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Erschienen in: rheuma plus 4/2021

Open Access 23.04.2021 | Klinische Praxis

Behandlungsempfehlungen vs. Real-Life: Therapie der rheumatoiden Arthritis in Österreich

verfasst von: Dr. A. Kerschbaumer, D. Aletaha

Erschienen in: rheuma plus | Ausgabe 4/2021

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Zusammenfassung

Das im Jahr 2019 erfolgte Update der EULAR-Behandlungsempfehlungen für Patientinnen und Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) umfasst einige Änderungen, welche vor allem auf neue pharmakologische Behandlungsalternativen (Januskinase-Inhibitoren), aber auch auf Erweiterungen der Therapiestrategien beruhen. Während die wissenschaftliche Evidenz und insbesondere die Anzahl der publizierten klinischen Studien stetig anwächst und nicht leicht überblickbar ist, war es stets ein wesentliches Ziel, die Anwendbarkeit der Empfehlungen in der klinischen Praxis in konkreten Schritten zu veranschaulichen. Beginnend mit der Therapieeinleitung nach Diagnosestellung, dem Therapieziel und dem Monitoring, wird auf die Erstlinientherapie mittels konventioneller Basistherapeutika und Glukokortikoiden eingegangen. Basierend auf dem Vorliegen von schlechten prognostischen Faktoren wird in der Zweitlinientherapie entweder eine Biologika- bzw. gezielte synthetische Basistherapie (in Kombination mit konventionellen Basistherapeutika) etabliert oder eine weitere konventionelle Basistherapie in Erwägung gezogen. Bei erneutem Fehlschlag der zielgerichteten Therapie wird auf ein anderes Wirkprinzip oder einen zweiten Tumornekrosefaktor-alpha-Inhibitor gewechselt. In langanhaltender Remission soll die Therapie, beginnend mit den Glukokortikoiden, gefolgt von Biologika und gezielten synthetischen Therapien, ausgeschlichen werden. Erst zuallerletzt soll die konventionelle Basistherapie beendet werden, mit dem höchsten Therapieziel der therapiefreien Remission. Diese Arbeit bietet einen Überblick über die Behandlungsempfehlungen der RA sowie auf jedes der übergeordneten Prinzipien („overarching principles“). Hierbei wird auf jede Empfehlung einzeln eingegangen und anhand eines konkreten Beispiels die Anwendung in der klinischen Praxis erläutert.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Übergeordnete Behandlungsprinzipien

Die sog. „overarching principles“, grundlegende Behandlungsprinzipien der rheumatoiden Arthritis (RA), haben einen besonderen Stellenwert in der RA-Therapie. Diese werden von der EULAR Task Force besonders hervorgehoben als grundlegende Basis für die Therapie von RA-Patienten. Sie beruhen auf einer grundlegenden Haltung der Vernunft und sind damit (bewusst) nicht evidenzbasiert.
Besonders hervorzuheben ist das neu hinzugekommene Prinzip D, welches betont, dass Patienten im Laufe ihres Lebens auf multiple Therapiestrategien angewiesen sein können (Tab. 1).
Tab. 1
Übergeordnete Behandlungsprinzipien für die pharmakologische Behandlung von Patienten mit rheumatoider Arthritis. (Nach [1])
 
Übergeordnete Behandlungsprinzipien
Shortcut
A
Die Therapie von RA-Patienten zielt auf die bestmögliche medizinische Behandlung ab und soll auf einer gemeinsamen Entscheidung, getroffen zwischen Patient und Rheumatologe, basieren
„Shared decision making“
B
Therapieentscheidungen beruhen auf der Krankheitsaktivität, Therapiesicherheit und anderen patientenbezogenen Faktoren (beispielsweise Komorbiditäten und radiographischer Progression)
Wirksamkeit, Sicherheit, individuelle Patientenfaktoren
C
Rheumatologen sind die Spezialisten, welche primär Patienten mit rheumatoider Arthritis behandeln sollten
Management durch Rheumatologen
D
Patienten bedürfen Zugang zu multiplen Medikamenten mit unterschiedlichen Wirkmechanismen aufgrund der Heterogenität der RA. Patienten benötigen möglicherweise multiple aufeinanderfolgende Therapien im Laufe ihres Lebens
Unterschiedliche Therapien im Laufe des RA-Verlaufs oft nötig
E
Die rheumatoide Arthritis ruft hohe individuelle, medizinische und gesellschaftliche Kosten hervor, welche vom behandelnden Rheumatologen bei der Behandlung bedacht werden sollen
Bedenke: Kosten

Behandlungsempfehlungen

Die Behandlungsempfehlungen folgen einem Schema, welches durch die verschiedenen Stadien der pharmakologischen Therapie der RA führt (Tab. 2).
