Harnwegsinfektionen (HWIs) gehören zu den grössten medizinischen Herausforderungen, insbesondere stellt uns der weltweit dramatische Anstieg von Antibiotikaresistenzen vor ungelöste Probleme. Patienten mit Dauerkatheter oder intermittierendem Katheterismus haben ein hohes Risiko für rezidivierende HWIs, aber auch für eine Übertherapie mit Antibiotika. Harnblasenspülungen mit Leitungswasser oder physiologischer Kochsalzlösung respektive Harnblaseninstillationen mit säurehaltigen, antiseptischen oder antimikrobiellen Substanzen sind eine vielversprechende Option zur Prophylaxe und Therapie von HWIs. Im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen könnten Bakteriophagen, Viren, die ausschliesslich Bakterien befallen und abtöten, zu einem Durchbruch bei der Therapie von HWIs und bakteriellen Infektionen im Allgemeinen führen – doch der Weg dazu ist weit, und gut geplante prospektive Studien werden die nötige Evidenz liefern müssen.
Hinweise
Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Harnwegsinfektionen, ein weltweites Problem
Harnwegsinfektionen (HWIs) gehören mit weltweit jährlich über 150 Mio. Betroffenen zu den häufigsten bakteriellen Infektionen überhaupt [1]. Allein in den USA führen HWIs zu über 10 Mio. Arztbesuchen und 100.000 Krankenhausaufenthalten [2, 3], mit geschätzten direkten und indirekten Gesundheitskosten von jährlich über 3,5 Mrd. US-Dollar [4]. Neben den enormen Kosten sind HWIs für eine ausserordentliche Einbusse der Lebensqualität von Menschen jeden Alters verantwortlich. Die medizinische Betreuung fällt verschiedenen Fachdisziplinen wie Allgemeinmedizin, Gynäkologie, Infektiologie, innere Medizin, Intensivmedizin und Urologie zu [5]. Das klinische Spektrum reicht von harmlosen Verläufen bis hin zu chronischen Erkrankungen und rezidivierenden HWIs, zu schweren Folgeerkrankungen wie lebensbedrohlicher Urosepsis, Niereninsuffizienz und Frühgeburten. Der (zu) häufige Antibiotikaeinsatz führt zu weiteren Problemen wie der pseudomembranösen Kolitis und der Entwicklung von Antibiotikaresistenzen.
Klassifikation, Definition und Keimspektrum
Infolge des breiten klinischen Spektrums ist eine eindeutige Klassifikation von HWIs schwierig. Die Einteilungen der verschiedenen Fachgesellschaften und Gesundheitsbehörden unterscheiden sich teilweise erheblich und sind weiterhin in einer steten Entwicklung (Tab. 1; [6‐11]) Oft wird zwischen unkomplizierten und komplizierten HWIs unterschieden. Unkomplizierte Infekte betreffen in der Regel Patienten, welche keine anderweitigen medizinischen Probleme, wie z. B. neurologische Erkrankungen oder anatomische Veränderungen der oberen oder unteren Harnwege haben [10, 12, 13]. Eine einfache Zystitis wird durch verschiedene Risikofaktoren wie Geschlecht, vaginale Infektionen, Diabetes mellitus, Übergewicht, sexuelle Aktivität und genetische Faktoren beeinflusst [5, 14]. Von komplizierten HWIs wird beim Vorhandensein von den Harntrakt oder die Immunabwehr kompromittierenden Faktoren, wie z. B. anatomischen oder funktionellen Problemen des Harntrakts (Steine, Divertikel), Immunsuppression, Nierentransplantation oder Nierenversagen, aber auch bei Schwangerschaft oder Notwendigkeit einer Katheterversorgung gesprochen [15, 16]. Mit je nach Studie über 70 % bilden katheterassoziierte HWIs („catheter associated urinary tract infection“ (CAUTI)) den Grossteil aller komplizierten HWIs [17].
