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Erschienen in: Wiener klinisches Magazin 3/2016

Open Access 01.06.2016 | Schwerpunkt ERA-EDTA

Der labile Kalziumpool in Hämodialysepatienten

verfasst von: Dr. Markus Pirklbauer

Erschienen in: Wiener klinisches Magazin | Ausgabe 3/2016

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Hintergrund

Weichteil- und Gefäßverkalkungen sind typische Komplikationen im Rahmen der Progression chronischer Nierenerkrankungen. Ihr Auftreten ist mit einer hohen kardiovaskulären Mortalität assoziiert, zudem korreliert die Überlebenswahrscheinlichkeit im Hämodialyse- (HD-)Kollektiv mit dem Ausmaß der Gefäßbeteiligung (negativ) [1]. Eine Verbindung zwischen chronischer Nierenerkrankung, Mineral- und Knochenstoffwechsel sowie vaskulärer Pathologie ist heute weitgehend akzeptiert, wobei Störungen der Kalzium- (Ca) und Phosphathomöostase pathophysiologisch im Zentrum stehen [2]. In der Dialysepopulation gibt es Hinweise, dass die exzessive Verabreichung von Ca, sei es durch Gabe Ca-haltiger Phosphatbinder oder die Verwendung von Dialysat mit hohem Kalziumgehalt, zumindest bei einem Teil der Patienten zur Entstehung von Gefäßverkalkungen beiträgt. In diesem Zusammenhang wurde auf das besonders hohe Risiko bei bestehender adynamer Knochenerkrankung hingewiesen [3]. Eine Metaanalyse zeigte im HD-Kollektiv einen 13 %-igen Überlebensvorteil bei Verwendung von Ca-freien im Vergleich zu Ca-haltigen Phosphatbindern [4]. Um eine intradialytische Ca-Zufuhr zu minimieren, empfehlen die KDIGO-Richtlinien die Verwendung von 1,25 mmol/l Dialysatkalzium (dCa) [5]. Die Annahme einer ausgeglichenen intradialytischen Ca-Bilanz basiert auf der weitgehend stabilen Serum-Ca-Konzentration ([CaS]) während einer HD-Behandlung mit 1,25 mmol/l dCa. Allerdings wurde bereits mehrfach gezeigt, dass die [CaS] nur sehr eingeschränkt mit der Ca-Zufuhr korreliert [6] und die intradialytische Ca-Bilanz trotz stabiler [CaS] zum Teil deutlich positiv ausfallen kann [7]. Entsprechend ist bei jungen HD-Patienten die Höhe der Ca-Zufuhr, nicht jedoch die [CaS], mit einer koronaren Gefäßverkalkung assoziiert [8].

Extrazelluläre Ca-Regulation

Seit der Erstbeschreibung des „calcium sensing receptors“ durch Brown u. Hebert im Jahr 1993 wurde das Verständnis der CaS-Regulation grundlegend erweitert. Durch dosisabhängige Effekte auf Niere, Knochen und Gastrointestinaltrakt tragen Parathormon (PTH) und Vitamin D wesentlich zur mittel- bis langfristigen CaS-Regulation bei. Eine bislang weitgehend vernachlässigte Tatsache ist jedoch, dass Ca nach gastrointestinaler Aufnahme (z. B.: Ca-haltige Nahrungsmittel oder Phosphatbinder) oder im Rahmen einer HD-Behandlung (hohes dCa) sehr rasch im Extrazellulärraum aufgenommen wird. Da die absolute Ca-Menge im Extrazellulärraum niedrig ist und die [CaS] aus physiologischen Gründen in engen Grenzen konstant gehalten wird, müssen Mechanismen existieren, die Ca bei akuter Belastung kurzfristig sicher puffern und dadurch potenziell gefährliche [CaS]-Schwankungen verhindern können. Tierexperimentelle Studien konnten zeigen, dass eine derartige akute CaS-Regulation (Sekunden bis Minuten) unabhängig von „calcitropen“ Hormonen (PTH, Vitamin D oder Calcitonin), zellulärem Knochenremodelling, gastrointestinaler Aufnahme sowie der Nierenfunktion ist. So findet auch bei nephrektomierten und zusätzlich kombiniert thyreo- und parathyreoidektomierten Ratten eine rasche CaS-Gegenregulation (innerhalb weniger Minuten) als Antwort auf eine akut induzierte Hyper- oder Hypokalziämie statt [9]. Der Einsatz von Bisphosphonaten beeinflusst die akute CaS-Regulation dabei ebenfalls nicht [10].