Tab. 2
Behandlungsempfehlungen für die pharmakologische Behandlung von Patienten mit rheumatoider Arthritis. (Nach [1])
#
Behandlungsempfehlung
Shortcut
1
Die Therapie mit DMARD soll sobald wie möglich nach der Diagnose begonnen werden
csDMARD frühestmöglich beginnen
2
Das Therapieziel ist die klinische, anhaltende Remission oder niedrige Krankheitsaktivität („low disease activity“, LDA) bei jedem Patienten
Treat-to-target-Ziel: Remission oder LDA
3
Kontrollen sollten bei aktiver Erkrankung regelmäßig (alle 1–3 Monate) erfolgen. Kommt es zu keinem ausreichenden Therapieansprechen innerhalb von 3 Monaten nach Therapiebeginn bzw. Erreichen des Therapieziels innerhalb von 6 Monaten, sollte die Therapie angepasst werden
Monitoring alle 1–3 Monate
4
Methotrexat sollte Teil der ersten Therapiestrategie sein
Erstlinie: MTX
5
Bei Patienten mit einer Kontraindikation (oder früh auftretenden Unverträglichkeit) von Methotrexat soll eine Therapie mit Leflunomid oder Sulfasalazin als Teil der ersten Therapiestrategie in Erwägung gezogen werden
MTX nicht möglich: Leflunomid oder Sulfasalazin
6
Kurzzeitige Anwendung von Glukokortikoiden (in verschiedenen Dosisschemata und Verabreichungsrouten) sollte bei Therapieeinleitung oder -wechsel von csDMARDs überlegt werden und so früh wie klinisch möglich ausgeschlichen werden
Kurzzeitig (!) Add-on Glukokortikoide
7
Wird das Behandlungsziel mit der ersten csDMARD-Therapiestrategie nicht erreicht, sollen in Abwesenheit von schlechten prognostischen Faktoren andere csDMARDs erwogen werden
Ziel nicht erreicht + gute Prognose: Erwäge andere csDMARDs
8
Wird das Behandlungsziel mit der ersten csDMARD-Therapiestrategie nicht erreicht, soll bei Vorliegen von schlechten prognostischen Faktoren ein biologisches DMARD oder ein „targeted synthetic DMARD“ zur Therapie hinzugefügt werden
Ziel nicht erreicht + schlechte Prognose: Add-on bDMARD oder tsDMARD
9
bDMARDs und tsDMARDs sollten mit csDMARDs kombiniert werden; bei Patienten die csDMARDs nicht als Komedikation verwenden können, haben IL6-Signalweg-Hemmer und tsDMARDs möglicherweise einen Vorteil verglichen mit anderen bDMARDs
b/tsDMARD in Kombination mit csDMARD
10
Wenn die Therapie mittels bDMARD oder tsDMARD fehlschlägt, soll eine Therapie mit einem anderen bDMARD oder tsDMARD in Erwägung gezogen werden; bei Versagen eines TNFi, ist ein Wechsel auf einen anderer Wirkmechanismus oder einen zweiten TNFi möglich
Ziel nicht erreicht: Wechsel bDMARD/tsDMARD
11
Wenn ein Patient in persistierender Remission ist, soll nach dem Ausschleichen von Glukokortikoiden das Ausschleichen von bDMARDs und tsDMARDs erwogen werden, besonders wenn diese Therapie mit einem csDMARD kombiniert wurde
Therapiereduktion in Remission:
1. Glukokortikoid
2. bDMARD/tsDMARD
12
Wenn ein Patient in persistierender Remission ist, kann das Ausschleichen der csDMARD-Therapie in Erwägung gezogen werden
Therapiereduktion in Remission:
3. csDMARD
Empfehlung 1 (Diagnose + Therapieeinleitung).