Tab. 1
Auswahl verschiedener Klassifikationen von Harnwegsinfektionen
Harnwegsinfektion bei gesunden, nichtschwangeren, Personen mit anatomisch und funktionell normalem Harntrakt, ohne Suszeptibilität für Harnwegsinfektionen
Harnwegsinfektion bei Personen mit Risikofaktoren oder Faktoren, welche den Therapieeffekt verschlechtern können, wie z. B. anatomischen oder funktionellen Anomalien des Harntrakts, Kompromittierung des Immunsystems, Infektion mit einem multiresistenten Erreger
2 mittels Urinkultur bestätigte Episoden einer akuten bakteriellen symptomatischen Zystitis innerhalb von 6 Monaten oder 3 Episoden innerhalb von 1 Jahr
Akute, sporadische oder rezidivierende Infektion des unteren (unkomplizierte Zystitis) und/oder oberen (unkomplizierte Pyelonephritis) Harntrakts, beschränkt auf nichtschwangere Frauen, Personen ohne relevante anatomische und funktionelle Anomalien des Harntrakts oder Komorbiditäten
Alle Harnwegsinfekte, die nicht als unkompliziert definiert sind
Im engeren Sinne Patienten mit erhöhter Wahrscheinlichkeit eines komplizierten Verlaufs, wie z. B. Männer, schwangere Frauen, Patienten mit Dauerkathetern, oder immunkompromittierte Patienten
Rezidive von unkomplizierten und/oder komplizierten Harnwegsinfekten mit einer Häufigkeit von mindestens 3 Harnwegsinfekten pro Jahr oder 2 Harnwegsinfekten innerhalb von 6 Monaten
Infektion ausgehend von den Harnwegen mit lebensbedrohlicher Organfunktionsstörung, infolge Dysregulation der Wirtsantwort
Auf die Harnblase beschränkte Infektion ohne Hinweis für systemische Symptome, nicht beschränkt auf Frauen, immunkompetente oder anatomisch/funktionell urologisch unauffällige Personen
Harnwegsinfektion mit systemischen Symptomen (wie z. B. Fieber > 37,7 °C), Schüttelfrost, ausgeprägte Müdigkeit oder Unwohlsein, Flankenschmerzen, Becken- oder perineale Schmerzen bei Männern)
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Den verschiedenen Definitionen ist gemeinsam, dass zur Diagnose eines HWI grundsätzlich beides, Symptome und ein Keimnachweis, in der Urinkultur vorhanden sein müssen. Hier gilt zu beachten, dass diese beiden Voraussetzungen keineswegs Hand in Hand gehen. So gelingt bei Frauen mit HWI-typischen Beschwerden in bis zu 20 % kein Keimnachweis im Urin [18]. Mit einer Rate von 1–5 % in prämenopausalen und 2,8–8,6 % in postmenopausalen Frauen ist eine asymptomatische Bakteriurie nicht selten und bedarf, ausser bei Schwangerschaft, keiner weiteren Behandlung [19]. Bei Patienten mit einer Dauerkatheterversorgung oder unter intermittierendem Katheterismus ist eine asymptomatische Bakteriurie sogar als physiologisch anzusehen, und es soll bei fehlenden Symptomen unbedingt von einer Therapie abgesehen werden, da diese zu schwerwiegenden Komplikationen führen kann [19, 20].
Sowohl gramnegative als auch grampositive Bakterien sowie gelegentlich Pilze können bei HWIs nachgewiesen werden. Während bei unkomplizierten HWIs Escherichia coli (~75 %) gefolgt von Klebsiella pneumoniae (~5 %) und Enterococcus faecalis (~5 %) für den Grossteil aller Infekte verantwortlich sind [21, 22], müssen bei komplizierten HWIs ein breiteres Spektrum an Keimen und polymikrobielle Infektionen in Betracht gezogen werden (E. coli ~43 %, K. pneumoniae ~13 %, E. faecalis ~10 %, Pseudomonas aeruginosa ~9 %, Enterobacter spp. ~7 %, Proteus spp. ~6 %; [23]).
Die Gabe eines Antibiotikums gilt als Standardbehandlung eines HWI [10, 23]. Trotz grundsätzlich guter Erfolge dürfen bei jeder Antibiotikumtherapie potenzielle kurz- und langzeitige Nebenwirkungen nicht ausser Acht gelassen werden. So können durch antibiotikumbedingte Veränderungen des Mikrobioms Nischen geschaffen und von resistenten Keimen besiedelt werden [24]. Die weltweite Zunahme von Antibiotikaresistenzen stellt eine der grössten zukünftigen medizinischen Herausforderungen dar [25].
