Open Access 18.01.2022 | SLE
Die Rolle der B-Lymphozyten bei Patient*innen mit systemischem Lupus erythematodes
Erschienen in: rheuma plus | Ausgabe 3/2022
Zusammenfassung
Der systemische Lupus erythematodes (SLE) ist eine Autoimmunerkrankung, die durch chronisch-rezidivierende Verläufe und ein breites Spektrum an klinischen Erscheinungsbildern gekennzeichnet ist. Pathophysiologisch wird dem B‑Lymphozyten, aufgrund seiner überschießenden Reaktion mit gestörter Autoantikörperproduktion, eine tragende Rolle in der Auslösung und der Aufrechterhaltung der Erkrankung zugeschrieben. Aufgrund unseres besseren Verständnisses über diese Krankheit und einer präziseren Labordiagnostik wurden 2019 die ACR(American College of Rheumatology)/EULAR(European Alliance of Associations for Rheumatology)-Klassifikationskriterien überarbeitet, um auch in der Frühphase des SLE Patient*innen rechtzeitig zu erkennen. Im Gegensatz zum diagnostischen Vorgehen sind neue Therapieansätze bisher nur begrenzt erfolgreich. Unsere Arbeitsgruppe beschäftigt sich intensiv mit der Charakterisierung der B‑Zell-Subpopulationen, ihrer Aktivität bei SLE sowie dem Ansprechen auf die medikamentöse Therapie. Ein erster Schritt war es, die verschiedenen B‑Zell-Subpopulationen im peripheren Blut (naive B‑Zellen, Prä- und Post-switch-B-Zellen, Gedächtnis-B-Zellen und Plasmablasten [Vorstufe von der Plasmazelle]) bei Patient*innen mit niedriger Krankheitsaktivität zu identifizieren und eine mögliche Korrelation zum weiteren Krankheitsverlauf des SLE zu eruieren. Es zeigte sich bei den Analysen, dass Patient*innen, die einen hohen Anteil an naiven B‑Zellen im Blut aufwiesen, nach 3 Jahren einen moderaten bis hochaktiven SLE hatten. Die Konsequenz daraus wäre, dass das therapeutische Ziel beim SLE neben der Induktion einer Remission bzw. einer niedrigen Erkrankungsaktivität auch die Verminderung der naiven B‑Zell-Population sein sollte. Dies müsste in einer prospektiven Studie aber noch bestätigt werden.
Der systemische Lupus erythematodes (SLE) ist eine komplexe Autoimmunerkrankung des Bindegewebes mit einem chronisch-rezidivierende Verlauf und einem breiten Spektrum an klinischen Erscheinungsbildern, die sich in leichten bis hin zu lebensbedrohlichen Organmanifestationen äußern [1]. Die genaue Ursache für die Entstehung des SLE ist weiterhin unbekannt. Es scheinen verschieden Faktoren, wie z. B. genetische Veranlagung, Umweltfaktoren sowie hormonelle und immunologische Elemente, eine Rolle zu spielen [2]. Dabei ist die B‑Zelle durch die Bildung von Autoantikörpern einer der immunologisch dominierenden Faktoren, der maßgeblich an der Zerstörung der Gefäße und Organstrukturen beteilig ist.
Der B‑Lymphozyt (B-Zelle) entsteht im Knochenmark und differenziert sich dort von der pluripotenten Stammzelle (hämatopoetische Stammzelle) über die Pro-B-Zelle und Prä-B-Zelle zur unreifen B‑Zelle. In dieser Phase werden die Zellen, die Antikörper produzieren, die mit körpereigenen Strukturen interagieren (also Autoantikörper), eliminiert. Erst danach verlassen die B‑Lymphozyten als reife naive B‑Zellen das Knochenmark, um über das periphere Blut in den Lymphknoten zu gelangen [3]. Dort kann sich die B‑Zelle mit der Hilfe von bestimmten T‑Zellen weiter in eine Prä- oder Post-switch-Gedächtniszelle sowie in einen Plasmablasten und eine doppelt negative B‑Zelle entwickeln (siehe Abb. 1).
×
Anzeige
Bei der Entstehung des SLE wird sowohl eine Störung des angeborenen als auch des adaptiven Immunsystems beobachtet, die sich im Sinne einer Rückkopplungsschleife negativ beeinflusst.
