Skip to main content
Erschienen in: psychopraxis. neuropraxis 1/2022

Open Access 10.01.2022 | Psychiatrie

Die therapieresistente Depression (TRD) – Herausforderungen und praktisches Management

verfasst von: OA DDr. Gernot Fugger, Lucie Bartova, Markus Dold, Siegfried Kasper

Erschienen in: psychopraxis. neuropraxis | Ausgabe 1/2022

Zusammenfassung

Die unipolare Depression zählt weltweit zu den häufigsten psychischen Erkrankungen und ist mit einer enormen Krankheitslast assoziiert. Trotz Verfügbarkeit von zahlreichen effektiven und gut verträglichen antidepressiv wirksamen Psychopharmakotherapeutika erreicht nur etwa ein Drittel unserer Patientinnen und Patienten auf eine etablierte antidepressive „First-line-Therapie“ eine vollständige Remission. Im Gegensatz dazu spricht ein weiteres Drittel aller Betroffenen auf zwei konsekutive, adäquate antidepressive Therapien mit gleich oder unterschiedlich wirkenden Antidepressiva, die ausreichend hoch dosiert und genügend lange verabreicht wurden, nur unzureichend an und erfüllt somit die Kriterien einer therapieresistenten Depression (TRD). Das Vorhandensein einer TRD stellt für Behandler häufig eine sehr anspruchsvolle, klinische Herausforderung dar. Der folgende Artikel unterstreicht die Wichtigkeit der therapeutischen Beziehung und effektiver, transparenter Kommunikation sowie die absolute Notwendigkeit, das therapeutische Vorgehen strikt nach bestehenden Leitlinien auszurichten, um einen optimalen Therapieerfolg zu gewährleisten. Ein Fallbericht skizziert eine erfolgreiche Anwendung von Esketamin-Nasenspray als höchst effektive neu zugelassene Behandlungsoption.
Hinweise
Literatur bei den Verfassern.

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Einleitung

Die unipolare depressive Störung zählt weltweit zu den am häufigsten anzutreffenden psychischen Erkrankungen mit einer Lebenszeitprävalenz zwischen 11 und 16 %, wobei Frauen in etwa doppelt so häufig erkranken wie Männer. Alleine in Europa sind über 30 Mio. Patientinnen und Patienten von einer unipolaren Depression betroffen, die laut Erhebungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auch eine der führenden Ursachen für sogenannte „disability-adjusted life years (DALYs)“, eine Maßeinheit für verlorene Lebensjahre durch vorzeitigen Tod kombiniert mit dem Verlust an Lebenszeit durch Behinderung, darstellt.
In der klinischen Routine sprechen bis zu zwei Drittel der depressiven Patientinnen und Patienten nicht oder nur unzureichend auf eine initiale Psychopharmakotherapie an. Wenn Betroffene auf zwei adäquate antidepressive Therapieversuche mit gleich oder unterschiedlich wirkenden Antidepressiva nur ungenügend ansprechen, sind die Kriterien einer therapieresistenten Depression (TRD) erfüllt, die je nach Studienlage etwa 20 bis 30 % aller depressiven Patienten und Patientinnen betrifft. Faktoren, die mit einem gehäuften Auftreten einer TRD assoziiert wurden, sind unter anderem der Schweregrad der depressiven Symptomatik, psychotische Symptome, Suizidalität, eine komorbide generalisierte Angststörung, die Anzahl der bisherigen depressiven Episoden und die Dauer der aktuellen depressiven Episode.
Etwa 20 bis 30 % aller depressiven Patienten und Patientinnen sind von einer TRD betroffen
Das Vorhandensein einer TRD stellt für die Patientinnen und Patienten, deren Angehörige und die Behandler häufig eine sehr anspruchsvolle, klinische Herausforderung dar und verlangt, entsprechend individueller Bedürfnisse von Betroffenen, einen multimodalen Behandlungsansatz mit psychopharmakotherapeutischen, nicht pharmakologischen und sozialen Interventionen, die stets im Fokus einer funktionierenden therapeutischen Beziehung Anwendung finden sollen. Eine Adhärenz zu diagnostischen und therapeutischen Leitlinien von Therapiebeginn an sowie Kenntnis über charakteristische Merkmale der TRD können einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die Wahrscheinlichkeit von Therapieresistenz a priori zu minimieren. Der folgende Artikel gibt Anregungen für ein optimiertes Management der TRD, der Fallbericht veranschaulicht die praktische Anwendung von Esketamin-Nasenspray als effektive neu zugelassene Behandlungsoption.