Dauerkatheter oder intermittierender Katheterismus: der Sonderfall
Wie für alle HWIs erfordert auch die Diagnose eines CAUTIs die Kombination von Symptomen und Keimwachstum eines Uropathogens in der Urinkultur (Tab. 2; [8]).
Patienten, welche die folgenden Kriterien erfüllen:
(1) Dauerkatheter an mindestens 2 aufeinanderfolgenden Tagen vor Beginn der Symptome
(2) Beginn von Symptomen bei liegendem Dauerkatheter oder am Tag nach Entfernen des Dauerkatheters
Urinkultur mit nicht mehr als 2 verschiedenen Mikroorganismen, von denen mindestens einer ein Bakterium ist und die Anzahl von 105 koloniebildenden Einheiten/mL übersteigt
– Fieber > 38,0 °C
– Suprapubische Schmerzen
– Flankenschmerzen
– Gesteigerter Harndrang
– Dysurie
– Makrohämaturie
– Lethargie
– Anderweitig nicht erklärbare systemische Infektzeichen mit Verschlechterung des Allgemeinzustandes
– Trüber Urin
– Übelriechender Urin
– Pyurie
Bei Nachweis von Bakterien im Urin ohne das Vorhandensein von Symptomen, spricht man unabhängig von der Anzahl koloniebildender Einheiten oder verschiedener Bakterienstämme von einer asymptomatischen Bakteriurie. Bei Dauerkatheterversorgung oder unter intermittierendemKatheterismus kann dies als physiologisch betrachtet werden
Patienten mit Symptomen für eine Harnwegsinfektion, ohne Hinweise für eine andere Infektursache, mit einem persistierenden oder innerhalb der letzten 48 h entfernten Dauerkatheter bzw. unter intermittierendemKatheterismus und mit Nachweis von ≥ 103 koloniebildenden Einheiten/mL in der Urinkultur
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Infolge der hohen Rate an asymptomatischer Bakteriurie und polymikrobieller Besiedelung [26] ist diese Patientenpopulation einem besonderen Risiko für eine Übertherapie mit Antibiotika ausgesetzt. Unter Berücksichtigung, dass der Dauerkatheter einen unabhängigen Risikofaktor für fieberhafte Harnwegsinfekte, Bakteriämie und Mortalität darstellt [27‐29], ist die Bereitschaft zu einer grosszügigen Antibiotikagabe gut verständlich. Die wissenschaftlich belegte, nicht vorhandene Reduktion der Mortalität durch antibiotische Behandlung einer asymptomatischen Bakteriurie, aber behandlungsbedingt gesteigerte Prävalenz resistenter Bakterien machen gerade bei Risikopopulationen eine sorgfältige Diagnostik und Therapieentscheidung umso wichtiger [20, 28, 30‐32].
Bei ausgezeichneter Evidenz für die schädliche Auswirkung unnötiger systemischer antibiotischer Therapien für das Individuum und die gesamte Gesellschaft hinsichtlich Gesundheit, Kosten und Bakterienresistenzen stellt sich die Frage nach alternativen Behandlungsmöglichkeiten.
Harnblasenspülung (Harnblasenirrigation) und Harnblaseninstillation: Studienlage
Speziell bei Patienten mit einer Dauerkatheterversorgung und unter Durchführung des intermittierenden Katheterismus sind Spülungen/Instillationen der Harnblase eine einfache und logische Konsequenz zur Verbesserung des Blasenmanagements. Neben einer möglichen Reduktion der Keimlast können zusätzliche positive Effekte, wie eine Verminderung von Okklusionen des Dauerkatheters, von Stein-, aber auch von Geruchsbildung erwartet werden. In der Tat werden diese alternativen Therapiemethoden vielerorts seit Jahren erfolgreich angewendet. Im Weiteren werden wir eine Übersicht über die Literatur geben und intensiviert auf Harnblasenspülungen (mit Leitungswasser oder physiologischer Kochsalzlösung) sowie Harnblaseninstillationen (Verabreichung von Flüssigkeiten mit einem aktiven pharmazeutischen Wirkstoff) eingehen.
