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13.11.2024

Bella Italianità?

verfasst von: Dr. Katharina Edtstadler

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Das diesjährige Gastland Italien lud ein, nicht alle der aktuell bekanntesten Autorinnen und Autoren kamen nach Frankfurt. Vom Olivenernten und einem neuen „Goldenen Zeitalter“, das noch nicht begonnen hat.

Italien ist das Sehnsuchtsland der Sommermonate. Wenn die Schatten länger werden, verkleinert dies alljährlich auch die Touristenströme. Umbrien liegt geografisch zwischen der Toskana, Latium und den Marken. Der Name leitet sich vom italienischen „terra d’ombra“, also Erde des Pigments, ab, könnte aber auch auf das Wort „ombra“, also Schatten zurückzuführen sein. Als ich im November 2016, kurz nachdem schwere Erdbeben die Region erschüttert hatten, eine Woche zur Olivenernte dort verbrachte, war mir schnell klar, dass diese Jahreszeit meine Faszination für dieses Land noch einmal verstärken würde.

Italien im Herbst ist eine goldene Angelegenheit – obwohl die Erstpressung unserer eigenen Oliven zum Glück hellgrün ausgefallen ist. Als Gastland der diesjährigen Frankfurter Buchmesse hat sich „la Bella“ für eine ähnliche Rhetorik entschieden. „Verwurzelt in der Zukunft“ war das Motto für den ersten großen kulturpolitischen Auftritt der Regierung Meloni. Der italienische Trailer zur Buchmesse, dessen Sprecher klingt wie jene aus den Joghurtwerbungen der 1990er-Jahre, führt aus der Vogelperspektive in eine historische Bibliothek. Eine Familie, die ähnliche Stereotypen reproduziert, wie die meisten Joghurtwerbungen, blättert in alten Büchern. Denselben entspringen die großen Geister der Vergangenheit – zurück bis zu Dante, Petrarca, Boccaccio. Beschworen wird eine goldene Vergangenheit der Nation, ein kulturelles Erbe, die Italianità, die es, so wirkt es, in die Zukunft zu transferieren gilt.

Die Gästeliste der Gegenwartsautorinnen und -autoren spiegelt aber ein anderes Italien wider, eines, das sehr viel diverser ist. Igiaba Scego, Giulia Caminito oder Mario Desiati: Sie alle passen so gar nicht in das Bild aus der Joghurtwerbung. Hätte sich die Regierung Meloni ihre Entsandten aussuchen können, hätte das vermutlich die Auferstehung der oben genannten historischen Persönlichkeiten bedeutet, aber im Fokus der Gegenwart stehen andere, die kein noch so rückwärtsgerichteter Blick auf das nationale Kulturschaffen ignorieren kann. Dass Regierungskritik jedoch schwerer wiegt als Leistung wird daran ersichtlich, dass einzelne Personen dann doch nicht als offizielle Repräsentanten nach Frankfurt geschickt wurden. Roberto Saviano, der ein Buch über die Mafia geschrieben hat, fehlt auf der Liste, obwohl er zu den international bekanntesten des Landes zählt. Er wurde unter anderem von den deutschen Buchhändlern, dem ZDF und dem Übersetzungsverband eingeladen.

Wenn Kunst und parteipolitische Konformität in dieser Weise miteinander verknüpft werden, ist das eine Form der Zensur, die die kulturelle Vielfalt eines Landes und seine Wirkung nach außen schwächt. Schriftstellerisches Gut kontextabhängig zu interpretieren, aber dennoch frei bewerten zu dürfen, sollte ein rechtlicher Grundsatz sein. Auch wenn die Bücher frei verkäuflich bleiben, ist Publicity oft das Zünglein an der Waage, das darüber entscheidet, wer gelesen wird und wer sich im hart umkämpften Literaturbetrieb über Wasser halten kann. Eine goldene italienische Zukunft sollte ihre Wurzeln in Ehren halten und die neuen Äste ihrer Bäume pflegen. Bei unserer Ernte hatte ein Borkenkäfer einen guten Teil der Oliven vernichtet. Auch Politik hat die Macht, Früchte zu zerstören, die sich in Gold verwandeln könnten.


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Metadaten
Titel
Bella Italianità?
Publikationsdatum
13.11.2024