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Ärzte Woche

31.01.2022 | Covid-19

Dem Unfug Einhalt gebieten

verfasst von: Mit Peter Klimek hatJosef Broukal gesprochen

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Peter Klimek schlägt Alarm. Der frisch gekürte Wissenschafter des Jahres arbeitet daran, Österreichs Gesundheitssystem zu verbessern. Nur fehlen ihm dazu oft die Daten. Zwar werden in Österreich von vielen Stellen viele Daten gesammelt. Aber jeder bewacht seinen Datenschatz eifersüchtig und gibt ihn nicht her. Die CoronaPandemie bringt ans Tageslicht, wogegen Forscher wie Peter Klimek ankämpfen. Bisher aber vergeblich.

Sie sagen, Österreich habe bei Corona große Wissenslücken. Welche?

Klimek: Im Augenblick ist die größte Wissenslücke, dass wir nicht wissen, wie Omikron die Spitäler belasten wird. Die Variante hat eine andere Symptomatik als Delta. Und daher stellt sich die Frage, wie viele infizierte Menschen Spitalsbehandlung brauchen werden. Da stochern wir im Augenblick ein bisschen im Nebel.


Wenn Sie sich da etwas wünschen dürften, was wäre das?

Klimek: Unser größtes Problem ist, dass wir zwar gute Datensammlungen haben, aber diese Datensammlungen nicht miteinander verknüpfen. Und zwar nicht, weil man sie computertechnisch nicht verknüpfen könnte. Sondern, weil Sonderinteressen überwiegen, die den Datenschutz als Feigenblatt verwenden. Die Daten über die Spitalsaufnahme liegen bei den Spitalsträgern in den Ländern – aber das epidemiologische Meldesystem, das die Infektionen erfasst, liegt bei der AGES und damit näher beim Bund. Und damit stellen wir wieder einmal fest, wie fragmentiert das Gesundheitssystem ist – wo die eine Hand manchmal nicht weiß, was die andere tut.


Jetzt könnte ich mir vorstellen, dass Sie schon lange auf diese Probleme hingewiesen haben, bevor Sie jetzt an die Öffentlichkeit gegangen sind. Welche Antworten gibt man Ihnen?

Klimek: Dieses Thema begleitet uns seit Anfang der Pandemie. Man muss auch sagen, dass ein paar Verbesserungen passiert sind. Aber wir können uns noch immer nicht mit anderen Staaten vergleichen, in denen weit mehr Gesundheitsdaten zur Verfügung stehen. Und das, obwohl diese Staaten ähnliche Datenschutzgesetze haben wie Österreich. So müssen wir uns an Daten aus Großbritannien und Dänemark orientieren. Zum Beispiel, wenn wir wissen wollen, welche Berufsgruppen besonders von COVID-19 betroffen sind. Ich habe gemeinsam mit Prof. Stefan Thurner schon im Mai 2021 vor den Mängeln der heimischen Gesundheitsstatistik gewarnt. Eigentlich ist jetzt nur ganz klar geworden, was Fachleute seit Langem wissen: Was Epidemien betrifft, segeln wir in Österreich im Blindflug dahin. Und damit vergeben wir Chancen. Das ist den Verantwortlichen bis zu einem gewissen Grad auch klar. Aber am Ende scheitern wir immer an der Fragmentierung des österreichischen Gesundheitssystems: Der Bund hat bestimmte Daten, das Gesundheitsministerium hat gewisse Daten – und dann gibt‘s die Länder, und dann gibt‘s noch die Sozialversicherungen. Und überall dort werden Datensilos betrieben. Wenn man mit den Verantwortlichen dieser Institutionen redet, hört man: „Na klar wäre es sinnvoll, dass wir umfassende Daten-Auswertungen machen und unsere Daten zusammenführen, also tun wir‘s bei mir!“ Und damit ist man dann in diesem Hickhack drinnen, ob die Daten jetzt bei der Statistik Austria zusammenfließen sollen, bei der Sozialversicherung oder im Gesundheitsministerium. Wer die Gesamtauswertung macht, bestimmt letztlich ja auch, wie die Daten interpretiert werden. Und wie viel Geld aufgrund dieser Auswertung auf die einzelnen Player verteilt wird. Prof. Thurner und ich haben daher den Vorschlag gemacht, eine unabhängige Institution zu schaffen. Sie soll über all diesen Einzelinteressen stehen. Einen anderen Ausweg sehen wir derzeit nicht. Dazu ist die Situation zu verfahren.


Haben Sie auf diesen Vorschlag ermutigende Antworten bekommen oder ein resignatives „Ja, das wär‘ halt schön, aber…“?

Klimek: Es gibt schon Leute, die hier mit Einsatz und Drive dahinter sind, aber letzten Endes ist es ein Kampf gegen Windmühlen.


