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Ärzte Woche

17.01.2022

Briefe an Übermorgen

verfasst von: Dr. Ronny Tekal, Medizin-Kabarettist Dr. Ronny Tekal

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© FotoDuets // iStock

Wie man über Generationen hinweg  kommunizieren kann.

Der Homo sapiens ist schon ein paar hunderttausend Lenze alt, seine Fähigkeit zu schreiben hat er jedoch gerade mal vor 5.000 Jahren erworben. Und erst seit Kurzem verfügen wir auch über eine automatische Rechtschreibprüfung, die seine fehlerhafte Fähigkeit zu schreiben am Computer rot unterwellt. Zwar hat der Mensch zuvor auch bestens überlebt, doch da er nicht in der Lage war, eine simple Einkaufsliste zu verfassen, konnte es schon passieren, dass die Jäger das Mammut zwar besorgt, jedoch auf Salz und Klopapier vergessen hatten. Darüber hinaus ist das gesprochene Wort vergänglich und damit wenig greifbar. Die Menschen misstrauen dahingesagten Sätzen wie „Ich liebe dich“ und verlangen nach einer schriftlichen Bestätigung, in Form einer Heiratsurkunde. Ein solches Dokument war früher noch in Stein gemeißelt, für die Ewigkeit, heute ist es über das digitale Amt downloadbar und lässt sich beim nächsten Update bequem löschen. Denn auch die Haltbarkeit von Schriftstücken ist begrenzt. Tinte verblasst, Seiten vergilben und auch der Datenträger von gestern lässt sich nicht mehr in den USB-Slot von morgen schieben. Das ist ein Problem, angesichts der Tatsache, dass man Patientenakten drei Jahrhunderte lang archivieren muss.

Zudem sind Schriftstücke für künftige Generationen nicht immer zu verstehen. Selbst Archäologen brauchen eine halbe Ewigkeit, um ein simples ägyptisches Graffiti („Ramses hat einen kleinen Pimmel“) zu entziffern. So wurden zur Entschlüsselung unleserlicher Hieroglyphen angeblich auch Apotheker eingesetzt, um ein dreitausend Jahre altes Rezept zu dechiffrieren, das neben Eselsmilch und dem Blut eines jungfräulichen Tapirs auch 500 mg Ibuprofen und einen Cholesterinsenker beinhaltete. Zurzeit suchen Experten nach Wegen, wie man eine lesbare Botschaft an die Zukunft übermitteln kann. Grund ist die wiederaufbereitete Beliebtheit für Atomstrom. Immerhin hat die EU vor, die Kernkraft als grüne Energie und den radioaktiven Abfall als kompostierbar zu klassifizieren. Sicherheitshalber möchte man die Endlager für unsere Nachkommen dann doch mit einem Warnhinweis versehen, den man noch in 1 Million Jahren bzw. 40.000 Generationen später versteht. Letztlich sollen unsere nichts ahnenden Ahnen davon absehen, über einer Atommülldeponie ein Fundament für ein Wellness-Ressort zu graben.

Schwierig, denn der Hinweis „Danger“ hält auch heute niemanden davon ab, eine Silvesterrakete aus der Gesäßfalte abzuschießen. Auch Symbole sind kulturabhängig und der Totenkopf von heute möglicherweise das Werbeschild für die Taverne von morgen. Die „Atomsemiotik“ gibt es bereits seit den 1980er-Jahren und bastelt an Smileys, die Ekel und Panik zeigen. Generell wissen wir aber aus der Medizin, dass es nicht schlau ist, eine Substanz zu verabreichen, deren Halbwertszeit über einem Jahrzehnt liegt. In diesem Sinne vergraben wir unseren Kindeskindern lieber keine radioaktiven Eier, selbst wenn sie gekennzeichnet sind.

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Metadaten
Titel
Briefe an Übermorgen
Publikationsdatum
17.01.2022
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 4/2022

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