur Selbstberuhigung und Handlungsalternativen es gibt und welche individuell wirkungsvoll sind.
3.
Selbstwirksamkeit
Selbstwirksamkeit ist vor allem das grundlegende Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten sowie die Überzeugung, ein bestimmtes Ziel auch durch Überwindung von Hindernissen erreichen zu können. Eine große Bedeutung haben dabei die Erwartungen, ob das eigene Handeln zu Wirkungen (und Erfolgen) führt oder nicht. Diese Erwartungen steuern schon im Vorhinein das Herangehen an Situationen und Aufgaben, damit auch die Art und Weise der Bewältigung, und führen so oftmals zu einer Bestätigung des eigenen Selbstwirksamkeitserlebens. Selbstwirksame Kinder und Erwachsene haben auch eher das Gefühl, Situationen beeinflussen zu können (sog. internale Kontrollüberzeugungen) und können die Ereignisse auf ihre wirkliche Ursache hin realistisch beziehen (realistischer Attributionsstil).
4.
Soziale Kompetenz
Soziale Kompetenz umfasst die Fähigkeit, im Umgang mit anderen soziale Situationen einschätzen und adäquate Verhaltensweisen zeigen zu können, sich emphatisch in andere Menschen einzufühlen sowie sich selbst behaupten und Konflikte angemessen lösen zu können. Es geht aber auch darum, auf andere Menschen aktiv und angemessen zugehen zu können, Kontakt aufzunehmen sowie zwischenmenschliche Kommunikation aufrecht zu erhalten und adäquat zu beenden. Des Weiteren zählt zur sozialen Kompetenz die Fähigkeit, sich soziale Unterstützung zu holen, wenn dies nötig ist.
5.
Aktive Bewältigungskompetenzen
Menschen empfinden den Charakter von belastenden und/oder herausfordernden, als „stressig“ erlebten Situationen unterschiedlich. Es geht darum zu lernen, solche Situationen angemessen einschätzen, bewerten und reflektieren zu können – um dann die eigenen Fähigkeiten in wirkungsvoller Weise zu aktivieren und umzusetzen, um die Stress-Situation zu bewältigen. Bedeutsam für den Umgang mit Stress ist dabei, das aktive Zugehen auf solche Situationen und das aktive wie angemessene Einsetzen von Bewältigungsstrategien. Zum adäquaten Umgang mit Stress gehört allerdings ebenfalls das Kennen der eigenen Grenzen und Kompetenzen – und die Fähigkeit, sich (dann) soziale Unterstützung zu holen.
6.
Problemlösen
Unter Problemlösen wird die Fähigkeit verstanden, „komplexe, … nicht eindeutig zuzuordnende Sachverhalte gedanklich zu durchdringen und zu verstehen, um dann unter Rückgriff auf vorhandenes Wissen Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln, zu bewerten und erfolgreich umzusetzen“ (Leutner et al. 2005, S. 125). Dabei ist es wichtig, systematisch vorzugehen und dabei das jeweilige Problem zu analysieren, Lösungsmöglichkeiten, -mittel und -wege abzuwägen und dann gleichfalls systematisch auszuprobieren. Dabei können unterschiedliche Problemlösestrategien – z. B. eine sorgfältige Ziel-/Mittelanalyse – angewandt werden.
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Auf Grundlage dieser Faktoren ist es möglich, Förderstrategien zu entwickeln und die Forschungsergebnisse für die Praxis nutzbar zu machen. Allerdings besteht inzwischen immer mehr Konsens darüber, dass eine einseitige Fokussierung auf die personalen Schutzfaktoren bei der Resilienzförderung nicht ausreicht (vgl. Fingerle 2011; Ungar et al. 2013). Eine ganzheitliche sowie nachhaltige Unterstützung muss sowohl personale als auch soziale Ressourcen berücksichtigen, da soziale Faktoren einen großen Beitrag dazu leisten, wie und ob personale Ressourcen als solche erkannt und genutzt werden können (vgl. Fingerle 2011). Dies unterstützt wieder die große Bedeutung von (kompensatorischen) Bezugspersonen und eines gelingenden Beziehungsaufbaus.
Allgemeine Parallelen zwischen der Personzentrierten Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie und dem Resilienzansatz
Das Resilienzkonzept weist eine Reihe von Parallelen zum Personzentrierten Ansatz (PCA) (Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse 2009; Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff 2015a) auf1:
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Die Beziehung ist ist nicht nur der der wichtigster Schutzfaktor zur Entwicklung von Resilienz (s. oben). Auch im PCA wird die Beziehungs(gestaltung) zwischen TherapeutIn und PatientIn, allgemeiner: zwischen zwei Menschen, als bedeutendste (Wirk)variable, als „das zentrale Element von Beratung und Therapie“ (Weinberger 2013, S. 29; Hervorh. im Original) gesehen. Rogers selbst hat als erste Bedingung, damit sich ein therapeutischer Prozess entwickelt, formuliert: „Zwei Personen befinden sich im Kontakt“ und zwar so, „dass es sich um eine echte Beziehung zweier Personen handelt, in der beide nach besten Kräften bemüht sind, in der Interaktion sie selbst zu sein“ (1959/1987, S. 40 f.).
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Beide Ansätze gehen vom Paradigma des Kindes als aktivem Mitgestalter und Bewältiger seines Lebens aus. Dabei wird in beiden Ansätzen davon ausgegangen, dass das Kind Stärken und Ressourcen mitbringt, auf die es zurückgreifen kann und die gefördert werden können. Diese Förderung des individuellen Wachstums entspricht der Förderung der Aktualisierungstendenz und wird dem Entwicklungsprinzip gerecht. Schmid (2008) verweist darauf, dass im Sinne Rogers die Aktualisierungstendenz allerdings immer auch eine Beziehungsdimension hat: „die Tendenz zur Aktualisierung ist […] ein Potenzial über das jeder Mensch ‚in sich‘ verfügt, das aber der Beziehung bedarf um wirksam zu werden“ (ebd. S. 126). Behr (1989) überträgt die grundlegenden Annahmen des Personzentrierten Ansatzes auf Bildungsprozesse: „Kinder lernen und entwickeln sich aus sich selbst heraus am besten – sie benötigen dazu nicht Lenkung, sondern viel eher förderliche Bedingungen, insbesondere nicht dirigierende Beziehungsangebote von Erwachsenen“ (ebd., S. 152).
