Open Access 05.10.2023 | Der Physiologische Moment
Der rechte Ventrikel: ähnlich dem linken Ventrikel und doch ganz anders
Erschienen in: Anästhesie Nachrichten | Ausgabe 4/2023
Der rechte Ventrikel unterscheidet sich anatomisch, physiologisch und hämodynamisch wesentlich vom linken Ventrikel. Bemerkenswerte Unterschiede zeigen sich in der unterschiedlichen Fähigkeit des rechten Ventrikels, auf akute Veränderungen der Vorlast bzw. Nachlast zu reagieren. Über die interventrikuläre Interdependenz sind der rechte und linke Ventrikel in ihrer Größe, Form und Compliance allerdings unzertrennlich miteinander verbunden.
Obwohl William Harvey bereits im Jahr 1616 auf die Relevanz des rechten Ventrikels für den Blutkreislauf verwies [1], blieben die Struktur und Funktion des rechten Herzens lange unerforscht und wurden jenen des linken Herzens untergeordnet. Diese Ansicht wurde zusätzlich bekräftigt durch ein historisches Tierexperiment, bei dem die rechtsventrikuläre Funktion bei Hunden schwer beeinträchtigt wurde, ohne einen relevanten Anstieg im systemischen Venendruck zu beobachten [2], und erste Erfahrungen mit der Fontan-Prodezur, einer palliativen Operationstechnik, die heutzutage in modifizierter Form im Rahmen eines mehrzeitigen Operationsverfahrens bei Kindern mit „single ventricle“-Anomalien durch die Schaffung einer totalen cavo-pulmonalen Anastomose den rechten Ventrikel zur Gänze aus der venös-pulmonalarteriellen Zirkulation ausschaltet [3]. Erst in den letzten Jahrzehnten wurde die essenzielle Bedeutung des rechten Herzens für die Kreislauffunktion, insbesondere während körperlicher Belastung und in Erkrankungszuständen, erkannt. Dabei wurde aufgezeigt, dass sich der rechte Ventrikel in seiner Anatomie und Funktion wesentlich vom linken Ventrikel unterscheidet [4, 5].
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Der rechte Ventrikel liegt dem linken Ventrikel rechts lateral und anterior auf. Von anterior betrachtet bildet er eine rechteckige, im Querschnitt eine halbmondförmige Form. Anatomisch wird der rechte Ventrikel in drei Komponenten eingeteilt:
1.
Einflusstrakt, setzt sich aus Trikuspidalklappe, Chordae tendineae und Papillarmuskeln zusammen
2.
Apikaler Kammeranteil
Das Füllungsvolumen des rechten Ventrikels übersteigt jenes des linken Ventrikels um 10–15 % (75 vs. 66 ml/m2).
Die Muskeldicke des rechten Ventrikels ist mit 2–5 mm deutlich geringer als die Muskeldicke des linken Ventrikels (7–11 mm). Die Myokardmuskulatur ist prinzipiell in drei unterschiedlich orientierten Schichten aufgebaut, welche die beiden Ventrikel miteinander verbinden. Während man beim linken Ventrikel eine longitudinal verlaufende tiefe, eine ringförmig verlaufende mittlere und eine quer verlaufende oberflächliche Myokardschicht unterscheidet, ist die Muskelwand des rechten Ventrikels hauptsächlich aus einer longitudinal verlaufenden tiefen und einer ringförmig verlaufenden oberflächlichen Myokardschicht zusammengesetzt.
Weitere wesentliche anatomische Unterscheidungsmerkmale des rechten vom linken Ventrikel sind die ausgeprägtere intrakavitäre Trabekulierung des rechten Ventrikels, die höhere Zahl an Papillarmuskeln, das Vorhandensein des Moderatorbands (eines vom interventrikulären Septum zum vorderen Papillarmuskel ziehenden Muskelbands, welches den rechten Tawara-Schenkel und die Moderatorbandarterie enthält), die trikuspide atrioventrikuläre Klappe, die apikale Bewegung des septalen Trikuspidalsegels während der Systole sowie der nicht fibröse, sondern kontraktile muskuläre rechtsventrikuläre Ausflusstrakt.