Therapeutische Beziehung und effektive Kommunikation

Schon zu Beginn einer Behandlung sollte der Fokus auf den Aufbau einer stabilen therapeutischen Arzt/Ärztin-Patient/Patientin-Beziehung gelegt werden, welche das primäre Ziel einer umfassenden Kommunikation und Aufklärung über die Erkrankung sowie Möglichkeiten und Grenzen der vorhandenen Therapieoptionen verfolgt. Gleiches gilt für Therapiemodifikationen, die eventuell später im Behandlungsverlauf stattfinden müssen. Ein häufig unterschätzter Faktor stellt die Therapiepräferenz von Patientinnen und Patienten dar, die jedoch das individuelle therapeutische Ansprechen erheblich beeinflussen kann. Es existieren beispielsweise Erhebungen, die klar darstellen, dass an einer Depression Leidende mit Präferenz für eine psychotherapeutische Behandlung schlechter auf eine Psychopharmakotherapie ansprechen als Betroffene, die sich von Beginn an eher eine medikamentöse Therapie wünschen.
Die Therapiepräferenz kann das Ansprechen beeinflussen
Einige klinische Erscheinungsformen der Depression wie die moderat bis schwer ausgeprägte Symptomatik, begleitende Suizidalität, melancholische oder psychotische Symptome oder auch die TRD selbst bedingen jedoch eine psychopharmakotherapeutische Basistherapie, ohne die ein zufriedenstellender Therapieerfolg kaum zu erreichen ist. Eventuell vorhandene Skepsis und Vorbehalte gegenüber antidepressiv wirksamen Medikamenten müssen ernst genommen und im Rahmen regelmäßiger psychoedukativer Gespräche und Aufklärungen thematisiert werden. Eine klare und effektive Kommunikation über mögliche vorübergehende Nebenwirkungen wie Antriebssteigerung oder innere Unruhe in der Anfangsphase einer Behandlung mit ausgewählten Antidepressiva oder Absetzphänomene am Therapieende gehören ebenso dazu wie eine Aufklärung und regelmäßige Evaluation im Rahmen einer Langzeittherapie, inklusive metabolischer Effekte oder sexueller Funktionsstörungen.
Vorbehalte gegenüber der antidepressiven Therapie müssen ernst genommen werden
Viele Patientinnen und Patienten vermitteln Sorge vor Abhängigkeit, Persönlichkeitsveränderung und der ständigen Angewiesenheit auf eine medikamentöse Therapie. Besonders wichtig und hilfreich in der Kommunikation in diesem Kontext ist das Vermitteln von neurobiologischen und genetischen Erklärungsmodellen für die Entstehung und Therapie der unipolaren Depression und die Analogie zu anderen, körperlichen Erkrankungen, wie z. B. der arteriellen Hypertonie, welche ebenso wie die Depression neben wertvollen supportiven Maßnahmen wie etwa die Lebensstilmodifikation einer medikamentösen Basistherapie bedürfen.
Ebenso von essenzieller Bedeutung ist eine klare Kommunikation über die Therapieziele und eine realistische Definition von Therapieerfolg. Erwartungen zwischen Behandelnden und Patientinnen und Patienten können oft große Diskrepanzen aufweisen. Während für Ärztinnen und Ärzte häufig eine Reduktion der Anzahl an depressiven Symptomen als Marker für Therapieerfolg gewertet wird, ist für Menschen, die an einer Depression erkrankt sind, das Vorhandensein positiver psychischer Gesundheit, eine stimmige Selbstwahrnehmung („ich fühle mich wieder wie ich selbst“), eine Rückkehr zu einem normalen Funktionsniveau oder das Wiedererlangen von emotionaler Kontrolle wichtiger und charakteristischer für eine Remission als die Absenz von depressiven Symptomen.