Harnblasenspülungen mit Leitungswasser oder physiologischer Kochsalzlösung
Bei Harnblasenspülungen mit Leitungswasser oder physiologischer Kochsalzlösung erfolgt eine direkte aktive mechanische Reduktion von Bakterien und Detritus über einen Blasenkatheter (Abb. 1, Tab. 3a). In einer Langzeitbeobachtung einer Kohorte von Patienten mit Spina bifida der „Mayo Clinic“ konnte der positive Effekt von Harnblasenspülungen bestätigt werden [33]. Abhängig vom Spülungsvolumen (60 mL vs. 120 mL vs. 240 mL; physiologische Kochsalzlösung) fand sich eine absolute Reduktion des Risikos für HWIs von 63 % sowie für positive Urinkulturen von 39 %. Auch in Anbetracht dieser Resultate sprachen sich Tradewell et al. [34] in einer systematischen Übersichtsarbeit 2018 mit einem Empfehlungsgrad B mit Evidenzlevel 1 für Harnblasenspülungen bei Patienten mit Spina bifida aus. Bezüglich der Verwendung von Leitungswasser oder physiologischer Kochsalzlösung fanden Birkhäuser et al. [35] keinen Unterschied betreffend Wirksamkeit oder Sicherheit, jedoch einen deutlichen Kostenvorteil und eine bevorzugte Anwendung durch die Patienten zugunsten von Leitungswasser. Harnblaseninstillationen mit einer antimikrobiellen Substanz (Neomycin und Polymyxin) zeigten in einer Studie von Waites et al. [36] keine Vorteile gegenüber Harnblasenspülungen mit physiologischer Kochsalzlösung.
Abb. 1
Wirkmechanismen und Anwendung von Harnblasenspülungen. a Harnblasenspülungen mit Leitungswasser oder physiologischer Kochsalzlösung haben eine mechanische Reduktion der Bakterienlast, dysbiotischer Metaboliten und Zelldetritus zum Ziel. b Bei Verwendung säurehaltiger Lösungen kommt es zu einer Verminderung des Bakterienstoffwechsel, speziell Urease bildender Bakterien, zusätzlich kann es zu einer verminderten Enzymwirkung kommen. c Das wiederholt in urologischen Studien verwendete Chlorhexidin dringt in die bakterielle Zellmembran ein, verändert und beschädigt diese, sodass es zu einem Bersten der Bakterien kommt. d Hyaluronsäure und Chondroitinsulfat sollen sich positiv auf die Glykosaminoglykanschicht des Urothels auswirken und eine Schutzschicht bilden, welche eine bakterielle Invasion verhindert. e Die typischerweise für Harnblaseninstillationen angewendeten Antibiotika wirken an der Zellwand oder über eine Inhibition der Ribosomen und somit Verhinderung der Proteinbildung. f Für Harnblasenspülungen mit Leitungswasser oder physiologischer Kochsalzlösung ist die Verwendung einer grossen Harnblasenspritze (z. B. 100 mL) ideal. Diese wird mit lauwarmem Spülmedium aufgezogen, das danach aktiv über den Katheter in die Harnblase gespült und direkt wieder drainiert wird. Für Instillationen gibt es verschiedenste vorgefertigte Produkte. Hier ist nach Instillation je nach aktivem pharmazeutischem Wirkstoff eine längere Verweildauer der Lösung in der Harnblase notwendig. g Bakterielle Infektion mit dysbiotischen Metaboliten, welche zu einer Schädigung des Urothels führen. (Grafik erstellt mit BioRender.com)
Tab. 3
Überblick ausgewählter klinischer Studien zu Harnblasenspülungen und Harnblaseninstillationen
(a) Harnblasenspülungen (Leitungswasser oder physiologische Kochsalzlösung [NaCl 0,9%])
Patienten mit kurzzeitiger Dauerkatheterversorgung im Rahmen eines orthopädischen Eingriffs (n = 78)
Randomisierte, kontrollierte Studie
(a) Instillation von 50 mL Povidon-Iod (n = 42) vor Entfernung des Dauerkatheters
(b) Keine Instillationen (Kontrollgruppe, n = 42)
Beobachtungszeitraum: 3 Tage
Eine Bakteriurie fand sich in 28 % der Patienten in der Kontrollgruppe und bei 4 % der Patienten nach Povidon-Iod-Instillation (p = 0,03)
Nach Etablierung dieses Managements bei Patienten, welche einmalkatheterisiert werden mussten, konnte eine Reduktion der Bakteriurierate von 6,9 % auf 3,7 % (p = 0,03) erreicht werden
Patienten mit einer Querschnittlähmung und rezidivierenden Harnwegsinfektionen (n = 19)
Prospektive Studie
2‑mal täglich 120 mL 0,2 %iges Chlorhexidin für 7 Tage
Beobachtungszeitraum: 7 Tage
In 74 % (14/19) der Patienten konnten unter Chlorhexidininstillationen keine Bakterien im Urin nachgewiesen werden. Nach Beendigung der Chlorhexidininstillationen fand sich innerhalb von 7 Tagen eine reduzierte Bakterienlast.
