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Ärzte Woche

Open Access 26.01.2023

Der Vertraute der Habsburger

verfasst von: Martin Krenek-Burger

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Die kurze Karriere des ersten k. k. Hoffotografen umfasste kaum 15 Jahre. Dennoch porträtierte Angerer die Größen seiner Zeit. Der Durchbruch gelang ihm mit einem – dem einzigen – Bild, auf dem Kaiser Franz Joseph I. und Sisi gemeinsam zu sehen sind.

Ohne Ludwig Angerers Fotos besäßen wir heute kein Bilddokument des relativ jungen Kaisers aus dem Jahr 1859; wir hätten kein Bild, das Franz Joseph im Kreis seiner Brüder und mit seiner Frau Sisi zeigt – wir hätten überhaupt kein Bild der beiden! 

Die Zeitgenossen des Traumpaares, ebenso versessen auf Einblicke in das Leben der österreichischen Royals wie ihre Nachfahren nach Indiskretionen Prinz Harrys lechzen, hätten sich nicht an den inszenierten Gruppenbildern der großen Adelshäuser erfreut.

Ermöglicht hat die Freude des kleinen Mannes das günstig zu reproduzierende Format 6 × 9 cm, die sogenannte „Carte de visite“, die in Buch- oder Kunsthandlungen zum Verkauf angeboten wurde. Mit diesem Bildformat reüssierte Ludwig Angerer, dessen Bilder zum Straßenfeger der Monarchie gerieten, und der darob mit Erfolg um den Titel eines „k. k. Hoffotografen“ – gewährt per Dekret vom 25. Dezember 1860 – ansuchte.

Wer war er? Kein Künstler, sondern gelernter Apotheker. Fluch und Segen. Der Vielarbeiter atmete Ungesundes in seiner Dunkelkammer ein – nachzulesen in der Fotozeitschrift „Photographische Correspondenz“, die bis 1971 erschien –, bekam durch das Einatmen der Chemikalien Probleme mit der Lunge und alterte rasch. Er starb 1879, nur 20 Jahre nach seinem größten Coup - einem eilig auf einer Terrasse in Schönbrunn improvisierten Gruppenbild der kaiserlichen Familie, die sich rund um die junge Mutter Sisi und ihre Schwiegermutter Sophie gruppierte. Elisabeth schaut zur Seite, Maximilian studiert etwas auf dem Boden, einzig Franz Joseph, „kess und schneidig“, wie ihn die Historikerin und Buchautorin Michaela Pfundner beschreibt, blickt direkt in die Kamera; das zeugt zumindest von ausgeprägter Disziplin des Kaisers, angesichts einer Belichtungszeit von 15 bis 20 Sekunden und der militärischen Niederlage in der Schlacht von Solferino im gleichen Jahr.

Angerer, 1827 in der heutigen Slowakei geboren, hinterließ Fotografien für die Ewigkeit. Johann Nestroy, Adalbert Stifter, Marie von Ebner-Eschenbach standen vor der Goldmann¹-Kamera Angerers, waren in dessen elegantem, hellen und geräumigen Studio in der Theresianumgasse (ehedem Feldgasse) mit seinen großen Fenstern zu Gast. Angerer war der gefragteste und berühmteste Fotograf seiner Zeit – was man an dem Selbstporträt, vermutlich von seinem Bruder und Nachfolger Viktor Angerer geschossen, erkennt.

Er war ein Glücksfall für die Fotografiegeschichte. Bei einer Exkursion nach Bukarest fiel der ebenso fleißige wie selbstbewusst auftretende Mittdreißiger einem ranghohen Militär auf, der ihn weitervermittelte an das Haus Habsburg. Er wurde zu einem Vertrauten, dem man exklusive Motive bot. Angerer wurde 1872 an das Totenbett der Erzherzogin Sophie gerufen.

Wer Pfundners Buch² „Der Fotograf des Kaiserhauses“ in Händen hält, ist zum einen Kiebitz in Angerers Atelier. Man sieht ihm über die Schulter, wenn er Sisi in typischer, die Frisur betonender Pose ablichtet; vor ihrer Madeira-Reise 1860 stattete Sisi dem Fotostudio einen ersten Besuch ab. „Die Chemie zwischen den beiden dürfte gepasst haben, denn sie kehrte bis 1868 immer wieder in sein Atelier zurück, und danach lässt sie sich nicht mehr fotografieren. Sie konserviert so ihre Schönheit bis zu ihrem Tod.“ Man ist Gast an Orten, die längst nicht mehr existieren – etwa auf Schloss Weilburg in Baden, wo ein Habsburger-Familienmitglied seine Schützlinge mit Leckerlis verwöhnt. Sie dürfen raten, wie viele Hunde sich auf diesem Bild im Buch verstecken. Ein Hinweis: Es sind mehr als sechs und weniger als zehn.

Anmerkungen

¹Die letzte Silbe im Namen des Fotohandelshauses Herlango, das bis 1992 bestand, stammt von Anton Goldmann, einem Tischler und Pionier des Kamerabaus. Ludwig Angerer ließ sich auf einem Selbstporträt, das im Buch zu sehen ist, mit dieser, für damalige Verhältnisse relativ handlichen Kamera ablichten. Anton Goldmann lebte im selben Haus wie Angerer in der Theresianumgasse.

² Ebenfalls im Vorjahr bei Winkler-Hermaden erschienen ist „Die Rotunde – Ein verschwundenes Wiener Wahrzeichen“.


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Metadaten
Titel
Der Vertraute der Habsburger
Publikationsdatum
26.01.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 04/2023

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