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PCA und Resilienzforschung fokussieren die Förderung und Aktivierung der Schutzfaktoren und der personalen wie sozialen Ressourcen. Die Ressourcenorientierung hat in einer Vielzahl von Publikationen der letzten Jahre im Rahmen der Personzentrierten Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie besondere Beachtung gefunden – dabei geht es nicht nur darum über die Ressourcenorientierung und -aktivierung eine Beziehung aufzubauen, sondern eben gezielt die blockierte Aktualisierungstendenz über den Ressourcenansatz zu verlebendigen (vgl. Weinberger 2013; Behr et al. 2014). So formulieren Stumm und Keil (2014, S. 4): „Es ist aber Markenzeichen der personzentrierten Haltung, unter die Oberfläche zu gelangen bzw. hinter die Kulissen zu blicken und dort nach den unentwickelten Potentialen, nach nicht geborgenen Schätzen und nach Ressourcen zu suchen“.
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Die Entwicklung des Selbst-Konzepts ist im Zusammenhang mit der Selbstaktualisierungstendenz im PCA mehrfach untersucht worden. Dabei geht es insbesondere um die bedingungslose Wertschätzung und Akzeptanz des Kindes und die adäquate Spiegelung seiner Emotionen, um eine (möglichst) unverzerrte Symbolisierung von Erfahrungen und somit eine kongruente Selbst-Entwicklung zu ermöglichen (z. B. Rogers 1959/1987; Weinberger 2013; Biermann-Rathjen 2002). Auch in der Resilienzforschung werden ein starker Selbstwert, positive Selbstwirksamkeitserfahrungen und eine adäquate Selbst- (und Fremd-) Wahrnehmung als bedeutende Schutzfaktoren angesehen.
Allerdings ist die Förderung der Resilienz daran gebunden, dass die Resilienzfaktoren spezifisch fokussiert werden – hier gibt es Unterschiede zum „alten“ Konzept eines non-direktiven Vorgehens (z. B. Axline 1974).
Resilienzfokussierte Kinder- (und Jugendlichen-)Psychotherapie
Wirkfaktoren in der (Kinder- und Jugendlichen-) Psychotherapie aus therapieschulenübergreifender Perspektive
In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich die Forschung zur Wirksamkeit einzelner Therapieformen, aber auch zu wirksamen Faktoren sehr verstärkt. Die wichtigsten Ergebnisse lassen sich aus einer therapieschulenübergreifenden Perspektive wie folgt zusammenfassen:
1.
Die Bedeutung der Therapiebeziehung
Die Beziehung zwischen TherapeutIn und PatientIn wird in der empirischen Psychotherapieforschung übereinstimmend seit etwa 20 Jahren als die zentrale Variable für das Therapieergebnis angesehen: „Wenn man alle je untersuchten Zusammenhänge zwischen bestimmten Aspekten des Therapiegeschehens und dem Therapieergebnis zusammennimmt, dann sind Aspekte des Beziehungsgeschehens diejenigen Merkmale des Therapieprozesses, deren Einfluss auf das Therapieergebnis am besten gesichert ist“ (Grawe et al. 1994, S. 775; ebenso: Orlinsky et al. 1994). „Die Therapiebeziehung ist … zunächst einmal das zentrale Mittel, das positive Potential des Patienten zu aktivieren“ (Grawe und Fliegel 2005, S. 691).
In der Zusammenstellung von Ergebnissen der vergleichenden Psychotherapieforschung von Strauß (2008) zeigt sich, dass nur 10 % der Ergebnisvarianz in der Psychotherapie auf die jeweilige therapeutische Technik entfallen, 30 % auf die Qualität der Beziehung und 40 % auf extra-therapeutische Veränderungen (die allerdings, wie z. B. im Falle einer für den Patienten entwicklungsförderlichen Trennung, mit Therapieprozessen konfundieren können).
Auf diesem Hintergrund ist die Frage nach der ‚richtigen‘ oder ‚wirkungsvollsten‘ Technik oder Methode zunächst zurückzustellen und es geht um ‚dahinter‘ liegende Fragen, nämlich: Wie sieht eine gute, gelingende Beziehungsgestaltung aus?
In therapeutischen Prozessen muss daher das Beziehungsangebot so gestaltet sein, dass neue, „emotional korrigierende (Beziehungs‑)Erfahrungen“ (Cremerius 1979) bzw. „korrektive Erfahrungen“ (Grawe 1998) ermöglicht werden und so eine Chance zum ‚Umbau‘ innerseelischer Strukturen oder Schemata – und der entsprechenden neurobiologischen Grundlagen (vgl. z. B. Grawe 2004) – gegeben ist.
2.
Die Passung
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Ein wichtiger Faktor bei der Planung wie der Reflexion von Therapieprozessen ist die „Passung“ zwischen TherapeutIn und PatientIn. Orlinsky und Howard (1987) haben versucht, diesen komplexen Prozess genauer in Kategorien zu fassen und unterscheiden die Passung zwischen (a) Behandlungsmodell und Störungsmodell, (b) PatientIn und Behandlungsmodell, (c) TherapeutIn und PatientIn sowie (d) TherapeutIn und Störung des/der PatientIn. Zwischen diesen Ebenen bestehen vielfältige Wechselwirkungen.
Letztlich – und das ist eine große Herausforderung – geht es um eine „passgenaue“ Begegnung von Person zu Person, die ein sehr hohes Maß an Selbstreflexivität des/der TherapeutIn ebenso erfordert wie ein Reflektieren des Therapieprozesses auf einer Meta-Ebene. Erst ‚danach‘ ist es sinnvoll, über einen Einsatz von spezifischen Techniken nachzudenken.
3.