Ausschluss von Pseudotherapieresistenz

Nicht bei allen unseren depressiven Patientinnen und Patienten, die unzureichend auf die etablierte medikamentöse Therapie ansprechen, liegt tatsächlich eine „echte“ Therapieresistenz vor. Es gibt einige, mitunter leicht zu übersehende „Störfaktoren“, die ein adäquates Ansprechen auf eine antidepressive Psychopharmakotherapie verhindern können und eine Pseudotherapieresistenz bewirken (Abb. 1). Essenziell in diesem Zusammenhang ist neben einer exakten Diagnosestellung und Prüfung, ob es sich bei der primären Erkrankung tatsächlich um eine unipolare Depression handelt, ebenso die Evaluation von etwaigen psychiatrischen und somatischen Begleiterkrankungen. Überlegungen zu komorbiden und differentialdiagnostischen psychischen Erkrankungen (Persönlichkeitsstörungen, Angsterkrankungen, bipolar-affektive Störungen, Suchterkrankungen) sind ebenso unerlässlich wie eine sorgfältige Evaluation der körperlichen Gesundheit.
Suboptimale Therapieadhärenz ist ein häufiger Grund für Pseudotherapieresistenz
Ein suboptimales Management von Schilddrüsenfunktionsstörungen oder weiteren körperlichen Leiden (Diabetes, arterielle Hypertonie, Schmerzsyndrome, Migräne) kann ein Persistieren von depressiven Symptomen trotz adäquater Psychopharmakotherapie bewirken. Fehlende Therapieadhärenz aufgrund von unerwünschten Wirkungen der antidepressiven Therapie wie metabolischen oder sexuellen Nebenwirkungen stellt einen weiteren Faktor dar, der eine scheinbare Behandlungsresistenz bewirken kann. Umfassende Kommunikation und Aufklärung zur Verbesserung der Adhärenz kann somit eine einfache und effiziente Strategie zu verbessertem Outcome sein. Bei Patientinnen und Patienten, die trotz guter Adhärenz keinen suffizienten antidepressiven Therapieerfolg erreichen, ist es jedenfalls sinnvoll, die verordnete Tagesdosis zu evaluieren, mit der empfohlenen Zieldosis zu vergleichen und gegebenenfalls anzupassen. Die medikamentöse Plasmaspiegelbestimmung und folglich gegebenenfalls die pharmakogenetische Untersuchung des Cytochrom-P-450-Enzymsystems der Leber können behilflich sein, Individuen mit gesteigerter Enzymaktivität, sogenannte „Ultra-rapid-Metabolizer“, zu identifizieren, die ausgewählte Medikamente sehr schnell verstoffwechseln, unzureichende Wirkspiegel aufbauen und daher von einer Dosiseskalation oder einem Präparatwechsel profitieren können.
Der beste Zeitpunkt zur Evaluation der antidepressiven Wirksamkeit scheint bereits nach zwei Wochen gegeben zu sein, da ein Nichtansprechen auf die Therapie bis dahin als aussagekräftiger prädiktiver Faktor für eine weitere unzureichende Response identifiziert werden konnte. Zu frühe oder zu späte Therapieevaluation können somit die Entwicklung einer (Pseudo‑)Resistenz ebenso begünstigen. Letztlich müssen auch psychosoziale Stressoren unserer Patientinnen und Patienten im Rahmen einer psychopharmakotherapeutischen Behandlung angesprochen und mit Kolleginnen und Kollegen anderer Fachdisziplinen (z. B. Sozialarbeit, Psychotherapie, sonstige medizinische Fachdisziplinen) bearbeitet werden, um die Entwicklung einer medikamentösen Pseudotherapieresistenz zu verhindern. Vor allem ein etwaiger sekundärer Krankheitsgewinn stellt in diesem Zusammenhang eine nicht zu unterschätzende Einflussgröße dar. Die meisten Guidelines zur Behandlung der Depression sehen eine begleitende Psychotherapie zur Psychopharmakotherapie vor, die parallel oder bestenfalls sequenziell stattfinden soll. Die Versorgungsrealität in den meisten Ländern der Erde, inklusive Österreich, schaut gänzlich anders aus, sodass nur ein geringer Prozentsatz der Betroffenen eine Kombinationstherapie erhält. Fachärztinnen und Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin können aufgrund ihrer umfassenden und breiten medizinischen und psychotherapeutischen Ausbildung diese Lücke effektiv kompensieren, indem sie psychotherapeutische Interventionen stetig in das Gesamtbehandlungskonzept miteinfließen lassen, ohne sich zwingend an die Vorgaben der jeweiligen Psychotherapieschulen halten zu müssen.

