Zum Inhalt

Open Access 10.06.2025 | Journal Club

CD19 als Gamechanger bei IgG 4‑assoziierter Erkrankung: Erwartungen an Inebilizumab und Ergebnisse der ersten randomisierten kontrollierten Studie

verfasst von: PD Dr. Dr. med. Michael Doulberis, Prof. Andreas E. Kremer, MD, MHBA, PhD

Erschienen in: Schweizer Gastroenterologie

download
DOWNLOAD
print
DRUCKEN
insite
SUCHEN
Hinweise
QR-Code scannen & Beitrag online lesen

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Originalpublikation
Stone JH, Khosroshahi A, Zhang W et al for the MITIGATE Trial Investigators (2025) Inebilizumab for Treatment of IgG 4-Related Disease. N Engl J Med 392(12):1168–1177. https://​doi.​org/​10.​1056/​NEJMoa2409712
Die mit Immunglobulin G der Subklasse 4 assoziierten Erkrankungen (IgG 4-RD) sind eine Gruppe seltener und zunehmend beachteter rezidivierender Autoimmunstörung, die zahlreiche Organe befallen kann. Pathophysiologisch ist für die IgG 4-RD eine Überproduktion von IgG 4-sezernierenden Plasmazellen kennzeichnend und histologisch eine typische Triade aus dichten lymphoplasmozytischen Infiltraten, einer obliterativen Phlebitis und einer storiformen Fibrose [1, 2]. Gelegentlich kann histologisch auch eine Eosinophilie beobachtet werden [3]. Die o. g. Infiltrate sind hauptsächlich durch polyklonale Populationen von T‑ und B‑Lymphozyten und durch IgG 4-produzierende Plasmazellen charakterisiert [3]. Obwohl die IgG 4-Werte im Serum bei der Mehrheit der Patienten erhöht sind, ist dies keine notwendige Voraussetzung für die Diagnose [1, 2].
Bemerkenswert ist, dass verschiedene unabhängige immunologische, allergische, neoplastische oder infektiöse Störungen mit geringen, mässigen oder starken Erhöhungen des IgG 4-Spiegels im Serum in Verbindung gebracht wurden. Zudem stellen erhöhte Serumwerte an IgG 4 und IgE bei Personen mit allergischen Erkrankungen (z. B. Asthma, atopische Dermatitis) oder Parasitenbefall direkte Reaktionen auf exogene Antigene dar; erhöhte IgG 4 können Interaktionen zwischen löslichen Antigenen und IgE-beschichteten Mastzellen unterdrücken [4].
Die etabliertesten Kriterien für die IgG 4-RD-Diagnose umfassen jene des International Consensus of Diagnostic Criteria (ICDC) und die HiSORt-Kriterien der Mayo Clinic [1, 2], welche jeweils die genannten Kernmerkmale, die Antwort auf die Therapie, die Bildgebung und/oder die Beteiligung weiterer Organe kombinieren.
Die Autoimmunpankreatitis vom Typ 1 (AIPT1) ist die häufigste und historisch erstbeschriebene Manifestation im Verdauungstrakt [1, 5]. Aus mechanistischer Sicht wurde die Gemeinsamkeit gleichartiger Epitope (molekulare Mimikry) als Erklärung für das Auftreten einer IgG 4-RD eingeführt. Insbesondere Zytotoxin-assoziiertes Gen A von Helicobacter pylori (H. pylori) weist eine Homologie mit pankreatischem Autoantigen des Menschen auf. Eine weitere Übereinstimmung wurde zwischen Carboanhydrase II und α‑Carboanhydrase von H. pylori beschrieben. Letzteres Enzym ist wesentlich für das Überleben und die Vermehrung von H. pylori; in den gleichartigen Segmenten ist die Bindungsstruktur des HLA-Moleküls DRB1*0405 enthalten [6, 7].
Abgesehen von der typischen AIPT1 ist bei über drei Viertel der Patienten mit IgG 4-RD mindestens ein zweites Organ gleichzeitig oder zeitversetzt betroffen [1, 5]. Als weitere häufige Manifestationen der IgG 4-RD im Verdauungsapparat zählen primär die IgG 4-assoziierte Cholangitis (IRC) und eine Hepatitis sowie in geringerem Ausmass Entzündungen der Speicheldrüsen, der Speiseröhre, des terminalen Ileums, des Dickdarms und des Enddarms [5].
Aufgrund der rezidivierenden fibroinflammatorischen Schübe, die zu fortschreitenden Sklerosierungsprozessen mit funktioneller Beeinträchtigung und schliesslich Versagen des Organs führen, ist der natürliche Verlauf der IgG 4-RD progredient [8]. Interessanterweise entwickelt bis zur Hälfte der Patienten mit Rezidiven eine IgG 4-assoziierte Cholangitis [5]. Eine IgG 4-RD kann grundsätzlich in allen Organen und Geweben auftreten.