Therapieschulenübergreifende wirksame Interventionen
Aus der Metaanalyse von Erwachsenen-Therapievergleichs- und Effektivitätsstudien entwickelte die Arbeitsgruppe um Grawe (1994, 1998, 2004) das Konzept der schulenübergreifenden Wirkfaktoren. Neben der besonderen Bedeutung der therapeutischen Beziehung konnten in Psychotherapien mit Erwachsenen vier Wirkfaktoren identifiziert werden:
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Ressourcenaktivierung, also das Erkennen, Ansprechen und gezielte Unterstützen vorhandener Fähigkeiten, Interessen etc. der PatientIn
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Hilfe zur Problembewältigung, das konkrete Analysieren von Problemen der PatientIn sowie das Bearbeiten, ggfls. auch Erproben von Problemlösungen
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Klärung – hiermit ist die Unterstützung des Selbstverstehens der PatientIn gemeint, auch die Bearbeitung unbewusster Prozesse
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Prozessuale Aktivierung bedeutet eine Neu-Aktivierung festgefahrener kognitiv-emotionaler Schemata durch die reflexive Gestaltung neuer Beziehungserfahrungen oder spezifische erlebnisaktivierende Methoden.
Dieses Modell der Wirkfaktoren kann als Orientierung für eine Analyse therapeutischer Prozesse dienen.
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Die Einbeziehung der Resilienzperspektive stellt eine bedeutende Erweiterung dar.
Die Resilienzperspektive im therapeutischen Prozess
Die Verwirklichung der Resilienzperspektive bedeutet, die Lebensäußerungen der jungen PatientInnen und deren Entwicklungsprozess, das Beziehungsgeschehen und damit auch die spezifischen Interventionen nach den Kriterien der Verwirklichung einer resilienzförderlichen Beziehungsgestaltung und dem gezielten Beachten und „Ansprechen“ der Resilienzfaktoren zu analysieren und zu reflektieren – und dann die konkreten Interventionen dementsprechend abzustimmen. Der Resilienzansatz kann also eine „Hintergrundfolie“ darstellen, auf der psychotherapeutische Begegnung und psychotherapeutisches Handeln bzw. Interventionen (neu) betrachtet werden können:
Das Interventionsmodell in der therapeutischen Situation (Fröhlich-Gildhoff 2011) wird erweitert um die Ebene der Resilienzfaktoren (Abb. 2):
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Bezugspunkte für die Intervention sind die jeweilige aktuelle Situation („Hier und Jetzt“) und die „Lebensthematik“ (die Inkongruenzen bzw. intrapsychischen Konflikte, die bisherigen zentralen Beziehungserfahrungen, die Ressourcen und Bewältigungsformen usw.).
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Handlungsebene: Das Beobachtete wird beschrieben. Verbalisierungen des Geschehens auf der Handlungsebene machen einen großen Teil der Interventionen aus. Die Kinder werden „gespiegelt“; damit wird ressourcenorientiert an frühe positive Interaktionserfahrungen angeknüpft.
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Emotionale Ebene: Die – vielleicht auch nur latent – gezeigten Emotionen werden verbalisiert. Auch auf dieser Ebene hat das Spiegeln an sich eine große Bedeutung. Das Kind kann sich jetzt damit auseinandersetzen.
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Ebene der Resilienzfaktoren: Die sechs Resilienzfaktoren werden gezielt fokussiert und auf Handlungs- wie verbaler Ebene ‚angesprochen‘.
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Ebene der handlungsleitenden innerpsychischen Struktur: Hier kann der Bezug zum „Lebensthema“ bzw. den „handlungsleitenden Kognitionen“ (Kognitive Verhaltenstherapie) oder dem „internal working model“ (Bindungstheorie) – hergestellt werden. Es kann „Klärung“ im Sinne des Grawe’schen Wirkfaktors (Grawe 1998) stattfinden; solche Interventionen setzen präzise Kenntnisse der Geschichte des Kindes und seiner Lebensbewegungen voraus.
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Beziehungsebene: Auf der Basis gewachsenen Vertrauens kann das Geschehen auf der Ebene der Realbeziehung, aber auch der Übertragungsbeziehung angesprochen werden.
Diese oder ähnliche Interventionsebenen lassen sich überwiegend auch in der Jugendlichen- und Erwachsenentherapie beschreiben – in der Kindertherapie werden sie jedoch nicht nur auf verbaler, sondern ebenso auf symbolischer, also auf der Spielebene realisiert.
Es muss zudem betont werden, dass es die richtige bzw. in ihrer Absolutheit perfekte Intervention an sich nicht gibt. Das Handeln des/der TherapeutIn ist immer auf das jeweilige Kind bezogen, eben auf die Person zentriert. Auf welcher Ebene die Intervention erfolgt, ist vor allem vom Entwicklungsstand des Kindes und vom Stand des therapeutischen Prozesses abhängig.
Das zentrale Medium in Kindertherapien ist das Spiel (vgl. besonders Weinberger 2013). KinderpsychotherapeutInnen müssen daher immer „Übersetzungsarbeit“ leisten: Sie müssen das Kind in seiner spielerischen, symbolhaften Sprache verstehen und ‚einordnen‘ und dann wieder verbal oder auf der Spielebene antworten. Das „Übersetzen ist oft gleichbedeutend mit einer Transformation unbewusster Inhalte in Bewusstes, es trägt somit auch zur besseren Verankerung neuer Erfahrungsinhalte bei. Der Therapeut bewegt sich also immer auf zwei Ebenen gleichzeitig: einmal auf der Realebene, zum andern auf der Spiel- bzw. Symbolebene. Damit verbunden sind auch mehrere Rollen: Der Therapeut ist einerseits ein in der Realität verankerter Erwachsener, der Orientierung bietet, er ist aber auch immer Spielpartner bzw. Mithandelnder auf der Symbolebene“ (Fröhlich-Gildhoff et al. 2004, S. 179). Im Folgenden wird erläutert, wie in der therapeutischen (Spiel)Situation die Resilienzperspektive eingebracht wird.