Die Therapie der TRD in der Praxis

Nach Ausschluss einer Pseudotherapieresistenz gibt es bei unzureichendem Ansprechen auf eine etablierte Psychopharmakotherapie für die depressive Störung in der klinischen Routine mehrere weiterführende psychopharmakotherapeutische Optionen. Neben der Dosisoptimierung einer verabreichten antidepressiven Monotherapie, der Kombination von zwei oder mehreren Antidepressiva mit unterschiedlichen, sich ergänzenden Wirkmechanismen, der Augmentation der antidepressiven Therapie mit atypischen Antipsychotika oder Lithium bzw. der Add-on-Therapie mit dem neu zugelassenen Esketamin-Nasenspray muss in diesem Zusammenhang auch die Strategie des „Switching“, also einem kompletten Wechsel der antidepressiven Therapie im Rahmen einer antidepressiven Monotherapie genannt werden. Die Evidenz für einzelne Optionen ist sehr unterschiedlich. Somit erreicht man bei den meisten Antidepressiva, inklusive selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRIs) mit einer Dosiseskalation in den Hochdosisbereich in der Regel kein besseres Ansprechen, sondern eher eine Zunahme unerwünschter Nebenwirkungen. Eine Ausnahme können bereits erwähnte Patientinnen und Patienten sein, die in der Lage sind, ausgewählte Medikamente wesentlich schneller abzubauen (sog. „Ultra-rapid-Metabolizer“), beziehungsweise gibt es einen partiellen Dosis-Wirkungs-Zusammenhang für die Gruppe der trizyklischen Antidepressiva und für den irreversiblen Monoaminoxidasehemmer Tranylcypromin. Bei der Kombinationstherapie von mehreren Antidepressiva sollten für optimale Effektivität immer Substanzen mit unterschiedlichen oder komplementären Wirkmechanismen gewählt werden (z. B. SSRIs oder SNRIs (Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer) oder Bupropion + Trazodon oder Mirtazapin oder auch Agomelatin oder Tianeptin). Auch SSRIs und Bupropion lassen sich bei bestimmten Symptomkonstellationen wie etwa bei vordergründig bestehender Anhedonie mit begleitender Angstsymptomatik erfolgreich und verträglich kombinieren.
In der breiten klinischen Routine ist der Umstand, dass „Switching“ aufgrund widersprüchlicher Studienergebnisse generell nicht als evidenzbasierte Therapieoption für die TRD angesehen werden kann und diese Option gegenüber der Fortführung der ursprünglichen antidepressiven Substanz keine Vorteile bringt, eventuell weniger bekannt. Internationalen Untersuchungen zufolge sollte diese Option jedoch nur bei absoluter Non-Response oder Auftreten intolerabler Nebenwirkungen Anwendung finden. Die beste Evidenz besteht vermutlich für ein Switching von SSRIs auf Venlafaxin oder Tranylcypromin, wobei insbesondere bei der Verordnung von Tranylcypromin eine strikte Einhaltung empfohlener Therapiealgorithmen erfolgen muss, um potenziell schwerwiegende Nebenwirkungen wie etwa hypertensive Krisen zu verhindern.
Esketamin-Nasenspray wurde im Jahre 2019 in Österreich zur Behandlung der TRD zugelassen
Hinsichtlich Augmentation der bestehenden antidepressiven Therapie liefert der neueste Stand der Wissenschaft die höchste positive Evidenz für den NMDA-Antagonisten Ketamin, gefolgt von ebenfalls sehr effektiven atypischen Antipsychotika und Lithium. Esketamin-Nasenspray wurde im Jahre 2019 in Österreich zur Behandlung der TRD zugelassen und sollte als eine Add-on-Behandlung zu einer laufenden antidepressiven Psychopharmakotherapie mit einem (laut Fachinformation) SSRI oder SNRI Eingang in eine breitere Routine finden. Bei der Augmentation mit atypischen Antipsychotika muss bedacht werden, dass in Europa lediglich die Extended-release(XR)-Formulierung von Quetiapin zugelassen ist und die Verordnung anderer Präparate „off-label“ besonderer Dokumentation bedarf. Wichtig ist hierbei jedenfalls zu betonen, dass man niedrige bis moderate Dosen (Aripiprazol 2,5–10 mg Tagesdosis [TD], Risperidon 0,5–2 mg TD, Olanzapin 2,5–10 mg TD, Quetiapin XR 50–300 mg TD) nicht überschreitet und vor allem extrapyramidal-motorische und metabolische Nebenwirkungen engmaschig evaluiert.
Obwohl es zahlreiche publizierte Leitlinien zur Behandlung der TRD gibt, werden diese häufig nicht befolgt, was das Auftreten von Chronizität und Therapieresistenz begünstigen kann. Neben einer effektiven, evidenzbasierten Psychopharmakotherapie sollte in der Behandlung der TRD auch stets der Einsatz von biologisch fundierten Therapieverfahren wie der Elektrokonvulsionstherapie (EKT) oder der repetitiven transkraniellen Magnetstimulation (rTMS) erwogen werden und frühzeitig eine Überweisung an Therapiezentren erfolgen. In weiterer Folge können auch invasive neurochirurgische Verfahren wie etwa die Vagusnervstimulation oder die tiefe Hirnstimulation individuell erwogen werden.

