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Erschienen in: rheuma plus 3/2014

01.09.2014 | Originalarbeit

Cannabis gegen Schmerz

verfasst von: Prof. Dr. R. Likar

Erschienen in: rheuma plus | Ausgabe 3/2014

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Zusammenfassung

Cannabinoide sind ein wichtiges Thema für die heutige molekulare Schmerzforschung. In Österreich stehen mit Dronabinol und Nabilone zwei Substanzen zur Verfügung. In einer nichtplacebokontrollierten Untersuchung bei Patienten mit Fibromyalgie führte Dronabinol in einem Zeitraum von 6 Wochen zu einer signifikanten Verbesserung. Des Weiteren konnte in einer multizentrischen, randomisierten, plazebokontrollierten CAMS-Studie zu Cannabinoiden bei MS-assoziierten Schmerzen und Spastizität gezeigt werden, dass unter einem oralen Cannabisextrakt gegenüber Plazebo eine signifikante subjektive Besserung von Schmerz und Schlafqualität auftritt. Cannabinoide zeigen einen analgetischen Effekt bei Tumorschmerzen und speziell bei vorliegenden neuropathischen Schmerzen. Die Arbeiten kommen zu dem Ergebnis, dass Cannabinoide bei chronischen Schmerzen eine Möglichkeit der Add-on-Therapie darstellen.
Cannabinoide sind (semi)synthetisch hergestellte oder aus Cannabis sativa (Abb. 1) gewonnene, chemisch definierte Einzelsubstanzen. Sie wirken über das Endocannabinoidrezeptorsystem, wobei sich die CB1-Rezeptoren im ZNS und peripheren Nervensystem finden und die CB2-Rezeptoren an Immunzellen, Mikroglia und im Hirnstamm.
Endocannabinoide sind ein wichtiges Thema in der rezenten molekularen Schmerzforschung. Die natürlichen körpereigenen Liganden der Cannabinoidrezeptoren sind in physiologische (Hungerverhalten, Sexualfunktionen) und pathophysiologische (Depression, Entzündung, Schmerz, Kolitits) Prozesse involviert. Die moderne Entwicklungsstrategie für tatsächlich neue Analgetika ist die Abbauhemmung dieser Signalmoleküle.
In Österreich stehen mit Dronabinol (Delta-9-Tetrahydrocannabinol) und Nabilone (Canemes®, synthetisches Analogon von Delta-9-THC) zwei orale Produkte zur Verfügung.
Über das zentrale Endocannabinoidsystem werden Funktionen wie Schmerzverarbeitung, Lernen, Appetit, Bewegungskoordination, Immunmodulation und Neuroprotektion mediiert. Zu den direkten Effekten zählen
  • Erhöhung der GABAergen Transmission,
  • Hemmung der Glutamatfreisetzung sowie
  • Interaktionen mit dem dopaminergen System, dem Endorphinsystem und Leptin/Orexin.
Synergien mit Opioiden wurden im Tierversuch dokumentiert.
Daraus ergeben sich eine Reihe an potenziellen therapeutischen Anwendungen. Bedacht werden müssen mögliche Nebenwirkungen wie
  • Schwindel,
  • Benommenheit,
  • Panikattacken,
  • psychotische Symptome,
  • Tachykardie,
  • Orthostase und
  • Beeinträchtigung von Gedächtnisleistung und Aufmerksamkeit.
Allerdings spielt die Dosis für diese Effekte erfahrungsgemäß eine maßgebliche Rolle.

Akuter Schmerz

Mit Cannabinoiden durchgeführte Untersuchungen weisen in vielen Bereichen nur einen niedrigen Evidenzgrad auf. Im akuten Schmerzmodell wurden sowohl analgetische als auch hyperalgetische Effekte beobachtet. Hier können die Substanzen nicht als wirksam bezeichnet werden. Postoperativ besteht definitiv kein Effekt.
Bei chronischen Schmerzen lässt die vorhandene Evidenz hingegen auf eine moderate Effektivität von Cannabinoiden schließen. Unbestritten ist die positive Beeinflussung der affektiven Schmerzkomponente, d. h. der individuellen Schmerzverarbeitung. Bei nicht krebsbedingten Schmerzen im Bereich von Kopf und Wirbelsäule konnten Besserungen unter Nabilone vs. Plazebo verzeichnet werden. Das zeigt die Studie von Pinsger et al. [2]: Die Abnahme der Schmerzintensität war nur zum Teil signifikant, gleichzeitig fand sich aber ein Anstieg der Anzahl kopfschmerzfreier Tage und eine Verbesserung der Lebensqualität.
Bei neuropathischen Schmerzen zeigt sich ein moderates Ansprechen auf Cannabinoide. In dieser Indikation imponieren die Substanzen nicht als Erstlinientherapie, aber bilden eine Option nach dem Ausschöpfen der Standardstrategien [3, 4]. Bei Fibromyalgie wurde in der Studie von Skrabek [5] eine signifikante Abnahme der Schmerz-Scores beobachtet.
Wir konnten bei Patienten mit diabetischer Polyneuropathie, bei denen mit anderen Medikamenten keine ausreichende Schmerzlinderung erzielt wurde, mit Dronabinol einen guten Therapieerfolg hinsichtlich Schmerzlinderung und Schlafqualität erreichen.

