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Erschienen in: Pädiatrie & Pädologie 1/2021

Open Access 01.06.2021 | Leitthema – Kapitel 1

Diagnose, Klassifikation, Epidemiologie

verfasst von: Birgit Rami-Merhar, Andrea Jäger, Maria Fritsch, Ursula Lück, Elke Fröhlich-Reiterer

Erschienen in: Pädiatrie & Pädologie | Sonderheft 1/2021

Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Diagnostik

Unter Diabetes mellitus versteht man eine Gruppe von metabolischen Erkrankungen, die, durch eine verminderte Insulinsekretion und/oder auch Insulinwirkung verursacht, zu einer chronischen Hyperglykämie führen. Meistens kann in der Pädiatrie die Diagnose durch das Vorhandensein der klassischen Symptome (Polyurie, Polydipsie, Gewichtsverlust, Müdigkeit und andere) und einer Blutzuckermessung (≥200 mg/dl) gestellt werden. Ein oraler Glukosetoleranztest (oGTT) ist bei Kindern nur selten notwendig und vereinzelten Situationen vorbehalten, in denen die Diagnose des Diabetes unklar ist. Die Glukosebelastung muss gewichtsbezogen durchgeführt werden. Ansonsten sind in der Pädiatrie die gleichen Diagnosekriterien wie bei Erwachsenen gültig.
Die Diagnose Diabetes mellitus kann gestellt werden [1, 2]:
a)
HbA1c > 6,5 % (IFCC > 47,5 mmol/mol) (DCCT-standardisiertes Labor) oder
b)
Nüchtern-Plasma-Glukose ≥126 mg/dl (mindestens 8 h keine Kalorienaufnahme) oder
c)
Plasmaglukose im oGTT ≥ 200 mg/dl (1,75 g Glukose/kg Körpergewicht oral, maximal 75 g) oder
d)
Klassische Diabetessymptome oder hyperglykämische Krise mit einer Plasmaglukose ≥ 200 mg/dl
-
Gestörte Glukoseintoleranz (IGT): 2 h-Blutzuckerwert (BZ) im oGTT: 140–199 mg/dl
-
Gestörte Nüchtern-Glukose (IFG): Nüchtern-BZ: 100–125 mg/dl
IGT bzw. IFG können Vorstufen in der Entwicklung eines Diabetes mellitus darstellen und mit einem metabolischen Syndrom vergesellschaftet sein.

Klassifikation

Nach der American Diabetes Association werden 4 große Diabetesgruppen unterschieden [1].
1.
Typ-1-Diabetes (T1D)
Zerstörung der B‑Zellen, die zu einer Störung der Insulinsekretion und in Folge zu einem absoluten Insulinmangel führt.
A.
Autoimmun-Diabetes (spezifische Antikörper: ICA, GAD, IA 2, IAA, ZnT 8)
 
B.
Idiopathisch (Hypoplasie, PDX-Mangel)
 
 
2.
Typ-2-Diabetes (T2D)
Kann variieren von überwiegender Insulinresistenz mit relativem Insulinmangel bis zu einem überwiegenden Sekretionsdefekt mit Insulinresistenz.
 