Störungen des angeborenen Immunsystems zeigen sich durch Verminderung von verschiedenen Komplementfaktoren, besonders Komplementfaktor C3 und C4, durch die überschießende Aktivierung dieses Systems. Beim erworbenen Immunsystem findet man eine gesteigerte Reaktion der B‑ und T‑Lymphozyten mit Verlust der Toleranz gegenüber Selbstantigenen [8, 9].
Bei der Entstehung des SLE zeigt sich eine Störung des angeborenen und des adaptiven Immunsystems
Ein komplexes Zusammenspiel von fehlerhafter Beseitigung apoptotischer Abfälle und Immunkomplexe sowie eine gestörte Elimination von Antikörpern und eine vermehrte Produktion von Zytokinen tragen schlussendlich zum Gesamtbild des SLE bei [10].
Anzeige
Es wurden 2019 zur Früherkennung des SLEs zum besseren Verständnis über diese Krankheit und für eine präzisere Labordiagnostik, neue ACR/EULAR(American College of Rheumatology/European League Against Rheumatism)-Klassifikationskriterien [11] überarbeitet, die bei dem klinischen Verdacht auf einen SLE und einer antinukleären Antikörper(ANA)-Positivität von ≥1:80 zur Anwendung kommen sollen (siehe Abb. 2). Sie weisen eine Sensitivität von 96,1 % und eine Spezifität von 93,4 % auf.
×
Laborchemische Abweichungen ohne klinische Erscheinungsform ergeben keine SLE-Diagnose
Wichtig zu erwähnen ist, dass sowohl eine laborchemische als auch eine klinische Manifestation vorliegen muss, um einen SLE zu diagnostizieren. Das bedeutet, dass typische laborchemische Abweichungen ohne klinische Erscheinungsform, laut Definition, keine SLE-Diagnose ergibt.
Zur Behandlung des SLE wurden 2019 die ACR/EULAR-Therapieempfehlungen [12] neu überarbeitet (siehe Abb. 3). Hydroxychloroquin wird bei Diagnosestellung eines SLE mit positiven Effekten auf die Niere als auch kardiovaskulärem Benefit als Goldstandard in der Behandlung empfohlen. Bei extrarenaler Beteiligung wird vor allem Belimumab befürwortet. Eine Therapie mit Mycophenolat-Mofetil und intravenöser Cyclophosphamidgabe ist bei schweren Verläufen des SLE, z. B. aktiver Glomerulonephritis, indiziert. Glukokortikoide werden ebenso weiterhin als Mittel der Wahl bei akuten Ereignissen oder als Low-dosis-Dauertherapie eingesetzt.
×
Trotz intensiver Forschung und den daraus entstehenden Therapieschemata können viele SLE-Patient*innen eine Remission (SLEDAI-2K = 0) nicht erreichen und man muss sich beim Therapieziel mit einer niedrigen Krankheitsaktivität (SLEDAI-2K ≤ 4) zufriedengeben. Darüber hinaus kann es bei SLE-Patient*innen auch nach jahrelanger Remission zum Aufflammen der Erkrankung kommen mit oft lebensbedrohlichen Organmanifestationen. Das mittlere Sterbealter und die standardisierte Sterblichkeitsrate bei SLE-Patient*innen bleibt trotz Therapie weiterhin über Jahrzehnte hinweg hoch [13].
Einige großangelegte Medikamentenstudien (Phase III) wurden bereits durchgeführt, jedoch ohne großen Therapieerfolg, sei es aufgrund von einem schlecht gewählten „primary endpoint“ oder einem schwachen Studiendesign. SLE-Patient*innen sind sehr heterogen und oft erschweren Begleit- oder Kortisontherapien mit artifiziellen Vorschriften der Reduktion, den Verlauf der Studie.
In Österreich sind derzeit lediglich Hydroxychloroquin, Azathioprin und Belimumab zur SLE-Therapie zugelassen
Es sind daher in Österreich derzeit lediglich Hydroxychloroquin, Azathioprin und Belimumab zur offiziellen SLE-Therapie zugelassen. Die restlichen Medikamente werden daher im Sinne eines Off-Label-Use verwendet. Eine Langzeitkortisontherapie mit allen ihren langfristigen Nebenwirkungen bei oft sehr jungen SLE-Patient*innen ist daher weiterhin ebenso ein konstantes Problem wie der unvorhersehbare Schub von SLE-Patient*innen in Remission oder mit stabiler niedriger Krankheitsaktivität. Neue Studienmedikamente zur Behandlung des SLE und Biomarker, die einen zukünftigen Therapieschub vorhersagen können, sind deshalb dringen erforderlich.