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Diese klaren anatomischen Merkmale erlauben zum Beispiel, den rechten Ventrikel sonographisch selbst dann zu identifizieren, wenn dieser aufgrund von angeborenen Fehlbildungen nicht eindeutig anhand seiner Lage, Wanddicke oder dem Größenverhältnis zum linken Ventrikel zu erkennen ist.
Die hämodynamische Funktion des rechten Herzens besteht darin, Blut aus dem venösen System in die Pulmonalarterien zu pumpen. Damit ist das rechte dem linken Herzen seriell vorgeschaltet und generiert unter physiologischen Bedingungen das gleiche Schlagvolumen wie das linke Herz. Im Gegensatz zum linken Ventrikel sind die endsystolischen Drücke im rechten Ventrikel deutlich geringer (25 vs. 110–130 mm Hg), da der Gefäßwiderstand der pulmonalarteriellen Strombahn nur einen Bruchteil jenes im systemarteriellen Gefäßsystem beträgt (70 vs. 1100 dyn*sek*cm−5). Die enddiastolischen Drücke unterscheiden sich nur geringfügig, wobei auch hier die Drücke im rechten Ventrikel etwas niedriger sind als die im linken Ventrikel (4 vs. 8 mm Hg).
Bei größerem Füllungsvolumen und gleichem Schlagvolumen verglichen mit dem linken Ventrikel ist die Ejektionsfraktion des rechten Ventrikels entsprechend geringer als jene des linken Ventrikels (61 vs. 67 %). Die Kontraktion des rechten Ventrikels unterscheidet sich wesentlich vom linken Ventrikel und wird durch drei Mechanismen generiert:
1.
Einwärtsbewegung der freien Ventrikelwand
2.
Longitudinale Verkürzung der trikuspidal-apikalen Achse
3.
Verschiebung des interventrikulären Septums nach links im Zuge der linksventrikulären Kontraktion
Experimentelle Studien zeigten, dass der letztere Mechanismus ca. 20–40 % des rechtsventrikulären systolischen Druckes und Schlagvolumens generiert [7]. Im Gegensatz zu den Rotationsbewegungen des linken Ventrikels während der Systole und Diastole, die sich auch auf den aortalen Blutstrom übertragen [8], generiert der rechte Ventrikel bedingt durch den hohen Anteil der longitudinal angeordneten subendokardialen Kardiomyozyten primär auch eine longitudinale Kontraktionsbewegung. Dies führt zu einem entsprechend direkten und weitgehend geradlinigen Blutfluss vom rechtsventrikulären Ein- in den Ausflusstrakt und weiter in die Pulmonalarterien [9].
Aufgrund seiner geringeren Wanddicke und Volumen/Wandfläche-Ratio ist der rechte verglichen mit dem linken Ventrikel „complianter“ auf Anstiege der Vorlast. Hingegen weist der rechte Ventrikel, zumindest an absoluten Drücken gemessen, eine deutlich höhere Sensitivität gegenüber Veränderungen des Afterloads auf. Während ein gesunder linker Ventrikel erst ab sehr hohen arteriellen Mitteldrücken (typischerweise 110–120 mm Hg) graduell sein Schlagvolumen reduziert, fällt das Schlagvolumens des rechten Ventrikels bereits bei kleinen Anstiegen des pulmonalarteriellen Mitteldrucks (z. B. von 15 auf 25 mm Hg) exponentiell ab. Je akuter diese Afterload-Veränderungen auftreten, desto ausgeprägter sind die Auswirkungen auf das Schlagvolumen.
Mehr noch als beim linken Ventrikel ist das Schlagvolumen des rechten Ventrikels von der aktiven atrialen Füllung, also dem Vorhandensein eines Sinusrhythmus, abhängig. Gerade bei rechtsventrikulärer Dysfunktion kann das Auftreten von Rhythmusstörungen (z. B. Vorhofflimmern) das rechtsventrikuläre Schlagvolumen empfindlich reduzieren [10].