Der labile Kalziumpool

Eine zellunabhängige (Osteoklasten- bzw. -blasten-)Beteiligung von Knochengewebe im Rahmen der akuten CaS-Regulation wurde bereits in den 1970er Jahren postuliert, fand bis vor Kurzem jedoch nur wenig Beachtung. Unter Verwendung von radioaktiv markiertem Ca konnte bei Hunden unter physiologischen Bedingungen ein Ca-Austausch zwischen Knochenoberfläche und Extrazellulärflüssigkeit (ECF) von >6000 mg/Tag errechnet werden, der deutlich über den durch zelluläres Knochenremodelling umgesetzten 400 mg/Tag liegt [11]. Aus diesem Grund wurde die Existenz eines sog. „labilen Kalziumpools“ („rapid exchangeable calcium pool“; ECP) im Knochen postuliert, der in dynamischem Austausch mit der umgebenden ECF steht und im Sinn eines temporären Ca-Puffers – bei akuter Ca-Belastung oder -deprivation – CaS-Schwankungen durch eine rasche Ca-Aufnahme bzw. -freisetzung verhindern kann [12, 13]. Es wird angenommen, dass die Funktion dieses ECP im Wesentlichen auf den physikochemischen Eigenschaften von sog. amorphen Kalziumphosphatsalzen (z. B. Brushit, CaHPO4) beruht. Diese entstehen primär an der Oberfläche von neu synthetisiertem Knochen und zeichnen sich im Unterschied zu Hydroxylapatit (HA), der >99 % des Gesamtkörperkalziums in schwer löslicher Form enthält, durch ihre hohe Ca-Löslichkeit aus. Neben seiner Funktion als Ca-Puffer wirkt dieser lösliche Ca-Pool auch einem [CaS] Abfall, der bei direktem Kontakt zwischen ECF und HA entstehen würde, im Sinn einer Barrierefunktion entgegen [12]. Eine Verringerung des ECP durch die Umwandlung amorpher Ca-Phosphatsalze in HA (z. B.: im Zuge der Knochenalterung) wird durch das Vorhandensein sog. „nicht kollagener Knochenproteine“ an der Knochenoberfläche (NCBPs; z. B.: Osteonectin, Osteocalcin) [14] bzw. ein ausreichendes Knochenremodelling zumindest teilweise verhindert.

Pathophysiologie

Neben Alterungsprozessen können sowohl CKD-abhängige als auch -unabhängige Faktoren die ECP-Funktion negativ beeinflussen (siehe Abb. 1). So gibt es in der Literatur mehrere Hinweise für den Einfluss von Phosphat auf den ECP. Mittels radioaktiv markiertem Ca konnte gezeigt werden, dass eine Hyperphosphatämie-assoziierte Hypokalzämie nicht auf Ca-Phosphatprezipitation, sondern auf einen verminderten Ca-Ausstrom aus dem Knochen zurückzuführen ist [15]. Diese Beobachtung könnte eine – von Vitamin D unabhängige – Erklärung für eine CKD-assoziierte Hypokalzämie darstellen.

Fazit

Eine Reduktion der akuten Ca-Pufferkapazität durch Störung des labilen Ca-Pools im Knochen könnte bei Ca-Belastung (z. B.: Phosphatbinder- oder dCa-assoziiert) zu passageren „Hyperkalzämieepisoden“ (möglicherweise auch im Rahmen der „normalen“ Grenzwerte) führen und dadurch zur Entwicklung von Weichteil- und Gefäßverkalkungen bei HD-Patienten beitragen.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

M. Pirklbauer gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine vom Autor durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
Open Access. This article is distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 International License (http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/), which permits unrestricted use, distribution, and reproduction in any medium, provided you give appropriate credit to the original author(s) and the source, provide a link to the Creative Commons license, and indicate if changes were made.
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Metadaten
Titel
Der labile Kalziumpool in Hämodialysepatienten
verfasst von
Dr. Markus Pirklbauer
Publikationsdatum
01.06.2016
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Wiener klinisches Magazin / Ausgabe 3/2016
Print ISSN: 1869-1757
Elektronische ISSN: 1613-7817
DOI
https://doi.org/10.1007/s00740-016-0117-2

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