Anzeige
Es erfolgte daher 2019 am LKH Graz, an der Abteilung für Rheumatologie und Immunologie, eine retrospektive Studie, die das Ziel hatte, das B‑Zell-Repertoire von SLE-Patient*innen in Remission und mit geringer Krankheitsaktivität (SLEDAI-2K ≤ 4) genauer zu untersuchen.
Bei 42 an SLE erkrankten Patient*innen und 74 altersangepassten gesunden Kontrollen wurden über einen Zeitraum von 2 Jahren Blutproben zur B‑Zell-Subtypen-Analyse erhoben. Im Rahmen der Blutanalyse zur Quantifizierung der Subtypen wurden die B‑Zellen mit Antikörper gegen membrangebundes IgD, CD19, CD20, CD5 und CD27 charakterisiert und entsprechend klassifiziert: naive B‑Zellen (IgD+27−), Prä-switch-Gedächtnis-B-Zellen (IgD+, CD27+), Post-switch-Gedächtnis-B-Zellen (IgD−, CD27+), Plasmablasten (IgD−, CD27„high“), B1-B-Zellen (CD5+27−) und „MBL-like“ B‑Zellen (CD5++).
Die Bestimmung der Dichte des Aktivitätsmoleküls CD19 auf B‑Zellen erfolgte mittels Durchflusszytometrie (QuantiBRITE PE-Kit von Becton Dickinson, USA). Zur weiteren Charakterisierung der Aktivität der B‑Zell-Subpopulation wurde die Expression von CD38 und CD86 auf den B‑Zell-Untergruppen analysiert. Alle Untersuchungen wurden mit einer standardisierten BD-LSR-Fortessa-Plattform durchgeführt.
Die 42 SLE-Patient*innen waren im Durchschnitt 42 ± 13 Jahre alt, 88 % davon waren weiblich, und hatten im Durchschnitt eine SLE-Krankheitsdauer von 10,9 ± 7 Jahren. Alle SLE-Patient*innen befanden sich zu diesem Zeitpunkt – gemessen durch den SLEDAI-2K von 2,0 ± 1,7 – in Remission oder hatten eine geringe Krankheitsaktivität. Die gesunde Vergleichskontrolle war im Durschnitt 46 ± 17 Jahre alt, wovon 80 % weiblich waren.
Anzeige
Die SLE-Patient*innen hatten im Vergleich zur gesunden Kontrolle signifikant mehr B‑Zellen vom Typ B1 ([Median ± SE] 16,8 ± 2,1 % vs. 9,9 ± 0,7 %; p = 0,001). Außerdem waren naive und MBL-B-Zellen bei den SLE-Patient*innen signifikant häufiger, als bei den gesunden Kontrollen (77,2 ± 3,6 % vs. 61,6 ± 1,4 %; 0,3 ± 0,1 % vs. 0,2 ± 0,1 %; p < 0,005). Gedächtnis- und Marginalzonen-B-Zellen waren bei SLE-Patient*innen mit geringer Krankheitsaktivität signifikant reduziert (10,2 ± 1,8 % vs. 16,6 ± 1,0 %; 2,9 ± 0,9 % vs. 9,9 ± 0,7 %; p = 0,001).
Interessanterweise war auch die Zahl der Nicht-switch-Gedächtnis-B-Zellen bei SLE-Patient*innen im Vergleich zur gesunden Kontrolle signifikant niedriger (2,1 ± 0,7 % vs. 6,5 ± 0,5 %; p < 0,0001). Bei der Anzahl der CD19-Moleküle auf der Oberfläche der B‑Zellen von SLE-Patient*innen und der gesunden Kontrolle wurde kein signifikanter Unterschied festgestellt (7432 ± 449 vs. 7900 ± 225). Auch der Anteil der CD86-positiven B‑Zellen war bei SLE-Patient*innen und in der gesunden Kontrolle ähnlich (9,3 ± 1,1 % vs. 8,4 ± 0,4 %; p = 0,421; Abb. 4, 5 und 6).