Keine relevanten Nebenwirkungen berichtet
(d) Harnblaseninstillationen mit Hyaluronsäure und Chondroitinsulfat
Patientinnen mit rezidivierenden Harnwegsinfektionen (n = 28)
Randomisiere, kontrollierte Studie
(a) 1-mal wöchentliche Instillationen für 4 Wochen, danach 1 Instillation alle 2 Wochen für weitere 4 Wochen mit 50 mL Hyaluronsäure 1,6 % mit Chondroitinsulfat 2 % (n = 12)
(b) Orale Anwendung von Sulfonamid 200 mg mit Trimethoprim 40 mg 1‑mal wöchentlich für 6 Wochen
Beobachtungszeitraum: 12 Monate
Durchschnittliche Anzahl an symptomatischen Harnwegsinfektionen pro Patienten nach Instillationen 1 ± 1,2 gegenüber 2,3 ± 1,4 unter oraler Therapie (p = 0,02)
Keine relevanten Nebenwirkungen berichtet
(e) Harnblaseninstillationen mit antimikrobiellen Substanzen
Patienten mit neurogener Harnblasenfunktionsstörung und einem Dauerkatheter (n = 89)
Randomisierte, kontrollierte Studie
2‑mal tägliche Spülungen/Instillationen mit je 30 mL
(a) NaCl 0,9 % (n = 29)
(b) 0,25 %iger Essigsäurelösung (n = 30)
(c) Neomycin (40 mg/ml)/Polymyxin (200,00 U/ml, n = 30)
Beobachtungszeitraum: 8 Wochen
Anzahl Patienten mit frühzeitigem Studienabbruch infolge symptomatischer Harnwegsinfektionen: Gruppe (a) 1, Gruppe (b) 6, Gruppe (c) 4 (nicht signifikant)
Es fand sich kein signifikanter Unterschied bezüglich Bakteriurie oder Leukozyturie zwischen den Gruppen.