Die Therapie mit krankheitsmodifizierenden Antirheumatika („disease-modifying anti-rheumatic drugs“, DMARDS) soll sobald als möglich nach der Diagnose begonnen werden.
Wird die Diagnose einer RA gestellt, soll schnellstmöglich mit einer Therapie begonnen werden. Basistherapeutika (DMARDs) sind definiert als Therapeutika, welche direkt in den pathophysiologischen Ablauf der chronischen Entzündung eingreifen, diesen hemmen und ein Fortschreiten von radiologischen Schäden der Gelenke, im Sinne von knöchernen (erosiven) Schäden und Knorpelschäden (messbar durch die Gelenkspaltverschmälerung), hemmen. Dies unterscheidet DMARDs von gewöhnlichen, nichtsteroidalen Antirheumatika. Eine frühe, optimale Therapie wirkt schnell, verbessert die klinische Symptomatik sowie die Lebensqualität der Patienten und vermeidet neben dem Fortschreiten von irreversiblen Gelenkschäden auch den längerfristigen Einsatz von Glukokortikoiden.
Fallbeispiel: Patientin E. P. (Bürokauffrau, 54 Jahre alt, keine Vorerkrankungen) wird bei ihrem Hausarzt vorstellig und klagt über neu aufgetretene, seit 2 Monaten bestehende Gelenkschmerzen und -schwellungen der Fingergrund- und Mittelgelenke des 2., 3. und 4. Fingers beidseits (symmetrisch), Morgensteifigkeit von 2–3h und deutliche Einschränkung im beruflichen und privaten Alltag.
In der klinischen Tastuntersuchung zeigen sich die Gelenke geschwollen, im Labor ist das C‑reaktive Protein leicht erhöht (2,1mg/dl). Nach Bestimmung von Rheumafaktor (263IU/ml) und Antikörper gegen citrullinierte Proteine (aCCP; >340U/ml) erfolgt eine Zuweisung zur Röntgenuntersuchung und zur rheumatologischen Spezialambulanz. Die Rheumatologin in der Ambulanz diagnostiziert eine rheumatoide Arthritis.
Empfehlung 2 (Therapieziel).
Das Therapieziel ist die klinische, anhaltende Remission oder niedrige Krankheitsaktivität bei jedem Patienten.
Übernommen aus der Behandlung von Diabetes mellitus, hielt das Treat-to-target-Prinzip Einzug in die Rheumatologie und revolutionierte die Behandlung der RA. Es beruht auf der Erkenntnis, dass viele Patienten vormals zu spät auf eine ausreichend wirksame Therapie ein- bzw. umgestellt wurden.
Eine adäquate Krankheitsaktivitätsbestimmung ist dabei unabdinglich und anhand des Clinical Disease Activity Index (CDAI) auch einfach und ohne CRP-Bestimmung möglich. Für die Berechnung erfolgt eine schlichte Addition von: Anzahl der geschwollenen Gelenke (0–28) + Anzahl der schmerzhaften Gelenke (0–28) + Patientenselbsteinschätzung der Krankheitsaktivität (visuelle Analogskala 0–10) + Untersuchereinschätzung der Krankheitsaktivität (visuelle Analogskala 0–10).