Fallbericht Frau G.

Im Frühling 2021 wurde die 45-jährige Frau G. aufgrund einer schweren, therapieresistenten depressiven Episode (Montgomery-Åsberg Depression Rating Scale Score [MADRS] von 34 Punkten) ohne psychotische Symptome, aber mit deutlicher Antriebsstörung, subjektiv verminderter Konzentrationsfähigkeit, Affektlabilität, Zukunftsängsten, Grübelzwang, ausgeprägtem Selbstzweifel, Schuldgefühlen, Appetitverlust und Lebensüberdrussgedanken ohne konkrete Suizidalität an der Wiener Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie (UKPP) stationär aufgenommen. Anamnestisch war bei der Patientin schon seit 20 Jahren eine rezidivierende depressive Störung bekannt. Die Therapieresistenz der aktuellen depressiven Episode ergab sich aus einem mangelhaften Ansprechen auf adäquate Behandlungen mit Fluoxetin, gefolgt von Bupropion. Im Rahmen der letzten depressiven Episode konnte die Patientin unter einer Therapie mit Bupropion eine vollständige Remission erreichen, hatte das Präparat aber nach Rücksprache mit der behandelnden Fachärztin wegen gastrointestinaler Nebenwirkungen einige Monate vor dem nunmehr neuerlichen stationären Aufenthalt abgesetzt. Trazodon und Clonazepam wurden zusätzlich zur Verbesserung des Schlafes verordnet. Abgesehen von Ovarialzysten waren keine körperlichen oder psychiatrischen Kormorbiditäten bekannt.
Da unter der beschriebenen Psychopharmakotherapie kein zufriedenstellender Therapieerfolg erreicht werden konnte, wurde die Indikation zur Add-on-Behandlung mit Esketamin-Nasenspray gestellt. Das Präparat wurde zuerst während des stationären Aufenthalts über vier Wochen jeweils zweimal wöchentlich (initial 5 × 56 mg und darauf 3 × 84 mg) von der Patientin selbst unter Aufsicht von geschultem medizinischen Personal appliziert (sogenannte Induktionsphase). Bis auf Müdigkeit nach der Applikation traten keinerlei Nebenwirkungen, insbesondere keine unangenehmen dissoziativen Erlebnisse oder relevante Erhöhungen des Blutdrucks auf. Die Patientin berichtete über eine prompte Verbesserung der Stimmung (MADRS <10), der Konzentration, des Antriebs und ein Sistieren der Lebensüberdrussgedanken ab der zweiten Applikation von Esketamin, sodass nach der Induktionsphase bei erreichtem Therapieerfolg und guter Verträglichkeit nach der Entlassung aus dem stationären Setting eine Weiterbehandlung über die TRD-Ambulanz der UKPP erfolgen konnte.
Im Rahmen der sogenannten Erhaltungsphase erhielt die Patientin über einen Zeitraum von 5 Monaten zuerst im wöchentlichen und ab der neunten Behandlungswoche im zweiwöchentlichen Intervall weitere 12 Esketamin-Behandlungen mit einer Dosis von 84 mg. Im Vorfeld jeder Behandlung in der Ambulanz erfolgte ein ärztliches Vorgespräch. Danach applizierte sich die Patientin, unter Aufsicht von medizinischem Fachpersonal, Esketamin nasal selbstständig in einem separaten Behandlungsraum. In Einklang mit der Fachinformation verblieb die Patientin nach der Applikation für mindestens 60 min zur Nachbeobachtungsphase im Behandlungsraum, wo regelmäßige Vitalzeichenkontrollen (Blutdruck, Herzfrequenz, Sauerstoffsättigung) stattfanden. Abgesehen von Müdigkeit und Schwindel am Tag der Applikation selbst, traten für die Patientin merkliche positive und über mehr als eine Woche anhaltende Effekte ab Tag 2 nach der Behandlung ein. Wie alle Patientinnen und Patienten der TRD-Ambulanz wurde auch Frau G. im Vorfeld informiert, dass sie 2 h vor der Esketamin-Verabreichung nicht essen, 1 h davor keine abschwellenden Nasentropfen anwenden und 30 min davor keine Getränke zu sich nehmen darf. Ebenso erfolgte vor der Entlassung nach Hause die wiederholte Aufklärung, dass das Führen von Fahrzeugen oder das Bedienen von potenziell gefährlichen Maschinen erst am Folgetag, nach einem erholsamen Schlaf erlaubt ist.