In der Population mit den antimikrobiellen Harnblaseninstillationen fand sich eine signifikante Verschiebung der mikrobiellen Spezies hin zu Enterokokken (p = 0,02)
Patienten mit neurogener Harnblasenfunktionsstörung und rezidivierenden Harnwegsinfektionen (mindestens 4 Infekte innerhalb von 6 Monaten, n = 22)
Prospektive Studie
1‑mal tägliche Instillation mit 30–60 mL Gentamicinlösung (480 mg Gentamicin in 1 L NaCl 0,9 %)
Beobachtungszeitraum: 12 Monate
Durchschnittlich 4 symptomatische Harnwegsinfektionen innerhalb von 6 Monaten (Monate 0–6) ohne Gentamicininstillation, keine symptomatischen Harnwegsinfektionen unter Gentamicininstillationen (Monate 7–12, p < 0,01)
Keine relevanten Nebenwirkungen berichtet
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Harnblaseninstillationen mit säurehaltigen Spülmedien
Säurehaltige Spülmedien haben zum Ziel, den pH-Wert des Urins und somit die Enzymaktivität von Urease bildenden Bakterien, wie z. B. Proteus mirabilis, Proteus vulgaris oder Providencia rettgeri, alles typische Struvitsteinbildner, zu senken (Abb. 1b, Tab. 3b). Entsprechend fanden Kennedy et al. [37] eine signifikante Reduktion von Struvitsteinen bei Anwendung von zitronensäurehaltigen Harnblaseninstillationen im Vergleich zu Harnblasenspülungen mit physiologischer Kochsalzlösung sowie einen Effekt auf die Rate der Bakteriurie. In einer randomisierten Studie von Moor et al. [38] kam es während eines Beobachtungszeitraums von 8 Wochen in keiner Gruppe zu einem symptomatischen HWI (physiologische Kochsalzlösung vs. zitronensäurehaltige Lösung vs. keiner Intervention). Die Anzahl der Patienten, welche die Studie vorzeitig beendeten und nicht in die Analyse eingeschlossen wurden, war mit 28 % erheblich. Harnblaseninstillationen mit einer antimikrobiellen Substanz (Neomycin und Polymyxin) zeigten in einer Studie von Waites et al. [36] keine Vorteile gegenüber zitronensäurehaltigen Spülmedien. Eine 80 % HWI-Reduktion konnte von Krebs et al. [39] bei kombinierter Gabe von intravesikaler Zitronensäurelösung und oraler Gabe von Methenamin gezeigt werden.
Harnblaseninstillationen mit Antiseptika
Antiseptika dienen der Abtötung verschiedenster Krankheitserreger auf Wunden, werden aber auch in Instillationsmedien verwendet (Abb. 1c, Tab. 3c). Sie zeichnen sich grundsätzlich durch eine gute Gewebeverträglichkeit aus. Wikström et al. [40] berichteten, dass in 74 % der Patienten mit einer Querschnittslähmung und rezidivierenden HWIs unter Chlorhexidininstillationen keine Bakterien im Urin mehr nachgewiesen werden konnten. Nach 1‑maliger Instillation mit Povidon-Iod vor Entfernung eines Dauerkatheters kam es in einer niederländischen Studie zu einer signifikanten Senkung der Bakteriurie [41]. Kritisch zu erwähnen sind Beobachtungen von Resistenzentwicklungen bei Anwendung von Chlorhexidin [42]. Zudem wurde wiederholt über ein ungünstiges Nebenwirkungsprofil mit vermehrten Beschwerden des unteren Harntraktes nach intravesikaler Anwendung von Antiseptika berichtet [42]. Anderman et al. [43] fanden unter postoperativ wiederholter Anwendung von Povidon-Iod im Vergleich zu physiologischer Kochsalzlösung sogar eine Zunahme der Bakteriurie, einen Effekt den die Autoren auf eine Schädigung der Harnblasenmukosa bei wiederholtem Kontakt mit Antiseptika zurückführten, sodass entsprechend nur eine kurzzeitige Anwendung in Betracht gezogen werden sollte.
Harnblaseninstillationen mit Hyaluronsäure und Chondroitinsulfat
Eine weitere Strategie zum Management von HWIs basiert auf der Stärkung der Glykosaminoglykanschicht auf dem Urothel (Abb. 1d, Tab. 3d). Die Anwendung von Hyaluronsäure (alleine oder in Kombination mit Chondroitinsulfat) hat sich mit diesem Ziel in verschiedenen Bereichen der Urologie etabliert [44]. In einer dazu publizierten systematischen Übersichtsarbeit mit Metaanalyse fanden Goddard et al. [45] bei Frauen mit rezidivierenden HWIs eine signifikante Reduktion der Infektfrequenz (gepoolte Mittelwertdifferenz der Infektfrequenz: −2,56; 95 %-Vertrauensintervall −3,86–−1,26, p < 0,001) sowie ein verlängertes infektfreies Intervall bis zum Auftreten eines erneuten HWI (gepoolte Mittelwertdifferenz der infektfreien Tage: 130,05 Tage; 95 %-Vertrauensintervall 5,84–254,26, p = 0,04).
