Harnwegsinfektionen, ein weltweites Problem
Klassifikation, Definition und Keimspektrum
Unkomplizierte Harnwegsinfektion | Komplizierte Harnwegsinfektion | Rezidivierende Harnwegsinfektion | Urosepsis | |
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„American Urological Association“ [60] | Harnwegsinfektion bei gesunden, nichtschwangeren, Personen mit anatomisch und funktionell normalem Harntrakt, ohne Suszeptibilität für Harnwegsinfektionen | Harnwegsinfektion bei Personen mit Risikofaktoren oder Faktoren, welche den Therapieeffekt verschlechtern können, wie z. B. anatomischen oder funktionellen Anomalien des Harntrakts, Kompromittierung des Immunsystems, Infektion mit einem multiresistenten Erreger | 2 mittels Urinkultur bestätigte Episoden einer akuten bakteriellen symptomatischen Zystitis innerhalb von 6 Monaten oder 3 Episoden innerhalb von 1 Jahr | – |
Akute, sporadische oder rezidivierende Infektion des unteren (unkomplizierte Zystitis) und/oder oberen (unkomplizierte Pyelonephritis) Harntrakts, beschränkt auf nichtschwangere Frauen, Personen ohne relevante anatomische und funktionelle Anomalien des Harntrakts oder Komorbiditäten | Alle Harnwegsinfekte, die nicht als unkompliziert definiert sind Im engeren Sinne Patienten mit erhöhter Wahrscheinlichkeit eines komplizierten Verlaufs, wie z. B. Männer, schwangere Frauen, Patienten mit Dauerkathetern, oder immunkompromittierte Patienten | Rezidive von unkomplizierten und/oder komplizierten Harnwegsinfekten mit einer Häufigkeit von mindestens 3 Harnwegsinfekten pro Jahr oder 2 Harnwegsinfekten innerhalb von 6 Monaten | Infektion ausgehend von den Harnwegen mit lebensbedrohlicher Organfunktionsstörung, infolge Dysregulation der Wirtsantwort | |
„Up to date“ [61] | Auf die Harnblase beschränkte Infektion ohne Hinweis für systemische Symptome, nicht beschränkt auf Frauen, immunkompetente oder anatomisch/funktionell urologisch unauffällige Personen | Harnwegsinfektion mit systemischen Symptomen (wie z. B. Fieber > 37,7 °C), Schüttelfrost, ausgeprägte Müdigkeit oder Unwohlsein, Flankenschmerzen, Becken- oder perineale Schmerzen bei Männern) | – | – |
Dauerkatheter oder intermittierender Katheterismus: der Sonderfall
Definition | Symptome | Keine Symptome | |
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„Centers for Disease Control and Prevention“ [6] | Patienten, welche die folgenden Kriterien erfüllen: (1) Dauerkatheter an mindestens 2 aufeinanderfolgenden Tagen vor Beginn der Symptome (2) Beginn von Symptomen bei liegendem Dauerkatheter oder am Tag nach Entfernen des Dauerkatheters Urinkultur mit nicht mehr als 2 verschiedenen Mikroorganismen, von denen mindestens einer ein Bakterium ist und die Anzahl von 105 koloniebildenden Einheiten/mL übersteigt | – Fieber > 38,0 °C – Suprapubische Schmerzen – Flankenschmerzen – Gesteigerter Harndrang – Dysurie – Makrohämaturie – Lethargie – Anderweitig nicht erklärbare systemische Infektzeichen mit Verschlechterung des Allgemeinzustandes | – Trüber Urin – Übelriechender Urin – Pyurie Bei Nachweis von Bakterien im Urin ohne das Vorhandensein von Symptomen, spricht man unabhängig von der Anzahl koloniebildender Einheiten oder verschiedener Bakterienstämme von einer asymptomatischen Bakteriurie. Bei Dauerkatheterversorgung oder unter intermittierendemKatheterismus kann dies als physiologisch betrachtet werden |
„European Association of Urology“ [10] | Harnwegsinfektionen bei Patienten mit einem persistierenden oder innerhalb der letzten 48 h entfernten Dauerkatheter | ||
„Infectious Disease Society of America“ [62] | Patienten mit Symptomen für eine Harnwegsinfektion, ohne Hinweise für eine andere Infektursache, mit einem persistierenden oder innerhalb der letzten 48 h entfernten Dauerkatheter bzw. unter intermittierendemKatheterismus und mit Nachweis von ≥ 103 koloniebildenden Einheiten/mL in der Urinkultur |
Harnblasenspülung (Harnblasenirrigation) und Harnblaseninstillation: Studienlage