Der Begriff „ventrikuläre Interdependenz“ beschreibt das physiologische Konzept, dass die Größe, Form und Compliance des rechten und linken Ventrikels infolge mechanischer Interaktionen voneinander abhängig sind [7]. So führt eine Verminderung der Kontraktilität des linken Ventrikels über den oben genannten Mechanismus gleichzeitig auch zu einem Abfall des rechtsventrikulären Schlagvolumens. Vice versa resultiert ein unphysiologisch hoher, akuter Anstieg der Vor- oder Nachlast des rechten Ventrikels angesichts des rigiden Perikards in einer Abflachung des interventrikulären Septums und damit einer linksventrikulären diastolischen Füllungsbehinderung. Besteht gleichzeitig ein verminderter venöser Rückstrom bzw. eine Hypovolämie, sind die Auswirkungen der ventrikulären Interdependenz besonders ausgeprägt. Klinisch pathophysiologisch präsentiert sich dieser Mechanismus bei Patient:innen mit Perikardtamponade, Rechtsherzversagen oder Asthmaanfall als Pulsus paradoxus. Der Pulsus paradoxus wird als Abfall des systolischen arteriellen Blutdrucke > 10 mm Hg während der spontanen Inspiration definiert [11].
Die Durchblutung des rechten Ventrikels erfolgt bei einer typischen rechtsdominanten Koronarversorgung zu 80 % aus der rechten Koronararterie (z. B. freie Wand, posteriore und inferoseptale Wandanteile) und zu 20 % aus der linken Koronararterie (z. B. anteriore und anterioseptale Wandanteile). Analog zum geringeren Stroke Work Index des rechten verglichen mit dem linken Ventrikel (8 vs. 50 g/m2/Herzschlag) ist auch der myokardiale Sauerstoffbedarf des rechtsventrikulären Myokards geringer. Ähnlich wie beim linken Ventrikel erfolgt die ATP-Generierung im rechtsventrikulären Myokard hauptsächlich (60–90 %) aus der Fettsäureoxidation und nur zu kleinen Teilen aus der Glykolyse [12].
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Im Gegensatz zum linken Ventrikel, der aufgrund der deutlich höheren Druckverhältnisse mit daraus resultierend höherer systolischen Wandspannung nur während der Diastole durchblutet wird, wird der rechte Ventrikel sowohl in der Diastole als auch in der Systole mit arteriellem Blut versorgt [13]. Aus diesem Grund ist die Sauerstoffextraktionsrate der rechtsventrikulären Myokardzellen entsprechend geringer als jene des linksventrikulären Myokards. Allerdings bedingt die geringere Wanddicke und die höhere Abhängigkeit des rechten Ventrikels von einem konstanten koronaren Blutfluss, dass die rechtsventrikuläre Perfusion durch einen Anstieg der diastolischen bzw. systolischen intraventrikulären Drücke sowie durch einen Abfall des systemarteriellen Druckes leichter gefährdet werden kann. Obwohl der rechte Ventrikel daher mit seiner diastolischen und systolischen Funktion besonders vulnerabel auf Veränderungen der koronaren Perfusion reagiert, ist das Myokard des rechten Ventrikels verglichen mit jenem des linken Ventrikels resistenter gegenüber dem Auftreten von irreversiblen Ischämien. Gründe dafür sind der niedrigere Sauerstoffbedarf, die bessere koronare (Kollateral‑)Versorgung über die aus dem linkskoronaren System entspringende Moderatorbandarterie sowie die Fähigkeit des rechten Ventrikels, die myokardiale Sauerstoffextraktionsrate zu erhöhen.
Für den Kliniker bedeutet dies, dass sich der rechte deutlich besser als der linke Ventrikel von einer transienten Minderperfusion erholen kann.
M.W. Dünser, B. Eichler und M. Noitz geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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