Das Therapieziel soll gemeinsam mit dem Patienten besprochen und festgelegt werden
Als Remission wird ein CDAI von ≤ 2,8 bezeichnet, als niedrige Krankheitsaktivität ein CDAI > 2,8 und ≤ 10. Das Therapieziel soll, basierend auf dem Behandlungsprinzip A, gemeinsam mit dem Patienten besprochen und festgelegt werden. Hierbei sollen auch patientenbezogene Besonderheiten, wie beispielsweise Komorbiditäten, einbezogen werden. Dies erhöht das Verständnis der Patienten für die Erkrankung und verbessert optimalerweise auch die Compliance [4].
Fallbeispiel: Bei Vorstellung in der rheumatologischen Ambulanz erfolgt eine Untersuchung unserer Patientin E.P. – die Metakarpophalangeal(MCP)-Gelenke und proximalen Interphalangeal(PIP)-Gelenke 2–4 sind beidseits sowohl druckschmerzhaft als auch in der Untersuchung synovitisch (weich/teigig) geschwollen. Die Patientin gibt ihre subjektive Einschätzung der Krankheitsaktivität mit 7,5cm auf der visuellen Analogskala an, die Untersucherin bei 6,3cm. Damit ergibt sich ein CDAI-Score von 12 (druckschmerzhafte Gelenke)+12 (geschwollene Gelenke)+7,5 (Krankheitsaktivitätseinschätzung Patient)+6,3 (Krankheitsaktivitätseinschätzung Untersucherin)=37,8.
Im Röntgen der Hände und Vorfüße zeigt sich eine Erosion im Bereich des MCP 2 rechts. Die behandelnde Rheumatologin bespricht mit Frau E. P. die Grundzüge der Erkrankung und erläutert auch die Prinzipien der Krankheitsaktivität und wie diese gemessen wird. Da in Remission keine Langzeitschäden (im Sinne von weiteren Gelenksschäden) zu erwarten sind und Patienten eine ähnliche Lebensqualität zur gesunden Normalbevölkerung zu erwarten haben, einigen sich beide auf das Therapieziel Remission.
Empfehlung 3 (Monitoring).
Kontrollen sollten bei aktiver Erkrankung regelmäßig (alle 1–3 Monate) erfolgen. Kommt es zu keinem ausreichenden Therapieansprechen innerhalb von 3 Monaten nach Therapiebeginn bzw. Erreichen des Therapieziels innerhalb von 6 Monaten, sollte die Therapie angepasst werden.
Wie anhand der vorangegangenen Beispiele gezeigt, stellt die klinische Untersuchung in der Behandlung der RA einen Grundpfeiler dar. Die regelmäßige klinische Kontrolle soll sicherstellen, dass eine unwirksame Therapie bzw. eine persistierende hohe Krankheitsaktivität und auch Therapienebenwirkungen früh erkannt werden. So kann die Therapie, wenn notwendig, rechtzeitig adaptiert werden, ohne das Risiko, eine progressive und irreversible Gelenksschädigung zu übersehen [4].
Die klinische Untersuchung ist ein Grundpfeiler in der Behandlung der RA
Empfehlung 4 (Erstlinientherapie):
Methotrexat sollte Teil der ersten Therapiestrategie sein.
Langjährige Erfahrung, aber auch die Evidenz aus modernen randomisierten Studien zeigt, dass die Therapie mit Methotrexat (MTX) einmal pro Woche eine sichere, wirksame und gleichzeitig kostengünstige Option der RA-Therapie darstellt, die (in Kombination mit kurzzeitigen Glukokortikoiden) modernen Biologikatherapien in der Erstlinie keineswegs nachsteht [5].
Einschleichende Dosierungen (z. B. 10 mg 1‑mal/Woche) mit Steigerung bei guter Verträglichkeit und Abwesenheit von Nebenwirkungen nach einem Monat Therapie (auf z. B. 25 mg 1‑mal/Woche) sind gängige Praxis. Nebenwirkungen (Übelkeit, Unwohlsein, Stomatitis, Blutbildveränderungen, Transaminasenerhöhung, erhöhtes Infektionsrisiko, sehr selten: Pneumonitis) können auftreten und sollten im Rahmen von frühen Routinekontrollen überprüft und erkannt werden. Eine begleitende Therapie mittels Folsäure (z. B. 5 mg am ersten und zweiten Tag nach der MTX-Einnahme) sollen diese vermindern und werden daher in Kombination verordnet. Bei gastrointestinalen Nebenwirkungen besteht außerdem die Möglichkeit der subkutanen Verabreichung.