Harnblasenspülungen mit Leitungswasser oder physiologischer Kochsalzlösung
(a) Harnblasenspülungen (Leitungswasser oder physiologische Kochsalzlösung [NaCl 0,9 %]) | |||
Autor, Jahr | Studienpopulation und Studiensetting | Intervention | Resultate zu Bakteriurie und Harnwegsinfektionen |
Birkhäuser et al., 2011 [35] | Patienten mit einem katheterisierbaren Pouch (n = 23) Randomisierte Cross-over-Studie | 3‑mal tägliche Spülungen mit je 60 mL (a) NaCl 0,9 % (b) Leitungswasser Beobachtungszeitraum: 90 Tage | Anzahl notwendiger Antibiotikumtherapien während des Beobachtungszeitraums: NaCl 0,9 %: 11, Leitungswasser: 4 (p = 0,09) Rate nitritpositiver Urinstreifentests: NaCl 0,9 %: 22 % (418/1876), Leitungswasser: 11 % (219/2040, (p = 0,01). Rate positiver Urinkulturen: NaCl 0,9 %: 65 % (48/74), Leitungswasser: 64 % (48/75), (p > 0,05) Keine relevanten Nebenwirkungen berichtet |
Husmann, 2016 [33] | Patienten mit Spina bifida unter intermittierendem Selbstkatheterismus nach Blasenaugmentation (n = 75) Prospektive Langzeitstudie | Tägliche Spülungen mit (a) 60 mL NaCl 0,9 % (n = 25) (b) 120 mL NaCl 0,9 % (n = 25) (c) 240 mL NaCl 0,9 % (n = 25) Beobachtungszeitraum: > 10 Jahre | Anzahl symptomatischer Harnwegsinfektionen über 10 Jahre in Bezug auf das Spülungsvolumen: 240 ml: 47; 120 ml: 100 (p < 0,001); 60 ml: 127 (p < 0,001) Rate positiver Urinkulturen über 10 Jahre in Bezug auf das Spülungsvolumen: 240 ml: 45 % (113/250), 120 ml: 62 % (115/250), (p < 0,001); 60 ml: 84 % (210/250), (p < 0,001) Keine relevanten Nebenwirkungen berichtet |
(b) Harnblaseninstillationen mit säurehaltigen Lösungen | |||
Krebs et al., 1984 [39] | Patienten mit einer akuten Querschnittlähmung unter intermittierendem Katheterismus (n = 40) Randomisierte, kontrollierte Studie | (a) Bei jeder Katheterisierung Instillation von 6 % Zitronensäurelösung sowie 1‑mal täglich Einnahme von Methenamin (n = 20) (b) Keiner Therapie (Kontrollgruppe) Beobachtungszeitraum: 70 Tage | 80 % Reduktion von Harnwegsinfektionen unter aktiver Therapie (total 4 vs. 21 symptomatischer Infekte während des Beobachtungszeitraums) 50 % Reduktion der Rate positiver Urinkulturen unter aktiver Therapie (total 71 vs. 140 positiver Urinkulturen während des Beobachtungszeitraums) |
Kennedy et al., 1992 [37] | Patientinnen in einer Pflegeeinrichtung mit einer Dauerkatheterversorgung (n = 7) Randomisierte Cross-over-Studie | 2‑mal wöchentliche Spülungen/Instillationen mit je 100 mL (a) NaCl 0,9 % (b) 3,23 %iger Zitronensäurelösung (c) 6 %iger Zitronensäurelösung Beobachtungszeitraum: 9 Wochen | Rate von Bakteriurie am Ende der Interventionsperiode NaCl 0,9 %: 100 %, 3,23 %-Zitronensäurelösung: 75 %, 6 %-Zitronensäurelösung: 76 % Keine relevanten Nebenwirkungen berichtet |
Moore et al., 2009 [38] | Patientinnen in einer Pflegeeinrichtung mit einer Dauerkatheterversorgung (n = 73) Randomisierte, kontrollierte Studie | 1‑mal wöchentliche Spülungen/Instillationen mit je 50 mL (a) NaCl 0,9 % (n = 19) (b) 3,23 %iger Zitronensäurelösung (n = 16) (c) Keine Intervention (n = 20) Beobachtungszeitraum: 8 Wochen | In keiner der 3 Gruppen fand sich während des Beobachtungszeitraums eine symptomatische Harnwegsinfektion. Keine relevanten Nebenwirkungen berichtet |
(c) Harnblaseninstillationen mit antiseptischen Lösungen | |||
Van den Broek et al., 1985 [41] | Patienten mit kurzzeitiger Dauerkatheterversorgung im Rahmen eines orthopädischen Eingriffs (n = 78) Randomisierte, kontrollierte Studie | (a) Instillation von 50 mL Povidon-Iod (n = 42) vor Entfernung des Dauerkatheters (b) Keine Instillationen (Kontrollgruppe, n = 42) Beobachtungszeitraum: 3 Tage | Eine Bakteriurie fand sich in 28 % der Patienten in der Kontrollgruppe und bei 4 % der Patienten nach Povidon-Iod-Instillation (p = 0,03) Nach Etablierung dieses Managements bei Patienten, welche einmalkatheterisiert werden mussten, konnte eine Reduktion der Bakteriurierate von 6,9 % auf 3,7 % (p = 0,03) erreicht werden Keine relevanten Nebenwirkungen berichtet |