Harnblaseninstillationen mit antimikrobiellen Substanzen
Die Instillation von antibiotikahaltigen Substanzen direkt in die Harnblase (Abb. 1e, Tab. 3e) hat den Vorteil von geringeren systemischen Nebenwirkungen und einer weniger ausgeprägten Beeinträchtigung des Darmmikrobioms im Vergleich zur oralen oder i.v. Antibiotikumtherapie. Ein entsprechend positives Nebenwirkungsprofil bei gutem klinischem Effekt für eine prophylaktische Anwendung konnte in einer systematischen Übersichtsarbeit von Pietropaolo et al. [46] bestätigt werden. Die Bandbreite der typischerweise verwendeten Substanzen ist mit Gentamicin, Neomycin, Polymyxin und Colistin gross, individuelle Anpassungen der Dosierung und Instillationsintervalle sind für jeden Patienten erforderlich. In einer vergleichenden Studie von Waites et al. [36] fand sich zudem kein Vorteil gegenüber Harnblasenspülungen mit physiologischer Kochsalzlösung oder Harnblaseninstillationen mit einem zitronensäurehaltigen Spülmedium.
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Die trotz allem geringe Anzahl an Studien, die verschiedenen Patientenpopulationen und Studienmedikationen sowie die prophylaktischen und auch akuttherapeutischen Anwendungsgebieten erlauben keine wissenschaftlichen Aussagen auf höherer Evidenzebene. Entsprechend finden sich auch keine direkten Empfehlungen für Harnblasenspülungen oder Harnblaseninstillationen zu Behandlung von HWIs in evidenzbasierten Leitlinien. Das günstige Nebenwirkungsprofil und der zumindest für einzelne Patientenpopulationen gezeigte Nutzen erlauben dennoch die Anwendung im klinischen Alltag.
Bakteriophagen: Ein kurzer Überblick
Eine vielversprechende Alternative zur Therapie von HWIs sind Bakteriophagen (Kurzform Phagen, Abb. 2a), sog. Bakterienfresser, abgeleitet von den altgriechischen Worten „βακτήριον“ (baktérion) und „φαγεῖν“ (phageín). Bei den Phagen handelt es sich um obligat intrazelluläre Viren, welche ausschliesslich Bakterien befallen und abtöten. Phagen haben zwei verschiedene Reproduktionszyklen (Abb. 2b). Sie finden sich überall in der Natur, bilden die zahlenmässig sich am häufigste replizierende biologische Entität und spielen eine entscheidende Rolle in allen Ökosystemen [47].
Abb. 2
Bakteriophagenmorphologie und Lebenszyklus. a Ein freier Bakteriophage (Phage) findet ein sensibles Wirtsbakterium und bindet mit seinen Schwanzfasern und Spikes an die Oberflächenrezeptoren des Wirtes. Über die Scheide injiziert er sein Genom ins Wirtsbakterium und infiziert dieses. Die Oberflächenrezeptoren sind in der Regel sehr spezifisch, sodass bestimmte Phagen nur eine begrenzte Anzahl ausgewählter Bakterien befallen und infizierten können. b Je nach Phage kommt es nach der Infektion zu einem lytischen oder lysogenen Zyklus. Im lytischen Zyklus (links) wird initial das Wirtsgenom zerstört, danach wird das Phagengenom repliziert und Phagenproteine werden synthetisiert. Daraus bauen sich neue Phagenklone zusammen. Nach Zelllyse können diese Klone neue Wirtsbakterien befallen. Im lysogenen Zyklus (rechts) bindet sich das Phagengenom in das Wirtsgenom vom Bakterium ein, es wird zum Prophagen. Mit jeder Zellteilung vermehrt sich auch der Prophage. Durch Umwelteinflüsse, in der Regel toxische Einflüsse auf den Wirt, geht der Phage in den lytischen Zyklus über. Für die Phagentherapie werden aktuell ausschliesslich lytische Phagen verwendet. (Mod. nach Leitner et al. [66], mit Genehmigung von Elsevier. Diese Abbildung fällt nicht unter die Creative Commons CC BY-Lizenz dieser Publikation)
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Die Entdeckung der Phagen gelang Frederick Twort und Felix d’Hérelle, unabhängig voneinander, bereits vor über einem Jahrhundert. Die intensive Erforschung dieser Viren führte zu zahlreichen bahnbrechenden, molekularbiologischen und biotechnologischen Entdeckungen, wie die von Restriktionsenzymen, Genomsequenzierung, Genexpressionskontrollmechanismen und der Gentechnologie im Allgemeinen. Selbst modernste gentechnologische Methoden, wie die von CRISPR/Cas, beruhen auf der Phagenforschung [47].