Empfehlung 5 (Alternative Erstlinientherapie).
Bei Patienten mit einer Kontraindikation (oder früh auftretenden Unverträglichkeit) von Methotrexat soll eine Therapie mit Leflunomid oder Sulfasalazin als Teil der ersten Therapiestrategie in Erwägung gezogen werden.
Treten bei der Therapie mit MTX genannte Nebenwirkungen frühzeitig auf, besteht die Möglichkeit, andere konventionelle synthethische DMARDs (csDMARDs) als Alternative anzuwenden. Hierbei haben im Laufe der Zeit lediglich 2 Wirkstoffe ihren Stellenwert beibehalten können: Leflunomid und Sulfasalazin.
Zu bemerken sind häufige gastrointestinale Nebenwirkungen sowie ebenso die potenzielle Hepato- und Hämatotoxizität bei der Anwendung von Leflunomid. Sulfasalazin findet seine Anwendung insbesondere bei jungen Patientinnen mit Kinderwunsch – hier ist bei der Anwendung vor allem auf sehr seltene Hautreaktionen (im Sinne einer exfoliativen Dermatitis, eines Stevens-Johnson-Syndroms, einer toxischen epidermalen Nekrolyse und DRESS) besonders hinzuweisen.
Empfehlung 6 (Glukokortikoide).
Die kurzzeitige Anwendung von Glukokortikoiden (in verschiedenen Dosisschemata und Verabreichungsrouten) sollte bei Therapieeinleitung oder -wechsel von csDMARDs überlegt werden und so früh wie klinisch möglich ausgeschlichen werden.
Die kurzzeitige (!) Anwendung von systemischen Glukokortikoiden in Kombination mit MTX stellt die eigentlich empfohlene Erstlinienstrategie der EULAR dar. Außerdem kann bei einzelnen geschwollenen Gelenken eine intraartikuläre Glukokortikoidinjektion erfolgen.
Die Zeit bis zum durchschnittlich ein bis 3 Monate dauernden, vollen Wirkeintritt von csDMARDs (wie MTX) soll hierbei überbrückt und somit eine rasche Reduktion der Krankheitsaktivität erreicht werden. Die Wichtigkeit des kompletten Ausschleichens der Glukokortikoid-Therapie soll aber deutlich betont werden.
Bekannte Langzeitnebenwirkungen (gestörte Glukosetoleranz, Hypertonie, katabole Wirkung auf Muskel und Knochen, anabole Wirkung auf Adipozyten und Stammfettsucht, Hautatrophie, Katarakt) sollen hierbei unbedingt vermieden werden. Ein Wechsel auf andere Therapiealternativen ist bei unzureichendem Ansprechen auf csDMARDs (siehe Empfehlung 7) einer langandauernden Glukokortikoid-Therapie eindeutig vorzuziehen.
Fallbeispiel: Frau E.P. erhält von ihrer behandelnden Rheumatologin noch am Tag der Diagnosestellung, nach Aufklärung über Wirkung und Nebenwirkungen, eine Verordnung von Methotrexat (beginnend mit 10mg 1-mal/Woche), Folsäure (1-mal 5mg, stets am ersten und am zweiten Tag nach der MTX-Einnahme) und Prednisolon (20mg 1-mal täglich für 1 Woche; dann 15mg 1-mal täglich für 1 Woche; dann 10mg 1‑mal täglich für 1 Woche; dann 5mg 1‑mal täglich für 2 Wochen; dann absetzen). Die Patientin wird in 3 Wochen zur Laborkontrolle wiederbestellt und kann, bei gutem unauffälligem Labor, anschließend die MTX-Dosis auf 25mg 1‑mal pro Woche erhöhen.