Konkrete resilienzförderliche Interventionen
Die Kinder- und Jugendlichentherapie birgt ein großes Potential in sich, resilienzfördernd zu wirken. Das Erleben einer sicheren, haltgebenden, emotional warmen, zugewandten Beziehung erfüllt kompensatorische Bedingungen und das Kind kann als Regisseur der Spielsituation Kontrollerfahrungen machen. Das Konzept der Resilienz kann dabei eine erweiterte Sichtweise eröffnen, mit der psychotherapeutisches Handeln bzw. Interventionen betrachtet werden. Mit dieser „Resilienzbrille“ können an verschiedenen Stellen im Therapieprozess neue Impulse gesetzt werden, um die Weiterentwicklung einzelner personaler Kompetenzen zu fokussieren und somit zu unterstützen. Dafür ist z. T. ein gezielteres und differenziertes Ansprechen der jeweiligen Faktoren notwendig, um eine Verankerung und Spiegelung der Kompetenzentwicklung zu gewährleisten. Dies ist nicht in allen Phasen im Therapieprozess angemessen, d. h. die Resilienzfaktoren stehen nicht immer im Vordergrund, sondern das Resilienzkonzept dient vielmehr als „Hintergrundfolie“, welches in bestimmten Therapiephasen verstärkte Ansatzpunkte zur gezielteren Entwicklungsförderung bietet.
Im Rahmen eines Praxisforschungsprojekts zu „Wirkfaktoren in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie“2 wurde untersucht, ob und wie sich die zentralen Ergebnisse der Resilienzforschung auch in (personzentrierten) Kinderpsychotherapien identifizieren und möglicherweise weiter nutzen lassen können. Aus dieser Analyse wurde der Versuch unternommen, den jeweiligen Resilienzfaktoren spezifische Begegnungsparameter des personzentrierten Handelns zuzuordnen und differenzierte Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
Im Folgenden wird zunächst jeweils anhand der sechs Resilienzfaktoren erläutert, wie deren Einbezug in den psychotherapeutischen Prozess gelingen kann; dies wird durch einige kurze Beispiele verdeutlicht. Anschließend werden diese Handlungsmöglichkeiten anhand des Transkripts aus einem Therapieprozess konkretisiert.
Das Fokussieren der sechs Resilienzfaktoren im Therapieprozess
Selbst- und Fremdwahrnehmung.
Um eigene Gefühle wahrnehmen und differenzieren – und damit intrapsychisch repräsentieren – zu können, wird in der Therapie das klassische Spiegeln, sowohl auf der verbalen, präverbalen und non-verbalen Ebene eingesetzt. Dabei werden unterschiedliche Gefühlswahrnehmungen rückgemeldet. Dies erfolgt entweder anhand der „Übersetzung“ von Lautäußerungen oder der Verwendung von Symbolen und Bildern. Konkretes Nachfragen, wie z. B. „bist du jetzt wütend oder traurig“ verhilft dem Kind zu einem klareren Bild über seine Gefühlszustände und damit letztendlich zu einer verbesserten Selbstwahrnehmung. Diese Wahrnehmung muss dann in Bezug zur Fremdeinschätzung gesetzt werden, um ein angemessenes Selbstkonzept entwickeln zu können. Auch hierfür können Nachfragen unterstützen, wie z. B. „wie siehst du dich?“ und Spiegeln bzw. Verdeutlichen der gezeigten Mimik und Gestik. Um die eigene Wahrnehmung einordnen zu können und zur richtigen Interpretation dieser kann es sich als hilfreich erweisen, wenn die (möglichen) verschiedenen Wahrnehmungen miteinander verglichen und eingesetzte Kommunikationsstrategien reflektiert werden. Diese Reflexion kann sowohl auf der verbalen als auch auf der Spielebene erfolgen.
Beispiel.
Im Rollenspiel ist die sechsjährige Katja, die sich wegen einer Bindungs- und Impulskontrollstörung in der Spielpsychotherapie befindet, eine kleine Katze, die „kläglich“ miaut. Der Therapeut antwortet zunächst im gleichen Modus – spiegelt die Äußerungen des Kindes. Das Miauen von Katja wird stärker, der Th. moduliert dieses leicht nach unten – im Sinne von Beruhigung – und bietet Katja-Katze an: „die Katze ruft nach ihrer Mama“. Die kleine Katze strahlt, miaut zielgerichteter, etwas beruhigter. Der Th. antwortet wieder miauend in einem etwas ruhigeren Modus … In dieser Szene erfährt das Kind eine Spiegelung seiner – möglicherweise auch mit Verlassenseinserfahrungen verbundenen – Gefühle, dies trägt zum Selbst-Erfahren bei. Zugleich bietet der Th. eine mögliche Erklärung an (Fremdwahrnehmung, „ich habe Dich verstanden“) und Bewältigungsmöglichkeiten (Beruhigung) an. Das Kind macht die Erfahrung: Es ist – jetzt! – jemand da, der mich versteht, der bei mir ist und mir co-regulativ Bewältigungsmöglichkeiten anbietet.
Selbststeuerung.
Die Regulation verschiedener Erregungszustände unterstützt die Therapeutenperson durch Bewusstmachen der jeweiligen Erregung. Das Kind wird angeregt innezuhalten und die Erregung zu spüren. Indem er/sie diesen Prozess prä- oder nonverbal begleitet, werden gleichzeitig Gefühlszustände bewusst gemacht und bei Bedarf co-reguliert. Diese Co-Regulation kann entweder durch ganz konkrete Unterstützung im Spiel geschehen, wie z. B. das Markieren von Grenzen mittels Matratzen oder Bauklötzen oder auch präverbal, indem die Therapeutenperson mit ihrer Stimme entweder leiser (bei Übererregung) oder lauter (bei Zurückhaltung) als das Kind antwortet. Dabei kann es helfen, mit dem Kind gemeinsam mögliche Ressourcen und Aktivierungsstrategien ausfindig zu machen, die es bei der Selbstregulation unterstützen. Das können Ressourcen auf der personalen aber auch auf der sozialen Ebene sein. Bei besonders starker Erregung bieten zusätzliche klare Strukturen, wie „Eieruhren“, räumliche Begrenzungen (Raumteiler) und Symbole (z. B. Stoppzeichen) Filtermöglichkeiten. Auch kleine Schritte in der Selbstmotivation sollten gespiegelt und positiv rückgemeldet werden.