Neben Ihnen führt auch der Statistiker Prof. Erich Neuwirth Klage über fehlende Daten. Jetzt könnte man sagen: Das sind halt Wissenschaftler, die wollen alles immer ganz genau wissen. Aber würden bessere Daten auch zu weniger ernstlich COVID-19-Erkrankten führen? Zu weniger Toten? Zu weniger Lockdowns?

Klimek: Jetzt muss ich etwas klarstellen: Ich habe bisher noch gar nicht davon gesprochen, dass die Wissenschaft Daten bekommt. Es geht ja zunächst einmal darum, dass die Entscheidungsträger selbst Daten besitzen! Und natürlich wären wir dann in der Bekämpfung der Pandemie effektiver. Wir diskutieren darüber, wo sich die Leute anstecken – in der Gastro? Bei körpernahen Dienstleistungen? Norwegen erfasst das Infektionsrisiko nach Berufsgruppen. Und da zeigt sich ganz klar: Wenn ich in einem Restaurant arbeite, wenn ich in der Hotellerie beschäftigt bin, dann habe ich ein höheres Infektionsrisiko. Was diskutieren wir über die Rolle der Schulen! Wenn wir mehr über Berufsgruppen wüssten, dann wüssten wir, wie viele Lehrerinnen sich infizieren, wie viele Familienmitglieder von Lehrerinnen. Diese Daten gibt‘s aus anderen Ländern, aus Österreich gibt es sie nicht. Und deshalb führen wir die Debatten über nötige Maßnahmen zum Teil in einem evidenzfreien Raum. Können wir die Schulen offenlassen, ja oder nein? Oder: Es gibt kaum Hinweise darauf, dass der Besuch von Kulturveranstaltungen, mit Maskenpflicht und Sitzabstand, zu vielen Infektionen führt. Aber die Kulturleute haben halt keine Lobby – und deshalb kämpft die Politik dafür, dass die Skilifte offen sind, aber nicht, dass Kinos oder Theater offen hätten.


Sie haben in einem Interview mit Radio Wien gesagt: „Wir brauchen professionelle Strukturen zur Virenabwehr.“ Woran denken Sie hier?

Klimek: Uns fehlt in Österreich ein wirkungsvolles Zentrum für Seuchenkontrolle. Wir haben zwar die Abteilung für Infektionsepidemiologie und Surveillance bei der Agentur für Ernährungssicherheit. Dort gibt es heute einige Arbeitsplätze mehr, aber eine einzelne Abteilung kann einfach nur beschränkt mit den Aufgaben der Pandemie mitwachsen. Wir haben in Österreich eine Menge Gremien, die ad hoc einberufen worden sind – da arbeite auch ich mit. Es ist ja schön und gut, wenn wir hier unsere Debattierrunden haben. Weil deren Planungshorizont immer nur kurzfristig ist, bleiben viele nachhaltige Themen auf der Strecke. Wir hanteln uns von Welle zu Welle. Fragen uns: „Was können wir jetzt tun?“ Und nicht: „Was müsste in Zukunft getan werden?“

Zum Beispiel reden wir nicht darüber, was es bedeutet, wenn COVID-19 endemisch wird. Wie viele Krankenhausbetten werden wir dann auf Dauer brauchen? Sollten wir Wirtschaftsförderungen daran knüpfen, dass Unternehmen sich dauerhaft auf effektive Kontrolle von 2G einrichten? Sollten wir jedes Mal, wenn ein Schulgebäude umgebaut wird, ordentliche Lüftungsanlagen einbauen? Das alles müssen wir uns fragen und dann festlegen: Wer ist dafür zuständig? Und es angehen! Statt all dem bleiben wir zu sehr in den ad-hoc-Katastrophenstrukturen, die wir jetzt fast zwei Jahre haben.


Sie sagen, wichtig wäre es in jedem Fall, nachhaltige Strukturen des Pandemiemanagements aufzubauen, um nicht von jeder neuen Welle überrascht zu werden. Ist so etwas im Werden? Gibt es dafür Bereitschaft in der Politik?

Klimek: Jein. Es gibt solche Initiativen – zum Beispiel das Abwassermonitoring. Das wäre natürlich etwas sehr Sinnvolles. Wir könnten uns dann vielleicht in Phasen niedriger Inzidenz viel der Testerei sparen. Gerade das Thema Testen ist problematisch in Österreich. Wir sehen jetzt in der vierten Welle, dass wir uns vom Testen zu viel erwartet haben. Wenn wir Datenmodellierer uns fragen, wie viel man sinnvollerweise testen müsste, damit der Lauf der Pandemie eingebremst werden könnte, dann sehen wir in Österreich: Trotz aller Bemühungen ist es immer noch zu wenig. Politisch landet man da leicht beim Aktionismus: Bis jetzt haben wir soundso viele Tests gemacht. Jetzt machen wir 100 000 mehr. Ich frage mich, ob wir das zusätzliche Geld nicht sinnvoller einsetzen könnten. Sollten wir mehr über Luftqualität und über bauliche Maßnahmen reden – also Dinge mit einem bleibenden Effekt? Ich glaube, wir sollten auch darüber nachdenken, wie viele SARS-CoV-2-Intensivbetten wir auf Dauer vorhalten müssen. Bei der Grippe wissen wir: Es sind pro Winter etwa 200. Vielleicht sind es für COVID-19-Patienten 50, vielleicht aber auch 500. Wir wissen es nicht.