Im Rahmen der ersten Routinekontrolle, 1 Monat nach Therapiestart, berichtet die Patientin, bei zwar gutem Therapieansprechen (CDAI=8), über eine ausgeprägte Übelkeit bis 2 Tage nach der MTX-Einnahme. Außerdem berichtet sie von neu aufgetretenen offenen Stellen im Mund. Die Rheumatologin bespricht mit der Patientin die Notwendigkeit eines Therapiewechsels von MTX auf Leflunomid 10mg 1‑mal täglich. Eine erneute Laborkontrolle soll nach 4 Wochen erfolgen. Außerdem erhält die Patientin in der Ambulanz einen Impfaufklärungsbogen, um eventuell ausständige Impfungen über ihren Hausarzt aufzufrischen oder nachzuholen.
Empfehlung 7 (csDMARDs Zweitlinie).
Wird das Behandlungsziel mit der ersten csDMARD-Therapiestrategie nicht erreicht, sollen in Abwesenheit von schlechten prognostischen Faktoren andere csDMARDs erwogen werden.
In Abwesenheit von schlechten prognostischen Faktoren (wie hohen Antikörpertitern von Rheumafaktor und aCCP-Antikörpern, hohe Krankheitsaktivität, frühe erosive Röntgenschäden, unzureichende Wirksamkeit von ≥ 2 csDMARDs) kann und soll ein Add-on oder ein Wechsel auf ein anderes csDMARD überlegt werden.
Empfehlung 8 (bDMARD/tsDMARD Zweitlinie).
Wird das Behandlungsziel mit der ersten csDMARD-Therapiestrategie nicht erreicht, soll bei Vorliegen von schlechten prognostischen Faktoren ein biologisches DMARD oder ein „targeted synthetic DMARD“ zur Therapie hinzugefügt werden.
Langjährige Erfahrung mit monoklonalen Antikörpern, welche durch Inhibition von proinflammatorischen Signalwegen der chronischen Entzündung zielgerichtet in den Krankheitsprozess eingreifen, hat die Therapie der RA in den vergangenen Jahrzehnten revolutioniert. Therapieziele wie der Tumornekrosefaktor alpha (Adalimumab, Certolizumab pegol, Golimumab, Infliximab) oder dessen Rezeptor (Etanercept), der Interleukin-6-Rezeptor (Tocilizumab, Sarilumab), das CD80/86 Antigen (Abatacept) oder das CD20-Antigen (Rituximab) machen die Therapiemöglichkeiten vielfältig.
Hierbei gibt es zum momentanen Zeitpunkt keinen Hinweis auf bessere Wirksamkeit eines bDMARDs verglichen mit einem anderen [2]. Diese müssen intravenös oder subkutan verabreicht werden und zeigen neben ausgezeichneter Wirksamkeit ein gleichzeitig gutes Sicherheitsprofil.
Als Alternative zu bDMARDs haben sich in den letzten Jahren sog. „targeted synthetic DMARDs“ (Januskinase-Inhibitoren: Tofacitinib, Baricitinib, Upadacitinib, Filgotinib) herausgestellt. Diese haben den Vorteil einer oralen Einnahme und eines schnellen Wirkeintritts bei jedoch gleichzeitig beobachteten erhöhten Raten von Herpes-Zoster-Infektionen und dem Risiko von thromboembolischen Ereignissen (Tofacitinib, Baricitinib), vor allem bei kardiovaskulärem Risikoprofil [3].
Lebendimpfungen sind während laufender bDMARD und tsDMARD-Therapie kontraindiziert
Kontraindikationen wie eine bekannte Herzinsuffizienz (TNFi) oder eine Divertikulitis (IL6Ri) sind, wie auch gewisse potenzielle Nebenwirkungen, hierbei unterschiedlich je nach geplanter Therapie zu beachten. Eine aktive Infektion (z. B. Hepatitis, HIV) oder Krebserkrankung sowie eine latente Tuberkulose sollen jedenfalls vor Therapiestart mittels eines Interferon-gamma Release Assays ausgeschlossen werden. Zu beachten ist außerdem, dass Lebendimpfungen sowohl während laufender bDMARD- als auch tsDMARD-Therapie kontraindiziert sind.