Beispiel.
Der elfjährige Jonas zeigt zunehmende Symptome einer Zwangsstörung. Im Tischfußballspiel in der Kinderpsychotherapie ist ihm die Einhaltung der Regeln wichtig, zugleich möchte er unbedingt gewinnen. Seine Gefühle – Ärger über Gegentore, Freude über eigene Erfolge, „Ehrgeiz“ – hält er allerdings sehr stark unter Kontrolle und wirkt dabei „verbissen“. Der Th. spricht dies an („Es kommt mir so vor, als würdest Du Dich richtig über Dein Tor freuen wollen, aber es gelingt dir nicht so recht“), merkt allerdings, dass Jonas dann eher noch stärker emotional erstarrt wirkt. Dann wird der Th. in seinen Gefühlsäußerungen „aktiver“, zeigt deutlich Ärger etc. und wirkt dabei als Vorbild und/oder Stellvertreter. Nun kann sich auch Jonas mit kleinen Schritten aus der „Erstarrung“ lösen, seine Fußballfiguren anfeuern, dann auch selbst einen Luftsprung bei einem eigenen Tor machen. Nach 30 min ist zu beobachten, dass Jonas „heimlich“ die Regeln für sich ändert, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Die vorsichtige, kleinschrittige Gefühls „öffnung“ des Th. hilft dem Jungen, die eigenen Gefühlsblockaden – ebenfalls in Etappen – im Spiel abzubauen. Mit vorsichtigen verbalen Rückmeldungen („du machst jetzt einen richtigen Freudensprung“) kann dieser Prozess auch kognitiv repräsentierbar gemacht werden.
Selbstwirksamkeit.
In jeder therapeutischen Spielsituation erlebt das Kind sich als Urheber eigener Handlungen, da es Regisseur der Spielhandlungen sein darf und die Therapeutenperson ihm folgt. Diese Erfahrung kann durch Verbalisieren bewusst gemacht werden, z. B. „du weißt schon, was du machen musst“ oder „du hast einen Plan im Kopf und den setzt du um“. Gleichzeitig wird durch die kontinuierliche Rückmeldung eine positive Erwartung bzgl. des eigenen Handelns aufgebaut. In verschiedenen Therapiephasen kann das Kind darüber hinaus dazu ermutigt werden, sich neuen, herausfordernden Situationen zu stellen. Dabei erhält es angemessene Explorationsassistenz (Ahnert 2004) und lernt durch die gemeinsame Reflexion der Handlungsabläufe („wie hast du das jetzt geschafft?“) seine eigenen Stärken kennen, die im Spiel immer wieder aufgegriffen werden können („die Puppe weiß genauso gut wie du, wie man das macht“).
Beispiel.
Der achtjährige Sven, der wegen zunehmender Angst- und Unsicherheitszustände bis hin zur teilweisen Schulverweigerung in die Spielpsychotherapie kam, versucht an der Werkbank ein relativ kompliziertes Gebilde aus Holz („Piratenschiff“) mit Sägen und Hämmern zu bauen. Dabei zeigt sich, dass er noch nicht ausreichend gut Nägel mit dem Hammer ins Holz schlagen kann. Er versucht es jedoch immer wieder, die Nägel werden krumm, der Hammer trifft nicht etc. Nach einer längeren Zeit der Fehlversuche sagt er mit leiser, traurig wirkender Stimme: „bei mir klappt aber auch gar nichts“. Die Therapeutin greift zunächst dieses Gefühl des Kindes auf („du bist traurig, hast das Gefühl, dass dir das nicht nur mit den Nägeln, sondern auch sonst nichts gelingt“), bietet aber dann konkrete Unterstützung an, ohne auf andere möglicherweise mitschwingende Aspekte (frühere Misserfolgserfahrungen, die Tatsache, dass das Kind lange alleine dysfunktional werkelte …) einzugehen. Mit Hilfe der Therapeutin – zunächst heißt das: (kleinere) Nägel gemeinsam festhalten, Hammer gemeinsam führen – gelingt es Jonas nach und nach, Nägel selbständig ins Holz zu schlagen. Er hat dadurch an dieser einen Stelle Erfolg, erlebt, dass sein Handeln etwas bewirkt. Dies muss dann zur Vertiefung von der Therapeutin verbal rückgemeldet werden.
Soziale Kompetenz.
Um den Resilienzfaktor „Soziale Kompetenz“ weiterzuentwickeln, ist die Therapeutenperson in ihrer gesamten Kommunikation gefragt. Sie muss sich als Dialogpartner anbieten, Vorbild sein für eine stimmige Körpersprache und Kommunikationsregeln auf allen Ebenen einhalten. Für möglicherweise entstehende Konfliktsituationen eignet sich ein vierstufiges Vorgehen: a) Wahrnehmen und Verstehen von Konfliktsituationen durch Abgleich der Selbst- und Fremdwahrnehmung (wie nehmen beide den Konflikt wahr? „Die beiden Tiere streiten sich jetzt aber mächtig, der Hund hat die Katze aber ganz schön geärgert“), b) Perspektivübernahme („wie hat sich die Katze wohl dabei gefühlt?“), c) Wahrnehmen und Kontrollieren eigener Impulse (siehe Selbstregulation), d) adäquates Handeln in der Situation („sollen Hund und Katze jetzt mal ausprobieren, wie sie sich wieder vertragen können?“, „wieso haben die sich jetzt wieder vertragen?“ oder „wieso haben die sich jetzt noch doller gestritten?“). Darüber hinaus spielt Selbstbehauptung eine wichtige Rolle, um sozial kompetent mit herausfordernden Situationen umgehen zu können. Spiegeln der Impulse und Anbieten von Interpretationshilfen sowie das Üben von Handlungsmöglichkeiten, können diesen Prozess unterstützen, wenn es sich aus dem Prozess heraus ergibt. Eine weitere hat der Faktor „sich Unterstützung holen können“. Neben dem Anbieten von Unterstützung kann eine konkrete Reflexion von Hilfesituationen dem Kind neue Perspektiven eröffnen. Wenn ein Kind sich offensichtlich keine Unterstützung holt, sollte dies ebenfalls gezielt angesprochen werden.
