Open Access 23.05.2025 | Diabetologie | Originalien
Positionspapier – Telemedizin in der Behandlung von Menschen mit Diabetes mellitus
Erschienen in: Journal für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel | Ausgabe 2/2025
Zusammenfassung
Einleitung
Bei chronischen Erkrankungen sind wiederkehrende Kontakte mit medizinischem Fachpersonal notwendig, weswegen ein beträchtlicher Zeitaufwand für die Patient:innen und die betreuenden Teams entsteht.
Die technologischen Entwicklungen der letzten 20 Jahre stellen eine ideale Voraussetzung für die telemedizinische Behandlung dar. Gerade in der Diabetologie eignen sich sowohl die Auswertungen der Insulinpumpensysteme als auch die Glukosemessprotokolle hervorragend zur telemedizinischen Behandlung von Menschen mit Diabetes mellitus.
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Vor allem Menschen mit Diabetes in Regionen mit geringerer diabetologischer Betreuungsdichte oder mangelnden Betreuungsmöglichkeiten könnten von telemedizinischer Versorgung und Kontakten mit medizinischem Fachpersonal profitieren.
Langfristig gewährleistet die Telemedizin bei ausgewählten Patient:innen eine effektivere Betreuung mit deutlichen patient:innenseitigen Vereinfachungen.
Bei Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1 kann durch telemedizinische Betreuung eine weitere Reduktion des HbA1c um 0,26 % erreicht werden, wobei diese Resultate auf Metaanalysen kleinerer Studien basieren [1]. Auch eine moderate Verbesserung der Zeit im Zielbereich konnte dokumentiert werden [2]. Eine telemedizinische Intervention bei Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2, welche länger als sechs Monate durchgeführt wurde, führte ebenfalls zu einer signifikanten Senkung des HbA1c [3]. Trotz aller Vorteile einer telemedizinischen Betreuung (Tab. 1) muss auch in diesem Setting der langfristigen Therapieadhärenz eine besondere Bedeutung beigemessen werden, letztlich zeigen Untersuchungen, dass nach dem Ende der COVID-19-Maßnahmen auch eine abnehmende Therapieadhärenz bei telemedizinischer Betreuung aufgetreten ist [4].
Tab. 1
Telemedizin – Vorteile und Herausforderungen
Vorteile | Herausforderungen |
---|---|
Weniger Zeit für Ambulanzkontakt | Zeitaufwand für Zentren |
Keine Anreise | Genaue Einhaltung des Ambulanzslots |
Bessere Integration in den Alltag | Aufklärung der Menschen mit Diabetes am Beginn der Betreuung |
Effektiverer, fokussierter Kontakt | Überhöhte Erwartungen – ständige Überwachung |
Zeitersparnis | Lückenlose Dokumentation |
– | Datenschutzkonforme Übermittelung der Daten |
Um die Ressource der Telemedizin optimal nutzen zu können, muss vorab eine sorgfältige Evaluierung individueller Präferenzen sowie vorhandener technischer Skills und der Hardware erfolgen.
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Welche Menschen mit Diabetes mellitus können telemedizinisch betreut werden?
Nach Diagnosestellung und Wahl der Therapie kann in Absprache mit dem behandelnden Diabetesteam das Angebot einer zusätzlichen telemedizinischen Betreuung gemacht werden. Folgende Voraussetzungen können die Effektivität der telemedizinischen Betreuung erhöhen:
Ausreichende Schulung, bestehendes Vertrauensverhältnis, selbstständiges Beherrschen der technischen Diabetestherapie und die Kompetenz, selbstständig Datenup- und -downloads durchzuführen.
Aktuell empfehlen wir, nur Menschen mit Diabetes bzw. deren Familien (bei Kindern mit Diabetes mellitus Typ 1), welche in der Anwendung ihrer Diabetestechnologie firm sind, telemedizinisch zu betreuen.
Je nach Diabetestyp, Diabetestherapie, Zielsetzung und Patient:innenpräferenz muss das Ausmaß einer möglichen telemedizinischen Unterstützung individuell abgestimmt werden.
Die telemedizinische Betreuung stellt somit eine Erweiterung des Behandlungsspektrums dar, welches neben den telemedizinischen Visiten auch körperliche Untersuchungen und regelmäßige laborchemische Kontrollen entsprechend den aktuellen Leitlinien beinhaltet.