Empfehlung 9 (b/tsDMARD Kombination mit csDMARD).
bDMARDs und tsDMARDs sollten mit csDMARDs kombiniert werden; bei Patienten die csDMARDs nicht als Komedikation verwenden können, haben IL6-Signalweg-Hemmer und tsDMARDs möglicherweise einen Vorteil verglichen mit anderen bDMARDs.
Die Kombination von bDMARDs oder tsDMARDs mit csDMARDs (vorwiegend MTX) hat sich in klinischen Studien als vorteilhaft hinsichtlich der Wirksamkeit ohne nachteilige Auswirkungen auf die Sicherheitsdaten gezeigt. Bei Notwendigkeit einer Monotherapie scheinen IL6-Signalweg-Hemmer und manche tsDMARDs besser als die bDMARD-Monotherapie.
Fallbeispiel: Zwei Monate nach Therapiewechsel auf Leflunomid wird Frau E.P. wieder zur nächsten Ambulanzkontrolle vorstellig. Die Prednisolontherapie wurde von der Patientin beendet, die Leflunomidtherapie wird gut vertragen und die Laborkontrolle zeigt sich, bis auf ein leicht erhöhtes CRP (1,2mg/dl), unauffällig.
Die Patientin klagt allerdings über weiterhin bestehende Gelenkschwellungen, welche objektiviert werden können (CDAI=13,4). Bei Vorhandensein von hohen RF- und aCCP-Titern sowie der initial hohen Krankheitsaktivität und einer Erosion im Röntgen wird erneut ein Therapiewechsel besprochen und der Patientin zusätzlich zu Leflunomid Adalimumab (40mg s.c. alle 2 Wochen) vorgeschlagen.
Die Impfauffrischungen durch den Hausarzt sind bereits erfolgt, ein Herzultraschall zeigt sich unauffällig. Bei ansonsten unauffälliger Krankheitsgeschichte, Ausschluss einer latenten Tuberkulose durch negativen IGRA-Test und unauffälligem Lungenröntgen oder aktiven Infektion (Hepatitis, HIV) kann mit der Therapie begonnen werden.
Empfehlung 10 (b/tsDMARD Versagen).
Wenn die Therapie mittels bDMARD oder tsDMARD fehlschlägt, soll eine Therapie mit einem anderen bDMARD oder tsDMARD in Erwägung gezogen werden; bei Versagen eines TNFi ist ein Wechsel auf einen anderer Wirkmechanismus oder einen zweiten TNFi möglich.
Nach unzureichendem Ansprechen auf ein bDMARD/tsDMARD ist der Wechsel auf eine Therapie mit einem anderen Wirkmechanismus empfohlen. Ein einmaliger Wechsel eines TNFi zu einem anderen TNFi ist prinzipiell ebenso möglich. Hierbei gibt es jedoch keine Evidenz für eine bessere Wirksamkeit eines bDMARDs bzw. tsDMARDs gegenüber eines anderen.
Fallbeispiel: Nach nun 1‑jähriger erfolgreicher Therapie mit Adalimumab 40mg s.c.+Leflunomid erfolgt eine außerplanmäßige Vorstellung von Frau E.P. im Rahmen eines Krankheitsschubes mit starken Gelenkschmerzen und ausgeprägter Morgensteifigkeit. Bei multiplen geschwollenen Gelenken beträgt der CDAI der Patientin 25,7 und die Rheumatologin erwägt eine erneute Umstellung auf ein alternatives Wirkprinzip.
Nach Abwägen der verschiedenen Möglichkeiten und Wirkprinzipien entscheidet sich die Patientin schlussendlich für eine Therapie mit Tocilizumab 162mg s.c. einmal pro Woche. Zusätzlich solle die Patientin erneut 20mg Prednisolon (in ausschleichender Dosierung) über 4 Wochen einnehmen.