Problemlösefähigkeiten.
Problemlösefähigkeiten sind davon gekennzeichnet, dass Handlungsabläufe im Sinne eines Problemlösezyklus realisiert werden, alternative Lösungen in Betracht gezogen werden und Probleme als Herausforderung betrachtet werden. Als Begegnungsparameter bietet sich Nachfragen an, um den Prozess bewusst zu machen, wie z. B. „Was ist passiert? Wie hast du das gemacht?“. Wird ein Problemlöseprozess beobachtet, kann dieser verbalisiert werden, um einzelne Schritte zu verdeutlichen. In manchen Therapiephasen kann es sich als hilfreich erweisen, mögliche Problemsituationen anzusprechen und spielerisch durchzusprechen („Was würdest du tun, wenn …“). Dabei geht es auch darum, kreative Lösungsmöglichkeiten und Ideen zu befördern. Unterstützt wird dieser Prozess durch verschiedene Materialien oder auch „Zaubern“. Das Kind braucht dabei Ermutigung und evtl. eine erweiterte Perspektive, um Probleme nicht nur als Hindernisse wahrzunehmen, sondern auch als Herausforderung.
Beispiel.
Lisa, sieben Jahre alt, zeigt in ihrem Verhalten besonders in unklaren oder Anspannungs-/Leistungssituationen ein stark „sprunghaftes“ Verhalten (die Tätigkeit wechseln, schnell aufgeben/z. T. weinen …), wodurch sie in der zweiten Hälfte des ersten Schuljahres von der Lehrerin als „auffällig“ etikettiert wurde und über die Eltern zu einer Kinderpsychotherapeutin verwiesen wurde. Schon in den diagnostischen Sitzungen zeigte sich, dass Lisa bei leicht überdurchschnittlicher Intelligenz bei einem eigenen hohen Leistungsanspruch sehr deutliche Versagensängste hat. Zugleich wurde deutlich, dass sie bei neuen Herausforderungen schnell „panisch“ wirkt und in einen ungesteuerten „Versuchs-Irrtums-Modus“ verfällt. In den Psychotherapie-Stunden sucht sich Lisa immer wieder Spiele oder Situationen, in denen sie etwas konstruieren (komplizierter Turm) oder „schwierige“ Aufgaben lösen muss – und dann Misserfolge erlebt. Neben dem Bewusstmachen dieses Misserfolg bescherenden und selbstwertreduzierenden Handelns und dem Anbieten von selbstwirksamkeitsstärkenden Interaktionen wurde gezielt der Problemlöseprozess beim Herangehen an Aufgaben mit dem Kind reflektiert. Dabei wurden die von Lisa selbst gewählten Spiele oder Situationen entweder vorher oder im Prozess von der Therapeutin wertschätzend-strukturierend unterbrochen, um mit Lisa den Problemlöseprozess zu reflektieren („Lisa, ich sehe, Du gehst sehr schnell und lebendig vor – ich möchte Dich bitten, einmal kurz innezuhalten, damit wir uns anschauen können, was wir brauchen, um den Turm so zu bauen, dass er nicht bei den nächsten Steinen umfällt“).
Adaptive Bewältigungsmöglichkeiten/Umgang mit Stress.
Um stressige Situationen und Ereignisse einordnen und bewerten zu können, kann mit dem Kind überlegt werden, was individuelle Stressauslöser sind und welche Bewältigungsmöglichkeiten und eigene Stärken zur Verfügung stehen. Möglicherweise bietet es sich auch an, bewältigbare Stresssituationen zu induzieren. Daneben bietet der Umgang mit stressbelasteten Spielsituationen eine Fülle an Möglichkeiten, Stressbewältigungsstrategien zu verdeutlichen und aktiv anzubieten. So kann die Strategie „Ablenkung“ gespiegelt und damit auf die Bewusstseinsebene gehoben werden („es ist sehr aufregend, da hilft es, wegzuschauen …“). Auch wenn Spielregeln vom Kind verändert werden, um den eigenen Selbstwert zu sichern, kann diese Strategie reflektiert werden, in dem die Therapeutenperson rückmeldet (und dadurch akzeptiert): „Ich weiß, dass mein Schuss ein Tor war, aber ich merke, dass du das noch nicht aushalten kannst.“
Resilienzförderung im Therapieprozess – ein Beispiel
Emil3
In dem ausführlich dargestellten Beispiel geht es um den 9jährigen Emil (E), der wegen wiederholten depressiven Episoden seit ca. fünf Monaten zur Spielpsychotherapie kommt. In der vorliegenden 18. Spielstunde inszeniert er ein Rollenspiel mit seiner Therapeutin (T). Er sitzt mit ihr in einer Hängematte, welche ein Boot darstellen soll, das in einen Sturm gerät. Der Sturm wird durch immer heftiger werdendes Schaukeln des Jungen dargestellt, an das sich die Therapeutin anpasst. Im Boot dabei sind zunächst ein Koffer und ein Rettungsboot, die beide im Laufe des Sturms über Bord gehen. Bevor es dazu kommt, beginnt er die Stunde wie üblicherweise: er setzt sich zunächst in einen Wippstuhl und überlegt was er machen möchte und wechselt dann auf einen Polsterstapel und von dort aus auf einen Hüpfball, mit dem er auf und ab wippt (Tab. 1).