×
×
×
Eine weitere Analyse beschäftigte sich mit der Verteilung der B‑Zell-Subtypen und der Korrelation zur weiteren Erkrankungsaktivität nach 3 Jahren.
Bei 39 an SLE erkrankten Patient*innen wurden über einen Zeitraum von 2 Jahren Blutproben zur B‑Zell-Subtypen-Analyse gesammelt sowie eine deskriptive Datenerhebung durchgeführt. Anschließend erfolgte nach einer Nachbeobachtungszeit von 3 Jahren eine weitere deskriptive Datenerhebung betreffende der Krankheitsaktivität gemessen durch den SLEDAI-2K.
Anzeige
Die B‑Zell-Typisierung erfolgte wie bereits oben beschrieben.
39 SLE erkrankte Patient*innen waren zum Zeitpunkt der Blutabnahme im Durschnitt 43 ± 13 Jahre alt, 87,2 % davon waren weiblich, und hatten im Durchschnitt eine SLE-Krankheitsdauer von 11,7 ± 7 Jahren. Die Patient*innen befanden sich zum Zeitpunkt der Blutabnahme in Remission oder hatten eine geringe Krankheitsaktivität mit einem Durchschnitts-SLEDAI-2K von 2,0 ± 1,5 (Median ± SD) vorzuweisen.
22 SLE-Patient*innen wurden mit Hydroxychloroquin (85,8 %) behandelt und 19 Patient*innen erhielten eine Therapie mit Mycophenolat-Mofetil (n = 14; 54,6 %) oder Azathioprin (n = 5; 19,5 %). 5 Patient*innen wurden mit anderen DMARD behandelt. Unabhängig von der laufenden Therapie mit Hydroxychloroquin und/oder Mycophenolat-Mofetil konnten keine signifikanten Unterschiede bei naive, Nicht-switch-Gedächtnis‑, Post-switch-Gedächtnis‑, Plasmablasten, B1- oder MBL-ähnlichen B‑Zellen festgestellt werden.
SLE-Patient*innen, die mit einer Azathioprintherapie behandelt wurden, hatten signifikant weniger naive B‑Zellen (Mittelwert ± SD 39,3 ± 6,7 vs. 73,1 ± 19,3 %; p = 0,028), aber signifikant mehr IgD-post-switch-B-Zellen (31,2 ± 9,1 vs. 12,5 ± 9,2 %; p = 0,028) im Vergleich zu Patient*innen ohne Azathioprinbehandlung. Zusätzlich waren die aktivierten B‑Zellen bei den mit Azathioprin Behandelten signifikant höher als bei den Patient*innen ohne Azathioprintherapie (5,5 ± 1,5 vs. 1,8 ± 1,1 %; p = 0,009).
Nach 3 Jahren Nachbeobachtungszeit befanden sich fast alle Patient*innen (n = 36) in Remission (Median ± SE, SLEDAI-2K: 2,0 ± 2,0), mit Ausnahme von 3 Patient*innen, die einen SLEDAI-2K von ≥6 hatten. Weitere Subanalysen haben interessanterweise gezeigt, dass genau diese Patient*innen zum Zeitpunkt der Blutabnahme (also vor 3 Jahren) statistisch gesehen mehr naive B‑Zellen (p = 0,041) und weniger B1-ähnliche B‑Zellen (p = 0,020) im Vergleich zu den anderen SLE-Patient*innen, die sich nach 3 Jahren in Remission befanden, hatten.
Zusammenfassend zeigte sich bei unseren Analysen, dass Patient*innen, die einen hohen Anteil an naiven B‑Zellen im Blut aufwiesen, nach 3 Jahren einen moderaten bis hochaktiven SLE hatten. Die Konsequenz daraus wäre, die Reduktion der naiven B‑Zell-Population als zusätzliches Therapieziel zu integrieren. Dies sollte in einer prospektiven Studie genauer untersucht werden.
Die Forschung wurde in „CBmed“ durchgeführt und von der österreichischen Bundesregierung im Rahmen des COMET-K1-Zentrumsprogramms, dem Land Steiermark und dem Land Wien finanziert.
S. Zenz und H.-P. Brezinsek geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren Blutproben von PatientInnen entnommen und die Daten retrospektiv ausgewertet. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de.
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.