3.
Andere Diabetesformen
A.
Genetische Defekte der B‑Zell-Funktion (v. a. MODY, neonataler Diabetes mellitus)
 
B.
Genetische Defekte in der Insulinwirkung
 
C.
Erkrankungen des exokrinen Pankreas (pankreatopriver Diabetes, v. a. CF-related Diabetes, Pankreatitis)
 
D.
Endokrinopathien (z. B. Cushing, Hyperthyreose)
 
E.
Medikamenten- oder chemikalieninduzierter Diabetes mellitus (z. B. Glukokortikoide)
 
F.
Assoziation mit Infektionen
 
G.
Seltene Formen eines immunologisch bedingten Diabetes
 
H.
Genetische Syndrome, die mit einem Diabetes assoziiert sind
 
 
4.
Gestationsdiabetes
 

T1D

T1D ist in der europäischen Bevölkerung mit > 90 % die häufigste Diabetesform im Kindes- und Jugendalter [2].
Dem T1D liegt in der überwiegenden Zahl der Fälle ein Autoimmunprozess gegen die B‑Zellen zugrunde. Dieser spiegelt sich in der Positivität von B‑Zell-spezifischen Autoantikörpern wider (Insulinautoantikörper, GAD-Antikörper, IA 2-Antikörper, Inselzellantikörper, Zink-8-Transporter-Antikörper). Der Beginn ist meist akut (2–3 Wochen) mit der klassischen diabetischen Symptomatik (Polyurie, Polydipsie, Enuresis/Nykturie, Gewichtsverlust usw.). Die Kinder sind meist normal- oder sogar untergewichtig.

T2D

Der T2D kommt im Kindes- und Jugendalter in der kaukasischen Bevölkerung wesentlich seltener vor als der T1D. Die Patienten sind meist übergewichtig mit einem BMI > 90 Perzentile. Sie haben in der Mehrzahl der Fälle nur eine milde diabetische Symptomatik und nur in Ausnahmefällen eine Ketonurie (oder Ketoazidose). Die Manifestation erfolgt meist um die Pubertät und die Patienten weisen Zeichen der Insulinresistenz auf (Acanthosis nigricans, erhöhte C‑Peptidspiegel). Häufig findet sich eine positive Familienanamnese für T2D.

Andere häufigere Diabetesformen

„Maturity onset diabetes of the young“

Unter „maturity onset diabetes of the young“ (MODY) ist eine Gruppe von Diabetesformen zusammengefasst, die einer autosomal dominanten Vererbung folgen. Es sind inzwischen mehr als 10 MODY-Typen beschrieben worden, die häufigsten sind in Tab. 1 aufgeführt. Je nach molekulargenetischem Befund zeigen sie einen sehr milden (MODY 2) oder progredienten (MODY 3) Verlauf [3].
Tab. 1
Häufige MODY-Typen und klinische Präsentation
Gen
Lokus
Klinische Präsentation
Therapie
HNF4A (MODY 1)
20q12–q13,1
Makrosomie, neonatale Hypoglykämie, renales Fanconi-Syndrom (mutationsspezifisch)
Sulfonylharnstoff
GCK (MODY 2)
7p15–p13
Milde asymptomatische Hyperglykämie
Keine/Diät
HNF1A (MODY 3)
12q24,2
Renale Glukosurie
Sulfonylharnstoff
HNF1B (MODY 5)
17q12
Renale Fehlbildungen, genitale Fehlbildungen
Insulin

Neonataler Diabetes mellitus

Von neonatalem Diabetes mellitus spricht man, wenn in den ersten 6 Lebensmonaten eine Hyperglykämie mit einer Dauer von mehr als 2 Wochen auftritt. Neonataler Diabetes kann transient oder permanent sein [3].

Diabetes mellitus bei zystischer Fibrose

Der Diabetes mellitus bei zystischer Fibrose („CF-related diabetes“; CFRD) ist gekennzeichnet durch einen relativen Insulinmangel und durch eine wechselnde Insulinresistenz im Rahmen von Infektionen oder medikamentösen Behandlungen [4].