Tab. 1
Anwendung der Resilienzperspektive
Transkript der Therapiestunde | Hinweise auf Resilienzfaktoren | Mögliche ergänzende Interventionen auf der Ebene der Resilienzfaktoren |
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T: „Setz dich erstmal gemütlich hin …. Du schaust nachdenklich.“ E: „Hmm“ (leise. Lauter in einem erwartungsvollen Ton): „Machen wir heute was in der Hängematte?“ | T. spiegelt möglichen inneren Zustand des Kindes durch Fremdwahrnehmung | – |
T: „Ja klar, wenn du möchtest. Du bestimmst was wir spielen oder was wir machen.“ | T. betont die Eigen-verantwortung des Kindes und unterstützt damit sein Selbstwirksamkeitserleben | |
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Emil springt mit Anlauf auf die Polster u. legt sich auf den Rücken. Therapeutin gähnt laut auf und fragt: „Bist du müde?“ E: „Eigentlich net.“ | T. nimmt Gefühlswahrnehmung von Emil auf (gähnt) und konkretisiert (Selbstwahrnehmung) | – |
T: „Eigentlich net.“
Emil holt sich einen Hüpfball und setzt sich auf ihn (immer noch auf den Polstern) T. greift zur Hängematte. „Soll ich sie aufhängen?“ Emil nickt. „Du wirkst irgendwie müde, traurig? (Wiederholt) Traurig?“ E: „Müde!“ | T. bietet verschiedene Gefühlkategorien an, um Diffusität zu klären (Selbstwahrnehmung) | „Ah, du bist müde. Das ist manchmal gar nicht leicht zu unterscheiden. Wenn ich traurig bin, fühle ich mich auch oft müde und habe zu nichts Lust. Das hängt irgendwie zusammen.“ [Konkretisierung der Gefühle] |
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Emil wippt weiter auf dem Hüpfball
T: „Wie immer balancierst du so toll auf dem Ball, gell?“
Emil lässt sich mit Schwung mit dem Ball von den Polstern rollen und lacht dabei. Dann setzt er sich wieder oben auf den Ball
| T. hebt Emils Stärke hervor und betont durch „wie immer“ das es keine einmalige Stärke ist (Selbstwirksamkeit) | – |
T: „Ich denk nur, wenn du auf dem Ball balancierst, dass ist dann immer ein bisschen so, als wenn du gerade nachdenkst … Wie wenn du gerade deine Nachdenkminute hast …So überlegst, ach was will ich denn, was mach ich denn?“
Emil balanciert weiter, hält sich dabei an der Hängematte fest und lässt sich wieder runterrollen.
T: „Boa, das sieht ja schon aufregend aus. Das war eine harte Landung.“ | T. hilft Emil, sich angemessen einschätzen zu können (Selbst-wahrnehmung) | „Oder was meinst du?“ (Abgleich) „Was tut dabei gut, wozu hilft das?“ Oder: „Da hast du dir was Gutes einfallen lassen, um dir in Ruhe zu überlegen, was du heute spielen möchtest“ (Stressbewältigung, Problemlösestrategien) |
T. spricht Herausforderung an (Stressbewältigung) | – | |
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Emil steht an der Hängematte
E: „Legst du dich dann auch rein?“ T: „Wenn du möchtest?“ Emil nickt und legt sich in die Hängematte.
T: „Erstmal zum Ausruhen ein bisschen hin und her schaukeln?“ | Soziales Aushandeln bei Achtung der Wünsche des Kindes T. bietet Selbstregulationsstrategie an Wieder: Aushandlungsprozess | „Das war jetzt so aufregend, da tut es manchmal gut, sich ein bisschen zu entspannen“ |
E: „Ne, komm rein“. T: „Ich soll gleich rein?“ E: „Ja und dann immer mehr“
T. legt sich mit in die Hängematte, die deutlich hin und her wackelt
| – | „Aber dir war das nicht zu viel, du willst weiter machen.“ |
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T: „Ganz schön wackelig, wenn wir das zu Zweit drin sind, hui!“
Emil wackelt lächelnd hin und her.
T: „Ohhh, das ist ganz schön wackelig, ne?“
Beide drehen sich gegensätzlich zueinander hin und her
| T. spricht Herausforderung an Nonverbale und verbale Begleitung zur Aktivierung (Selbstregulation) | „da kann man ja Angst bekommen, aber dir macht das gar nichts aus“ (Abgleich von Fremd- und Selbstwahrnehmung) |
T: „Du drehst dich in die eine und ich in die andere Richtung. Ups!“
Emil steht halb auf, um noch mehr Schwung zu holen
| – | → ist auch ein Problemlöseverhalten „Oh bist du mutig. Du stehst sogar auf, obwohl das so wackelig ist. Du vertraust dir, dass du nicht herausfällst“ [Bestärken und Verdeutlichen der Selbstwirksamkeit] |
T: „Oh ist das wackelig. Das ist ja wackeliger zu zweit als wenn man alleine drin wär.“ E: „Ja. Der eine ist schwerer und dann kippt man schnell und dann ist auch weniger Platz.“ T: „Ja genau. Magst du auch mal alleine, in Sicherheit drin sein?“ E: „Ne.“ T: „Ist es wichtig, dass ich mit dabei bin?“ E: „Ja.“ | T. bietet immer wieder Sicherheit an [Stressbewältigung] T. verbalisiert Problemlöse-strategie des Kindes | – |
„Du hast eine Idee/Vorstellung, um mit der Situation umzugehen. Es ist Dir wichtig, dass ich dabei bin/dass wir das zusammen machen“ [soziale Situation wird klarer benannt] | ||
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Er bückt sich aus der Hängematte und zieht ein Polster in die Hängematte zu sich. „Koffer, Koffer.“ T: „Das soll unser Koffer sein.“ E: „Erste Ladung ist schon mal da.“ T: „Erste Ladung ist schon mal da. Der Koffer. Was sollten wir denn alles in dem Koffer drin haben?“ E: „Essen.“ T: „Ok, das ist wichtig. Essen, was noch?“ E: „Zähne putzen.“ T: „Was, Zähne putzen? Du denkst an Zähne putzen? Das überrascht mich!“ E: „Trinken!“ T: „Trinken … Ein bissl Kleidung, wenn wir nass werden oder wenn es kalt wird?“ E: „Ja, wärmere Kleidung.“ T: „Brauchen wir sonst noch was?“ E: „Rettungsboot.“ Er beugt sich wieder raus und holt unter Anstrengung ein weiteres Polster in die Hängematte.