Die genannten Aspekte zur nicht gänzlich geklärten Pathogenese, zum stark beeinträchtigenden Verlauf mit fibroinflammatorisch-sklerosierendem Remodeling und zu den zahlreich betroffenen Organen unterstreichen den nichterfüllten Bedarf an wirksamen Medikamenten. Es steht jedoch bis heute keine allgemein zugelassene medikamentöse Therapie zur Verfügung [8]. Gemäss den europäischen Guidelines zum Management der IgG 4-RD [1] stellen Steroide (z. B. Predniso[lo]n) den Eckpfeiler der Remissionsinduktion dar, während die Gabe von Immunsuppressiva (wie z. B. Thiopurine oder seltener Mycophenolat-Mofetil, Tacrolimus oder Methotrexat) dann erwogen werden kann, wenn eine Remission nach drei Monaten Steroidbehandlung nicht erreicht werden kann oder nach Ausschleichen der Steroide ein Rückfall auftritt. Steroide haben andererseits in der Langzeitanwendung ein ungünstiges Nebenwirkungsprofil, vor allem bei – insbesondere polymorbiden – Patienten mittleren oder hohen Alters, die typischerweise von einer IgG 4-RD betroffen sind und besonders anfällig für Nebenwirkungen sind [1]. Der gleiche Ansatz wird auch in den Leitlinien der EASL für das Management der IRC empfohlen [9].
Eine Eliminierung der B‑Lymphozyten, die den Differenzierungscluster 20 (Cluster of Differentiation; CD20) exprimieren, wurde bereits zuvor bei refraktären Fällen einer IgG 4-RD untersucht. Bemerkenswert ist, dass Rituximab sich als monoklonaler Antikörper gegen diese Epitope in einer offenen prospektiven Studie (n = 30) als wirksam zur Induktion einer Remission auch ohne gleichzeitige Steroidgabe erwiesen hat [3]. Daraufhin wurde diese Empfehlung für Fälle von Remissionsversagen oder Rückfall unter konventioneller Therapie in den letztgenannten klinischen Guidelines eingearbeitet [1].
Neue Erkenntnisse belegen, dass beim Reifungs- und Differenzierungsprozess der B‑Zellen zu Plasmablasten und in weiterer Folge zu Plasmazellen ein früheres Exprimieren von CD19 erfolgt und sogar in verschiedenen Plasmazellen-Typen fortbesteht. Somit erscheint das selektive Abzielen auf CD19 als eine sinnvolle und vielversprechende Therapie zur Neutralisierung eines breiteren Spektrums an (pro)B- und differenzierten Plasmazellen, die zur IgG 4-RD beitragen [10].
Inebilizumab ist ein vollständig humanisierter afucosylierter monoklonaler Antikörper vom Typ IgG 1 kappa, der sich selektiv an CD19 bindet und so eine rasche, gründliche und anhaltende Senkung der B‑Zellen bewirkt. Dazu wurde kürzlich eine neuartige Studie (MITIGATE) durchgeführt, die multizentrisch (22 Länder, 80 Standorte), randomisiert, doppelblind und placebokontrolliert erstmals die Wirksamkeit und Sicherheit von Inebilizumab als Therapie zur Senkung des Risikos der Patienten für IgG 4-RD-Schübe untersucht hat [8].
Stone et al. [9] haben Patienten mit IgG 4-RD eingeschlossen, bei denen mindestens zwei Organe betroffen waren und steroidpflichtige Schübe auftraten. Nach Anwendung sorgfältiger Selektionskriterien wurden insgesamt 135 Patienten eingeschlossen. Diese erhielten im Verhältnis von 1:1 entweder Inebilizumab 300 mg oder ein Placebo (drei intravenöse Gaben innerhalb eines Jahres: an Tag 1, Tag 15 und Woche 26), während gleichzeitig die Steroide ausgeschlichen wurden (bis 0 mg in der 8. Woche erreicht war). Primärer Endpunkt war die Zeit bis zum ersten behandelten Schub; die Inebilizumabgruppe war der Placebogruppe hochüberlegen (sieben Patienten unter Inebilizumab gegenüber 40 Patienten der Placebogruppe hatten mindestens einen Schub, Hazard-Ratio: 0,13; 95 % Konfidenzintervall [KI] 0,06–0,28; p < 0,001). Die wesentlichen sekundären Endpunkte – diese beinhalteten die annualisierte Schubrate, die therapielose und die steroidlose vollständige Remission – wurden auch erfüllt: Die Teilnehmer unter Inebilizumab hatten gegenüber der Kontrollgruppe eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit für eine therapielose Remission (Odds-Ratio [OR] 4,68; 95 % KI 2,21–9,91; p < 0,001) und für eine steroidlose vollständige Remission (OR 4,96; 95 % KI 2,34–10,52; p < 0,001).