Ist das viele Testen überhaupt sinnvoll? Oder läuft man hier beim Test-Weltmeister Wien dem falschen Ziel hinterher? Oder wird jetzt nur deshalb gegen das Testen Stimmung gemacht, weil die anderen acht Bundesländer es nicht schaffen?

Klimek: Wir sehen gerade, dass das viele Testen quer durch die Bevölkerung in Wien die vierte COVID-19-Welle zwar bremsen, aber nicht stoppen konnte. Testen ist vor allem dort sinnvoll, wo es engmaschig genug durchgeführt werden kann: in Altersheimen. Bei den Gesundheitsberufen. In Phasen hoher Inzidenz kann es auch in den Schulen sinnvoll sein, auch wenn da schon die Kosten-Nutzen-Rechnung anders ausfällt als in Altersheimen. Es gibt eine Studie, nach der sind gute Antigen-Tests mit Rachenabstrich mit Sofort-Ergebnis etwa gleich aussagekräftig wie PCR-Tests, auf deren Ergebnis ich zwei Tage warten muss. Und selbst mit den schnellen Antigen-Tests müsste man drei Viertel der Bevölkerung zwei Mal, drei Mal die Woche testen – was selbst Wien nicht zusammenbringt. Und deshalb haben wir in der vierten Welle gesehen, dass man diese Welle nicht wegtesten kann.

Natürlich ist Testen sinnvoll. Aber nur als eine Schutzebene von vielen. Wenn man zu viel Wert darauf legt, wiegt man sich vielleicht in falscher Sicherheit. So, wie das jetzt bei Omikron der Fall ist. Wenn ich zwei Tage auf das Ergebnis meines PCR-Tests warten muss und mich innerhalb dieser zwei Tage sowohl anstecken wie das Virus bereits weitergeben kann, dann kann sich ja jeder überlegen, wie schwer es ist, dass ich eine infizierte Person noch rechtzeitig „herausfische“. Ich meine: Bevor man hier eine superfunktionelle Schutzebene mit dem Testen aufbaut, die man nur mit hohen Kosten und Ressourcen erreicht, wäre es vielleicht sinnvoller, auf vielen anderen Ebenen imperfekten Schutz herzustellen. Wenn man die im „Schweizer-Käse-Modell“ übereinanderschachtelt, kann man insgesamt einen besseren Schutz haben. Leider kann man über dieses Thema nicht sachlich diskutieren. Nach dem Motto: Wenn man mir als politischer Einheit das Testen wegnimmt, könnte ich nicht mehr zeigen, dass ich mich um die Menschen kümmere.


Sie sind so nahe bei den politischen Entscheidern wie noch nie in Ihrer Karriere. Haben Sie das Gefühl, dass es nach der Epidemie Verbesserungen gibt? Wurschtelt man sich durch? Oder gibt es jemanden, der sagt, ich sammle das jetzt alles, und am Ende werden wir Lehren daraus ziehen?

Klimek: Flapsig geantwortet, ist so ein Bewusstsein jetzt teilweise vorhanden. Nur das bringt nicht viel, weil die Minister und Bundeskanzler schnell wieder weg sind. Weniger flapsig: Bei den Fachbeamtinnen und -beamten in den Ministerien waren diese Themen immer schon bekannt. COVID-19 hat bloß ein grelles Scheinwerferlicht auf all das geworfen, was bei uns fehlt. Den größten blinden Fleck im Gesundheitssystem sehe ich in der Diagnose-Erfassung im niedergelassenen Bereich. Wir haben Millionen Arzt-Patienten-Kontakte in Österreich und wissen nicht, weshalb. Das ist eigentlich eine Frechheit. Wenn es uns gelingt, anhand der Pandemie zu zeigen, was man mit besseren Daten machen kann, dann strahlt das vielleicht aufs ganze österreichische Gesundheitssystem aus.

Wir müssen auch dem ganzen schwurblerischen Unfug Einhalt gebieten, und das geht nur mit Evidenz. Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien sagt, wir bräuchten einen Kehraus im österreichischen Gesundheitssystem. Dem schließe ich mich an.

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Metadaten
Titel
Dem Unfug Einhalt gebieten
Schlagwort
Covid-19
Publikationsdatum
31.01.2022
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 5/2022

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