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Ärzte Woche

18.01.2022

Die älteste Straße nach Europa

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Unsere Urahnen drangen in den vergangenen Jahrhunderttausenden in mehreren Anläufen nach Europa und Asien vor. Sie nutzten den Levante-Korridor.

Die Wiege des Menschen befindet sich in Afrika – das ist seit einem halben Jahrhundert bekannt. Bis vor einem Jahrzehnt gab es die Vorstellung, dass vor rund 70.000 Jahren eine kleine Gruppe des Homo sapiens von Afrika nach Europa einwanderte. Durch anatomische und intellektuelle Überlegenheit soll sie bei ihrem Vormarsch archaische lokale Populationen verdrängt haben, wodurch der Homo sapiens als einziger genetischer Zweig der Menschheit überlebte.

„Dieses Bild hat sich grundlegend verändert, seit sich herausgestellt hat, dass die Neandertaler zumindest zu einem kleinen Teil zum Genom des Homo sapiens beigetragen haben“, sagt der Paläobotaniker Prof. Dr. Thomas Litt von der Universität Bonn. „Die Genetik erzählt nicht ganz dieselbe Geschichte – oder einen anderen Teil der Geschichte – wie die Paläontologie und die Archäologie.“ Litt löste das Problem, indem er Informationen zur Natur und Umwelt sowie die Rolle der Kultur analysierte. Die Forscher konzentrierten sich auf verschiedene Zeitabschnitte: von der Entstehung des modernen Menschen, seine Ausbreitung, die Wiederbesiedlung des eiszeitlichen Europas, die neolithische Besiedlung sowie die Migration sesshafter Gesellschaften.

Seine Erkenntnisse zeigen, dass nicht nur eine Migrationswelle, sondern mehrere afrikanische Homo-sapiens-Populationen auf ihrer bis zu 5.000 km langen Reise nach Europa und Asien geführt haben. Verbesserte radiometrische Datierungen von Homo-sapiens-Fossilien legen nahe, dass das Ursprungsgebiet des modernen Menschen nicht nur Ostafrika, sondern auch Süd- und Nordwest-Afrika umfasst. Die Zeitskala des Homo sapiens reicht nun bis auf 300.000 Jahre zurück. Die Wissenschaft ging bislang davon aus, dass es zwei mögliche Hauptrouten des modernen Menschen nach Europa gab: Die westliche über die Straße von Gibraltar und die östliche über die Levante. Trotz der geringen Entfernung über die Straße von Gibraltar konnten die Forscher keinen Beleg für direkte kulturelle Kontakte zwischen Marokko und der Iberischen Halbinsel beziehungsweise Hinweise für die Überquerung der Meerenge während des Paläolithikums finden. „Dies ist eines der großen Fragezeichen in der Geschichte der menschlichen Besiedlung im westlichen Mittelmeerraum“, sagt Litt. Offenbar sei die Straße von Gibraltar damals aufgrund starker Meeresströmung eher eine Barriere gewesen.

„Somit ist die Levante als einzige permanente Landverbindung zwischen Afrika und Eurasien die Schlüsselregion als Migrationsweg des modernen Menschen“, sagt Litt. Seine Arbeitsgruppe forschte intensiv an Bohrkernen etwa aus dem Toten Meer oder dem See Genezareth, in denen Pflanzenpollen konserviert sind. Daraus lassen sich Veränderungen des Pflanzenkleids ablesen und die Umwelt- und Klimaverhältnisse rekonstruieren. Litt: „Diese Daten verdeutlichen, dass die Levante nur als Korridor in Frage kam, wenn unter günstigeren Bedingungen weder Wüsten noch dichte Wälder den Vormarsch erschwerten.“

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Metadaten
Titel
Die älteste Straße nach Europa
Publikationsdatum
18.01.2022
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 3/2022

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