Dronabinol bei Fibromyalgie

Eine eigene nichtkontrollierte Studie zeigte, dass es mit Dronabinol in einer mittleren Dosierung von 3−6 Tropfen =2,5−5 mg bei den Patienten mit Fibromyalgie nach ACR-Kriterien in einem Zeitraum von 6 Wochen zu einer signifikanten Verbesserung der Depression, der Müdigkeit („fatigue scale“) und zu einer geringen Reduktion des Schmerz-Scores sowie zu einer deutlichen Reduktion des Medikamentverbrauchs kommt.
Des Weiteren trat eine Verbesserung des Schlafes hinsichtlich Qualität und Dauer ein. Die Nebenwirkungen waren leicht und benötigten keine Therapie. Unsere Untersuchung weist darauf hin, dass Dronabinol das Spektrum der Medikamente in der Behandlung von Patienten mit Fibromyalgiesyndrom erweitern könnte. Um weitere Aussagen zu treffen, benötigen wir randomisierte placebokontrollierte Studien.
Eine andere Untersuchung identifizierte in derselben Indikation zwar keine Schmerzbeeinflussung, aber eine deutliche Besserung der Schlafqualität [6].
Den Autoren zufolge kommt eine niedrige abendliche Dosis von Nabilone (0,5–1 mg) als Alternative zu Amitriptylin in Betracht.

Cannabinoide bei MS-assoziierten Schmerzen

Des Weiteren konnte die Wirkung von Cannabinoiden bei MS-assoziierten Schmerzen und Spastizität demonstriert werden. Zentral ist in dieser Hinsicht die multizentrische, randomisierte, plazebokontrollierte CAMS-Studie, in der unter einem oralen Cannabisextrakt bzw. Δ9-THC gegenüber Plazebo signifikante subjektive Besserungen von Schmerz und Schlafqualität verzeichnet wurden [7].
Auffälligerweise spiegelten sich die subjektiven Fortschritte nicht im selben Ausmaß in den objektiven Befunden wider. So wurde etwa der primäre Endpunkt (Veränderung des Ashworth-Scores nach 13 Wochen als Maß für die Spastizität) nicht erreicht. Insgesamt erscheint bei MS ein Therapieversuch mit Cannabinoiden bei Problemen mit konventionellen Medikamenten (Baclofen, Tizanidin), Blasenfunktionsstörungen und spastikassoziierten oder neuropathischen Schmerzen gerechtfertigt [8]. Andere neurologische Erkrankungen, bei denen positive Effekte beobachtet wurden, sind Chorea Huntington, M. Parkinson und das Tourettesyndrom.
Die Substanzen bieten sich im onkologischen Setting als Ergänzung zu den aktuellen analgetischen Behandlungsmöglichkeiten an. Die Evidenz spricht für eine mögliche Rolle der Cannabinoide bei therapierefraktären Tumorschmerzen [9]. Potenzielle Anti-Karzinom-Eigenschaften befinden sich in Diskussion.

Fazit

Cannabinoide sind in der Schmerztherapie eine interessante Möglichkeit der Add-on-Therapie, wenn mit anderen Analgetika keine ausreichende Linderung erzielt werden kann. Der Einsatz ist aber nur bei chronischem und nicht bei akutem Schmerz indiziert.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt. R. Likar gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Literatur
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Metadaten
Titel
Cannabis gegen Schmerz
verfasst von
Prof. Dr. R. Likar
Publikationsdatum
01.09.2014
Verlag
Springer-Verlag
Erschienen in
rheuma plus / Ausgabe 3/2014
Print ISSN: 1868-260X
Elektronische ISSN: 2191-2610
DOI
https://doi.org/10.1007/s12688-014-0110-z

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