Epidemiologie

Die Inzidenz des T1D im Alter < 15 Jahre zeigt sehr große regionale Unterschiede, weltweit und auch innerhalb von Europa (Abb. 1). In den allermeisten Regionen ist die Inzidenz zunehmend [5], so auch in Österreich. Zwischen 1999 und 2012 lag bei Kindern und Jugendlichen mit T1D in Österreich die jährliche Zuwachsrate (APC) bei 4,5 % (95 % Konfidenzintervall [CI]: 3,94; 5,06). Danach konnte bis 2017 ein Plateau beobachtet werden (APC 0,28; 95 %CI: −3,94; 4,69). Diese Beobachtung wurde hauptsächlich durch die Dynamik in der jüngsten Altersgruppe (0–4 Jahre) gesteuert. Hier zeigte sich bis 2007 ein steiler Anstieg (APC 7,1; 95 %CI: 5,05; 9,19) und zwischen 2007–2017 ein Abfall (APC −0,86; 95 %CI: −4,41; 2,82; [6, 8]).
Der T2D im Kindes- und Jugendalter < 15 Jahren kommt in ethnischen Risikopopulationen in einigen Regionen der Welt zunehmend vor [7]. Der T2D korreliert mit zunehmender Adipositas; es sind vermehrt Jugendliche und in einem höheren Prozentsatz Mädchen betroffen [9].
In Österreich zeigte sich im Zeitraum 1999–2017 keine signifikante Zunahme beim T2D <15 Jahren (nationale, populationsbezogene Kohorte). Nur 1,8 % aller Diabeteserstmanifestationen in Österreich sind in dieser Altersgruppe dem T2D zuzuordnen [6, 8].
Für die Gruppe der anderen Diabetesformen gibt es bisher keine validen Zahlen für die Inzidenz und Prävalenz. Innerhalb dieser Gruppe wurden aufgrund der verbesserten Genetik vermehrt Patienten mit MODY-Diabetes klassifiziert. Für Deutschland wird geschätzt, dass <1 % der jugendlichen Diabetespatienten einen MODY-Diabetes haben [10]. Die Prävalenz des CFRD steigt mit zunehmenden Alter der CF-Patienten (CFRD-Prävalenz in Europa bei 5 % [10–14 Jahre] bzw. 13 % [15–19 Jahre]; [4]). In Österreich macht die Gruppe der anderen Diabetesformen im Alter bis <15 Jahren 4,0 % der Erstmanifestation aus. Sie treten damit deutlich häufiger auf als T2D [6].
Der neonatale Diabetes ist eine äußerst seltene Erkrankung und wird in Österreich nur bei 1:160.000 Neugeborenen beobachtet [11].

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

B. Rami-Merhar, A. Jäger, M. Fritsch, U. Lück und E. Fröhlich-Reiterer geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Literatur
1.
Zurück zum Zitat American Diabetes Association (2015) Classification and diagnosis of diabetes. Diabetes Care 38:S8–S16CrossRef American Diabetes Association (2015) Classification and diagnosis of diabetes. Diabetes Care 38:S8–S16CrossRef
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Zurück zum Zitat Mayer-Davis EJ et al (2018) ISPAD clinical practice consensus guidelines 2018: definition, epidemiology, and classification of diabetes in children and adolescents. Pediatr Diabetes 19:7–19CrossRef Mayer-Davis EJ et al (2018) ISPAD clinical practice consensus guidelines 2018: definition, epidemiology, and classification of diabetes in children and adolescents. Pediatr Diabetes 19:7–19CrossRef
3.
Zurück zum Zitat Hattersley AT et al (2018) ISPAD clinical practice consensus guidelines 2018: the diagnosis and management of monogenic diabetes in children and adolescents. Pediatr Diabetes 19:47–63CrossRef Hattersley AT et al (2018) ISPAD clinical practice consensus guidelines 2018: the diagnosis and management of monogenic diabetes in children and adolescents. Pediatr Diabetes 19:47–63CrossRef
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5.
Zurück zum Zitat International Diabetes Federation (2019) IDF diabetes atlas, 9. Aufl. International Diabetes Federation (2019) IDF diabetes atlas, 9. Aufl.
6.
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7.
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Metadaten
Titel
Diagnose, Klassifikation, Epidemiologie
verfasst von
Birgit Rami-Merhar
Andrea Jäger
Maria Fritsch
Ursula Lück
Elke Fröhlich-Reiterer
Publikationsdatum
01.06.2021
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Pädiatrie & Pädologie / Ausgabe Sonderheft 1/2021
Print ISSN: 0030-9338
Elektronische ISSN: 1613-7558
DOI
https://doi.org/10.1007/s00608-021-00872-y

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