Die Wirksamkeit war bei Patienten mit neudiagnostizierter und mit rezidivierender IgG 4-RD vergleichbar. Die Sicherheitsprofile der beiden Studienarme unterschieden sich nicht wesentlich. Eine Lymphopenie wurde unter den häufigsten unerwünschten Wirkungen genannt (16 % unter der Therapie, 9 % unter Placebo), während ernste oder opportunistische Infektionen bei jeweils 9 und 3 % der Patienten erfasst wurden [8]. Man beachte, dass bei IRC-Patienten Rituximab wegen dem Risiko einer bakteriellen Cholangitis als ernste unerwünschte Wirkung mit Vorsicht verwendet wurde [2]. Da jeder dritte Patient der Studie von Stone et al. eine biliäre Erkrankung als Komorbidität aufwies, sind die Ergebnisse auch für IRC translational [2].
Die Autoren räumten Limitationen dieser Pionierstudie ein, vor allem die moderate Teilnehmerzahl, das Fehlen einer längerfristigen Nachbeobachtung sowie das unbekannte biologischen Verhalten von Inebilizumab bei anderen typischen Komorbiditäten älterer IgG 4-RD-Patienten [8].
Insgesamt stellen die Ergebnisse dieser wissenschaftlich einwandfreien klinischen Studie ein ausgezeichnetes Beispiel der translationalen Medizin dar, mit effektiver Extrapolation der Erkenntnisse von der Forschung zur Praxis. Die zentrale Eigenschaft von Inebilizumab, auf eine breitere lymphozytäre Population (von pro-B-Zellen bis zu Plasmablasten) zu wirken, macht es eher wirksamer und vielversprechender als Rituximab. Ausserdem ist eine Phase-III-Studie zu Obexelimab – das durch gleichzeitige Bindung an CD19 und FcγRIIb die Aktivität der B‑Zellen-Aktivität hemmt, ohne ihre Zahl zu reduzieren – in der Pipeline und baut dabei auf ermutigende Ergebnisse vorheriger Phase-II-Daten auf [11].
In Erwartung der vielversprechenden Langzeitergebnisse der MITIGATE-Studie, weiterer grossangelegter Studien und Real-World-Daten zu einer Vielzahl von Komorbiditäten über die IgG 4-RD hinaus sollte eine offene Frage für die translationale Medizin untersucht werden: ob Inebilizumab auch pathogenes IgG 1 im Serum reduziert. IgG 1-Autoantiköper – wie diejenigen, die gegen Annexin A11 und Laminin 511 bei IgG 4-assoziierter Cholangitis gerichtet sind – können ebenfalls zu einer Gewebeschädigung beitragen. Eine solche doppelte Herunterregulation von IgG 4 und IG1 durch Inebilizumab könnte sich auf das therapeutische Spektrum und die langfristige Wirksamkeit auswirken [2]. Eine Verlagerung von rein IgG 4-bezogenen Modellen hin zur Anerkennung einer breiteren Einbeziehung autoimmuner B‑Zellen (IgG 1, IgG 4) könnte zukünftige Biomarker, Behandlungsstrategien und die Patientenstratifizierung relevant beeinflussen.

Interessenkonflikt

M. Doulberis und A.E. Kremer geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen. Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de.

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
download
DOWNLOAD
print
DRUCKEN
Literatur
11.
Metadaten
Titel
CD19 als Gamechanger bei IgG 4‑assoziierter Erkrankung: Erwartungen an Inebilizumab und Ergebnisse der ersten randomisierten kontrollierten Studie
verfasst von
PD Dr. Dr. med. Michael Doulberis
Prof. Andreas E. Kremer, MD, MHBA, PhD
Publikationsdatum
10.06.2025
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Schweizer Gastroenterologie
Print ISSN: 2662-7140
Elektronische ISSN: 2662-7159
DOI
https://doi.org/10.1007/s43472-025-00170-z