Wikstrom et al., 2018 [40] | Patienten mit einer Querschnittlähmung und rezidivierenden Harnwegsinfektionen (n = 19) Prospektive Studie | 2‑mal täglich 120 mL 0,2 %iges Chlorhexidin für 7 Tage Beobachtungszeitraum: 7 Tage | In 74 % (14/19) der Patienten konnten unter Chlorhexidininstillationen keine Bakterien im Urin nachgewiesen werden. Nach Beendigung der Chlorhexidininstillationen fand sich innerhalb von 7 Tagen eine reduzierte Bakterienlast. Keine relevanten Nebenwirkungen berichtet |
(d) Harnblaseninstillationen mit Hyaluronsäure und Chondroitinsulfat | |||
Damiano et al., 2011 [63] | Patientinnen mit rezidivierenden Harnwegsinfektionen (n = 57) Randomisiere, plazebokontrollierte, doppelblinde Studie | 1‑mal wöchentliche für 4 Wochen, danach 1‑mal monatlich für 5 Monate, Instillationen/Spülungen mit je 50 mL (a) Hyaluronsäure 1,6 % mit Chondroitinsulfat 2 % (n = 28) (b) NaCl 0,9 % (n = 29) Beobachtungszeitraum: 12 Monate | Durchschnittliche Anzahl an symptomatischen Harnwegsinfektionen pro Patientenjahr in der aktiven Gruppe 0,67 vs. 4,19 in der Plazebogruppe (p = 0,001) Keine relevanten Nebenwirkungen berichtet |
De Vita et al., 2012 [64] | Patientinnen mit rezidivierenden Harnwegsinfektionen (n = 28) Randomisiere, kontrollierte Studie | (a) 1-mal wöchentliche Instillationen für 4 Wochen, danach 1 Instillation alle 2 Wochen für weitere 4 Wochen mit 50 mL Hyaluronsäure 1,6 % mit Chondroitinsulfat 2 % (n = 12) (b) Orale Anwendung von Sulfonamid 200 mg mit Trimethoprim 40 mg 1‑mal wöchentlich für 6 Wochen Beobachtungszeitraum: 12 Monate | Durchschnittliche Anzahl an symptomatischen Harnwegsinfektionen pro Patienten nach Instillationen 1 ± 1,2 gegenüber 2,3 ± 1,4 unter oraler Therapie (p = 0,02) Keine relevanten Nebenwirkungen berichtet |
(e) Harnblaseninstillationen mit antimikrobiellen Substanzen | |||
Waites et al., 2006 [36] | Patienten mit neurogener Harnblasenfunktionsstörung und einem Dauerkatheter (n = 89) Randomisierte, kontrollierte Studie | 2‑mal tägliche Spülungen/Instillationen mit je 30 mL (a) NaCl 0,9 % (n = 29) (b) 0,25 %iger Essigsäurelösung (n = 30) (c) Neomycin (40 mg/ml)/Polymyxin (200,00 U/ml, n = 30) Beobachtungszeitraum: 8 Wochen | Anzahl Patienten mit frühzeitigem Studienabbruch infolge symptomatischer Harnwegsinfektionen: Gruppe (a) 1, Gruppe (b) 6, Gruppe (c) 4 (nicht signifikant) Es fand sich kein signifikanter Unterschied bezüglich Bakteriurie oder Leukozyturie zwischen den Gruppen. In der Population mit den antimikrobiellen Harnblaseninstillationen fand sich eine signifikante Verschiebung der mikrobiellen Spezies hin zu Enterokokken (p = 0,02) |
Cox et al., 2017 [65] | Patienten mit neurogener Harnblasenfunktionsstörung und rezidivierenden Harnwegsinfektionen (mindestens 4 Infekte innerhalb von 6 Monaten, n = 22) Prospektive Studie | 1‑mal tägliche Instillation mit 30–60 mL Gentamicinlösung (480 mg Gentamicin in 1 L NaCl 0,9 %) Beobachtungszeitraum: 12 Monate | Durchschnittlich 4 symptomatische Harnwegsinfektionen innerhalb von 6 Monaten (Monate 0–6) ohne Gentamicininstillation, keine symptomatischen Harnwegsinfektionen unter Gentamicininstillationen (Monate 7–12, p < 0,01) Keine relevanten Nebenwirkungen berichtet |
Harnblaseninstillationen mit säurehaltigen Spülmedien
Harnblaseninstillationen mit Antiseptika
Harnblaseninstillationen mit Hyaluronsäure und Chondroitinsulfat
Harnblaseninstillationen mit antimikrobiellen Substanzen
Bakteriophagen: Ein kurzer Überblick
Bakteriophagen für die Behandlung von Harnwegsinfektionen
Fazit für die Praxis
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Bei Patienten unter Dauerkatheter oder mit intermittierendem Katheterismus sind Harnblasenspülungen mit Leitungswasser oder physiologischer Kochsalzlösung eine einfache Möglichkeit zur Verbesserung des Harnblasenmanagements.