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Ärzte Woche

01.02.2022

Die „Kosk“ und andere Blödheiten

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizinkabarettist

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© Lightspruch

Schnelle Trends führen oft zu schnellem Vergessen.

Wie haben wir uns vor einigen Jahren noch das Maul über japanische Touristen mit Mundschutzmaske zerrissen. Mittlerweile steckt unser zerrissenes Maul ebenfalls in solch einer Maske. Dennoch hat uns der Hochmut nicht verlassen, und ein neuer Trend sorgt bei den Europäern für Amüsement: Die „Kosk“, zusammengesetzt aus dem koreanischen „ko“ für „Nase“, und der „mask“, bedeckt ausschließlich die Nase und kann daher auch beim Essen getragen werden, um seinen Tischnachbarn während der Vorspeise nicht mit Corona anzuniesen. Der Guardian bezeichnete sie als die „nächste Stufe der Dummheit“, wohl wissend, dass bald schon die „Kosk“ als einzig wahrer Schutz vom Guardian angepriesen und die „Kosk-Verweigerer“ verachtet werden.

Insofern sollte man sich davor hüten, Trends als lächerlich abzukanzeln, da sie mit großer Zuverlässigkeit postwendend bei uns ankommen. Die Geschwindigkeit ist verblüffend und wenn es vor einigen Jahren noch niemanden interessierte, ob in China ein Sack Reis umfällt, kann es heute von Interesse sein, wenn ein chinesischer Vegetarier umfällt und auf einem Wochenmarkt in Wuhan eine Fledermaus snackt.

Mit der Globalisierung geht alles ein wenig rascher als früher. Egal, ob es sich um die Ausbreitung von Viren, Modetrends oder Dickpics auf Whatsapp handelt. Das modische Kettenhemd gelangte in der Antike erst Jahre später aus dem fernen Lutetia nach Rom (mit AmazonPrime bereits Monate später). Mittlerweile erfährt man bereits heute, was morgen „in“ sein wird, um es gestern bestellen zu können.

Auch Forschungsergebnisse verbreiten sich unsagbar rasch. Es hat gedauert, bis sich in der Antike das Badewannenexperiment von Archimedes zur Bestimmung der Dichte seines Badewannenabflusses in der Welt verbreitet hat. In der Pandemie musste man nicht einmal auf ein Peer-Review warten, sondern konnte bereits die ersten Arbeitsschritte („Habe gerade einen Objektträger eingelegt“) und Mutmaßungen („Vermutlich reduziert Red Bull i. v. die Entstehung von Long-COVID“) auf einen Preprint-Server hochladen. Von diesem digitalen Baum der Erkenntnis lassen sich die Studien bequem und in Echtzeit von jedem Ort der Welt pflücken.

So ist zwar der Informationsfluss unsagbar schnell, allerdings auch die Zeitspanne bis zum Verfallsdatum des Trends. Mode ändert sich täglich und hat das Zalando-Kettenhemd doch einige Jahrhunderte bis zum Mittelalter überdauert, ist es absehbar, dass man die hippe High-Waist-Trainingshose im nächsten Monat großmütig einer humanitären Kleidersammelstelle vermachen darf. Schnelllebigkeit führt auch dazu, dass die Vergessenskurve steil abfällt und wir uns bereits ein paar Jahre nach Fukushima ein Atomkraftwerk in den Garten stellen wollen. Das verdrängte Wasser des Archimedes haben wir jedoch keineswegs verdrängt und wird auch bei der kommenden mündlichen Matura abgeprüft. Und mit der „Kosk“ sieht man dabei sogar den Mund.

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Metadaten
Titel
Die „Kosk“ und andere Blödheiten
Publikationsdatum
01.02.2022
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 6/2022

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