Folgende Personengruppen erscheinen für telemedizinische Besuche besonders geeignet
-
Therapie mit AID-Systemen (automatische Insulin-Dosierung)
-
Therapie mit Insulinpumpen (Schlauchpumpen oder Patchpumpen) und Sensorunterstützung (CGM-Nutzung – kontinuierliche Glukose-Messung)
-
Funktionelle Insulintherapie mit Sensorunterstützung (real-time CGM oder isCGM) und Smartpens und/oder Tagebuch-App
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Diabetes mellitus Typ 1 und Schwangerschaft
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Diabetes mellitus Typ 2 mit Sensornutzung (CGM-Nutzung)
-
Diabetes mellitus Typ 2 zur Evaluierung von Therapieoptimierungen
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Gestationsdiabetes mit engmaschiger Kontrollfrequenz mit Sichtung von Glukoseprofilen und zur Anpassung der (Insulin‑)Therapie
Technische Voraussetzungen
Eine telemedizinische Beratung ist hinsichtlich rechtlicher Aspekte und in Bezug auf die Datensicherheit besonders sensibel. Die Implementierung einer telemedizinischen Sprechstunde sollte daher in enger Absprache mit der IT-Abteilung des behandelnden Zentrums erfolgen.
Sollte kein Zugang zu den Auswertungsportalen vorliegen, werden die Patient:innen gebeten, ihre Auswertungsresultate vorab an das behandelnde Zentrum zu übermitteln, sodass die Daten zum vereinbarten Termin vorliegen.
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Am Beginn der telemedizinischen Betreuung sollten die dafür geplanten Patient:innen eine strukturierte schriftliche Information sowie Einverständniserklärung erhalten.
Individuell sollte entschieden werden, ob der telemedizinische Kontakt rein telefonisch oder mit einer videobasierten Software stattfindet.
Planung der Sprechstunde
Wie auch bei den persönlichen Kontakten empfehlen wir für die telemedizinische Betreuung die Vereinbarung von fixen Terminen. Die Protokolle sollten 24 h vor dem telemedizinischen Ambulanzkontakt mittels sicherer Datenleitung übermittelt werden. Die Dokumentation der telemedizinischen Sprechstunde sollte wie bei einem Besuch vor Ort erfolgen, eine lückenlose Informationsweitergabe an Patient:innen und weitere betreuende Ärzt:innen muss sichergestellt sein.
Telemedizinische Betreuung kann den persönlichen ärztlichen Kontakt nicht vollständig ersetzen. Wir empfehlen daher bei optimal laufender telemedizinischer Betreuung einen persönlichen Kontakt zumindest einmal jährlich.
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Erstattung für intra- und extramuralen Bereich
In den Krankenhausambulanzen werden telemedizinische Visiten aktuell wie persönliche Ambulanzbesuche mit 40 LKF-Punkten (nach dem Modell der leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung) abgeglichen.
Im niedergelassenen Bereich gibt es bereits Abrechnungsmöglichkeiten für telemedizinisch erbrachte Leistungen. Im aktuellen Leistungskatalog der Gesundheits- und Krankenkassen wird die entsprechend codierte Leistung durch den Suffix TELE bzw. VIDEO ergänzt. Es ist im Fall einer telemedizinischen Leistung auch möglich, Menschen mit Diabetes mit der sogenannten O‑Card zu verrechnen. Der zusätzliche Aufwand und die entstehenden Kosten wie Kamera und funktionierende Hard- und Software müssen vom Betreiber bzw. der betreuenden Ordination getragen werden. Da gerade in der diabetologischen Betreuung ein regelmäßiger Datenaustausch und beratende Gespräche notwendig sind, welche in multidisziplinären Teams bestehend aus Diabetolog:innen, Diabetesberater:innen, Diätolog:innen und Psycholog:innen erfolgen sollten, ist es derzeit über den bestehenden Kassenleistungskatalog schwierig, eine optimale Betreuung von Menschen mit Diabetes mellitus zu gewährleisten. Im Gegensatz zu Österreich finden sich in anderen europäischen Ländern bereits deutlich mehr und diabetesspezifischere Leistungskataloge und Abrechnungsmöglichkeiten für den niedergelassenen Bereich. Dadurch ist es auch möglich, alle Formen des Diabetes mellitus im niedergelassenen Bereich zu behandeln.
Fazit für die Praxis
Die telemedizinische Betreuung stellt eine deutliche Erweiterung der Behandlungsmöglichkeiten dar. Auf Seiten der Patient:innen ist von einer deutlichen Zeitersparnis und Effektivierung der Ambulanzkontakte auszugehen. Für die behandelnden Zentren gilt es, bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen und möglichst optimal geeignete Patient:innen auszuwählen, welche von einer telemedizinischen Betreuung besonders profitieren.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
M. Resl, G. Köhler, G. Treiber, B. Mallinger-Taferner, I. Schütz Fuhrmann, L. Stechemesser, B. Rami-Merhar, S.E. Hofer, E. Fröhlich-Reiterer, M. Fritsch, M. Clodi, A. Vonbank, C. Ress, A. Kietaibl, P. Fasching, G. Rega-Kaun und J.K. Mader geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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