Fazit für die Praxis

  • Die therapieresistente Depression (TRD) ist durch ungenügendes Ansprechen auf zumindest zwei konsekutive adäquate antidepressive Therapien mit Antidepressiva gleicher oder unterschiedlicher Wirkstoffklassen definiert und betrifft bis zu 30 % aller depressiven Patientinnen und Patienten.
  • Für ein optimales Therapie-Outcome sind eine strikte Adhärenz der Behandlung an bestehende Leitlinien sowie transparente und effektive Kommunikation im Rahmen einer funktionierenden therapeutischen Beziehung unerlässlich.
  • Echte Therapieresistenz sollte stets klar von einer „Pseudotherapieresistenz“ abgegrenzt werden.
  • Esketamin-Nasenspray stellt eine neu zugelassene, effektive Behandlungsoption für die TRD dar, die allerdings außerhalb von universitären Zentren noch wenig angewandt wird.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

G. Fugger erhielt Honoraria von Janssen. L. Bartova erhielt Honoraria von AOP Orphan, Medizin Medien Austria, Vertretungsnetz, Schwabe Austria, Janssen und Angelini. M. Dold erhielt Honoraria von Medizin Medien Austria und Janssen. S. Kasper erhielt in den letzten fünf Jahren Honoraria von Angelini, AOP Orphan Pharmaceuticals, Celegne GmbH, Eli Lilly, Janssen-Cilag Pharma GmbH, KRKA-Pharma, Lundbeck A/S, Mundipharma, Neuraxpharm, Pfizer, Sanofi, Schwabe, Servier, Shire, Sumitomo Dainippon Pharma Co. Ltd. und Takeda.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Patienten, die über Angaben innerhalb des Manuskripts zu identifizieren sind, haben hierzu ihre schriftliche Einwilligung gegeben.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de.

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Metadaten
Titel
Die therapieresistente Depression (TRD) – Herausforderungen und praktisches Management
verfasst von
OA DDr. Gernot Fugger
Lucie Bartova
Markus Dold
Siegfried Kasper
Publikationsdatum
10.01.2022
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
psychopraxis. neuropraxis / Ausgabe 1/2022
Print ISSN: 2197-9707
Elektronische ISSN: 2197-9715
DOI
https://doi.org/10.1007/s00739-021-00776-3

Weitere Artikel der Ausgabe 1/2022

psychopraxis. neuropraxis 1/2022 Zur Ausgabe

Herausgeberbrief

Herausgeberbrief

panorama

panorama