Empfehlung 11 (Remission – Ausschleichen bDMARD/tsDMARD):
Wenn ein Patient in persistierender Remission ist, soll nach dem Ausschleichen von Glukokortikoiden das Ausschleichen von bDMARDs und tsDMARDs erwogen werden, besonders wenn diese Therapie mit einem csDMARD kombiniert wurde.
Sind Patienten in langanhaltender Remission (CDAI ≤ 2,8), sollte gemeinsam überlegt werden, die Therapie zu reduzieren. Nach Ausschleichen der Glukokortikoide sollte die Dosis bzw. der Injektionsabstand von ts- bzw. bDMARDs reduziert werden. Patienten sollten hierbei über das Risiko aufgeklärt werden, dass es hierunter zu einem Krankheitsschub kommen kann, wobei die meisten Patienten nach Re-Induktion bzw. Rückkehr zur vorigen Dosierung wieder die Remission erreichen. Die csDMARD-Therapie soll jedoch fortgeführt werden, da die Weiterführung das Schubrisiko klar reduziert.
Empfehlung 12 (Remission – Ausschleichen csDMARD).
Wenn ein Patient in persistierender Remission ist, kann das Ausschleichen der csDMARD-Therapie in Erwägung gezogen werden.
Bei hohen beobachteten Relaps-Raten im Rahmen von kompletter Therapiebeendigung ist hier die Empfehlung vorsichtiger formuliert. Therapiefreie Remission ist jedoch ein für gewisse Patienten erreichbares Ziel, wobei eine klare Vorhersage von Schüben und Schubwahrscheinlichkeiten nach wie vor nicht möglich ist.
Fallbeispiel: Frau E.P. äußert im Rahmen der Routinekontrolle bei ausgezeichneter Lebensqualität und kompletter Remission seit 6 Monaten nach Beginn mit der Tocilizumabtherapie den Wunsch der Therapiereduktion. Nach Aufklärung, dass dieses Vorgehen von der zugelassenen Dosierung abweicht und somit als experimentell anzusehen ist, sowie über das potenzielle Risiko eines Schubes und die Notwendigkeit der Fortführung der Therapie mittels Leflunomid, werden die Injektionszeiträume initial auf alle 2 Wochen (für 2 Monate) verlängert, dann auf alle 3 Wochen (für 2 Monate) mit anschließendem Absetzen der Tocilizumabtherapie.
Weitere 6 Monate später besucht die Patientin erneut die Ambulanz und berichtet, die Leflunomidtherapie selbstständig vor 3 Monaten abgesetzt zu haben. Bei vollständiger klinischer Remission der Erkrankung der Patientin (CDAI=0) verzichtet die behandelnde Rheumatologin diesmal auf die routinemäßige Laborkontrolle, terminiert den nächsten Kontrolltermin inkl. Röntgenkontrolle der Hände, Vorfüße und HWS in 6 Monaten und freut sich gemeinsam mit der Patientin über den Behandlungserfolg.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

A. Kerschbaumer gibt Beratungstätigkeit und speakers bureau für Abbvie, Bristol-Myers Squibb, Celgene, Lilly, Gilead, Merck Sharp and Dohme, Novartis und Pfizer an. D. Aletaha gibt Beratungstätigkeit und speakers bureau für Abbvie, Amgen, Lilly, Merck, Novartis, Pfizer, Roche, Sandoz sowie Zuschüsse von Abbvie, Amgen, Lilly, Novartis, Roche, SoBi und Sanofi an.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Literatur
Metadaten
Titel
Behandlungsempfehlungen vs. Real-Life: Therapie der rheumatoiden Arthritis in Österreich
verfasst von
Dr. A. Kerschbaumer
D. Aletaha
Publikationsdatum
23.04.2021
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
rheuma plus / Ausgabe 4/2021
Print ISSN: 1868-260X
Elektronische ISSN: 2191-2610
DOI
https://doi.org/10.1007/s12688-021-00427-w

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