T: „Rettungsboot kommt jetzt.“ | – | „Ah, ein Koffer, der könnte helfen.“ |
Kind hat Vorstellung vom Spielablauf | … dies könnte man im Sinne der geordneten (Problemlöse) Strategie ansprechen | |
T. unterstützt im Problemlöseprozess | ||
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Emil schnauft hörbar
T: „Boa du schnaufst, bist ganz außer Atem von dem schweren Rettungsboot. Und wir zwei können uns gar nicht mehr sehen …Hallo, hallo! … Hallo!“ (Zwei Polster sind jetzt in der Mitte der Hängematte und beide können kaum drüber hinweg schauen) E: „Wir können uns trotzdem noch sehen, im Spiegel.“ | T. spricht an, was sie bei Emil wahrnimmt (Selbstwahrnehmung) | „Du hast eine Lösung gefunden! Wir können uns so nicht sehen, aber im Spiegel doch.“ „Du hast an alles gedacht, um uns zu schützen/vorzubereiten.“ |
T: „Im Spiegel können wir uns noch sehen, genau. Jetzt ist besser. Wir können uns im Spiegel sehen, haben den Koffer dabei und unser Rettungsboot. Dann können wir uns ja jetzt auf die Reise machen. …. Wo soll die Reise denn hingehen? Oder bleiben wir einfach hier?“ E: „Sturm!“ T: „Sturm soll es geben!“ E: „Und das Rettungsboot fällt raus.“ T: „Das Rettungsboot fällt raus, ok!“ | T. verdeutlicht Emil, was sie alles getan haben, um Stresssituation zu bewältigen | – |
„Du machst es immer spannender. Das wird jetzt richtig gefährlich.“ | ||
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Emil fängt wild an zu schaukeln
T: „Oh, Sturm, Sturm! Mist Sturm!“ Emil wirft das Rettungsboot mit Schwung aus der Hängematte.
T: „Unser Rettungsboot! Oh, wir haben unser Rettungsboot verloren! Oh, oh! Und unser Koffer ist noch ganz sicher! Sollen wir den auch verlieren?“ E: „Ja, aber jetzt noch net.“ T: „Unser Rettungsboot ist weg, aber unseren Koffer haben wir noch. Oh!“
Emil schaukelt wild hin und her. Steht dabei teilweise auf. Die Therapeutin wackelt ebenfalls mit, diesmal immer in dieselbe Richtung wie er
| T. unterstreicht durch ihre Gestik und Ausdruck der Stimme die Herausforderung der Situation und verdeutlicht durch die Erwähnung des Koffers, dass sie noch Sicherheiten haben | „Du hast die Situation unter Kontrolle, du bestimmst, wann es soweit ist“ [Betonung der eigenen Handlungsfähigkeit, Selbstwirksamkeit] |
Schon hier hätten mögliche Gefühlsäußerungen durch Gestik und Mimik deutlicher aufgegriffen werden können (Spiegelung) | ||
T (laut): „Oh ist das wackelig, boa! Und hin und her! Das ist ein Unwetter, ein ganz schlimmes Unwetter!“ Emil wirft den Koffer aus der Hängematte.
T laut: „Unser Koffer ist weg!!!“ E: „Oh nein. Ich versuch mal irgendwo drauf zu kommen.“
Er klettert aus der Hängematte und auf die Polster daneben
| T. betont den Ernst der Lage | „Das ist mir ganz schön unheimlich. Ob wir hier heil wieder rauskommen? Du scheinst ganz unbeeindruckt zu sein“ [Gefühlslage ansprechen, Selbst/Fremdwahrnehmung] oder auch: „Das ist zwar jetzt sehr aufregend, aber du meisterst das“ [Ermutigung, Probleme als Herausforderung sehen] |
T: „Ok, du bist auf einem Felsen gelandet? …Oh du hast dich gerettet!“ | T. verbalisiert, dass Emil selbst zu seiner Rettung beigetragen hat (Selbstwirksamkeit) | „Du hast eine richtig gute Idee, um dich zu retten und aus dieser verzwickten Lage zu befreien. Wie bist du auf diese Idee gekommen?“ [Selbstwirksames Handeln verbalisieren und Problemlösestrategie bewusst machen] |
Fazit
Im Mittelpunkt des Resilienzkonzepts stehen Schutz- und Resilienzfaktoren, die unter einer Förderperspektive betrachtet, wesentliche Ansatzpunkte darstellen, um Kinder in der Auseinandersetzung mit schwierigen Situationen und Entwicklungsaufgaben zu unterstützen. Dabei zeigte sich an vielen Stellen, dass therapeutisches Handeln – besonders im Spiel! – sehr oft per se resilienzfördernd wirkt. Von besonderer Bedeutung ist dabei die haltgebende, zugleich „korrigierende emotionale Erfahrungen“ (Cremerius 1979) ermöglichende therapeutische Beziehung. Im vorstehenden Beispiel wagt sich das Kind in Begleitung der Therapeutin – sie wurde ausdrücklich gebeten, mit in das „Boot“ zu kommen – i symbolisierter Form an herausfordernde, „gefährliche“ Situationen, zeigt Mut und entwickelt Lösungen.
Das Beispiel zeigt gleichfalls, dass der Therapieprozess immer wieder Ansatzmöglichkeiten bietet, gezieltere Resilienzförderung zu integrieren. So kann durch das Aufsetzen der „Resilienzbrille“ eine erweiterte Perspektive geboten werden, die in verschiedenen Therapiephasen neue Impulse setzen kann.
Die Förderung der Resilienzfaktoren darf aber nicht so verstanden werden, dass sie nacheinander „abgearbeitet“ werden, vielmehr geht es um ein situatives Jonglieren und nicht in allen Therapiephasen ist die Zentrierung auf diese Faktoren passend und sinnvoll. Zudem hängen die Faktoren miteinander zusammen und lassen sich nicht meistens nicht völlig getrennt voneinander fokussieren. Insgesamt bietet das Resilienzkonzept aber eine Reihe von Ansatzmöglichkeiten für die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, die im weiteren zum einen auf ihre Praktikabilität hin überprüft werden müssen, zum anderen sich noch ergänzen und ausdifferenzieren lassen.
Interessenkonflikt
K. Fröhlich-Gildhoff und M. Roennau-Boese geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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