Mit ihrem ubiquitären Vorkommen verwundert es nicht, dass Phagen mittlerweile als wichtiger Bestandteil des humanen Mikrobioms und als entscheidender Modulator seiner bakteriellen Zusammensetzung angesehen werden. Verschiedene Untersuchungen konnten eine direkte Interaktion zwischen Phagen und dem angeborenen Immunsystem im Darmtrakt von Säugern zeigen [48]. Auch fand sich Evidenz für eine direkte Beeinflussung der Pathophysiologie urologischer Erkrankungen durch Phagen, wie z. B. dem Syndrom der überaktiven Harnblase („overactive bladder syndrome“) oder rezidivierender HWIs [49].
Bereits direkt nach Entdeckung der Phagen wurde daran geforscht, diese therapeutisch zur Behandlung bakterieller Infektionen einzusetzen. Doch nach Alexander Flemings Entdeckung des Penizillins kam in der westlichen Welt die Forschung der Phagentherapie weitgehend zum Erliegen. In einigen Ländern Osteuropas und der ehemaligen Sowjetunion ging die Entwicklung weiter. Dort ist die Phagentherapie heutzutage eine zugelassene Behandlungsmethode und bildet ein wichtiges Standbein der Behandlung bakterieller Infekte. Die weltweite Zunahme von Antibiotikaresistenzen weckte in den letzten Jahren auch in der westlichen Welt wieder das Interesse an dieser vielversprechenden Therapieoption.
Bakteriophagen für die Behandlung von Harnwegsinfektionen
Trotz der seit über 100 Jahren im Osten Europas erfolgreichen Anwendung von Phagen steckt die entsprechende Therapieforschung noch in den Kinderschuhen. Klinische Studien nach modernen wissenschaftlichen Standards gibt es kaum [50].
HWIs stellen eine wichtige Modellerkrankung dar, um die Evidenzlage der Phagentherapie zu optimieren. Als abgeschlossenes Kompartiment erlaubt die Harnblase nach Instillation eines Phagenpräparates eine längere Interaktion mit vorhandenen Bakterien [51]. Da viele Patienten, insbesondere solche mit einer neurogenen Harnblasenfunktionsstörung, im Alltag auf den intermittierenden Selbstkatheterismus oder auf einen Dauerkatheter angewiesen sind, könnte die Phagentherapie in dieser Population zu einer wichtigen Behandlungsoption bei akuten oder rezidivierenden HWIs werden.
Erste erfolgreiche urologische Phagenanwendungen wurden bereits publiziert. So führte in vitro die Beschichtung von Dauerkathetern mit spezifischen Phagen gegen P. aeruginosa, E. coli und P. mirabilis zu einer Reduktion der Biofilmformation [49]. Khawaldeh et al. [52] gelang nach Versagen wiederholter Antibiotikumtherapien eine Eradikation von P. aeruginosa, und es kam zur klinischen Besserung bei einem Patienten mit rezidivierenden fremdkörperassoziierten (Doppel-J-Katheter) HWIs unter kombinierter Gabe von Phagen und Antibiotika.
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In einem von unserer Abteilung initiierten internationalen Forschungsprojekt mit Georgien (Aleksander Tsulukidze Nationales Zentrum für Urologie/Eliava Institut für Bakteriophagen, Mikrobiologie und Virologie, Tiflis, Georgien) fanden wir in vitro eine lytische Aktivität von 93 % gegen 41 E. coli- und 9 K. pneumoniae-Stämme von unseren Patienten mit neurogener Harnblasenfunktionsstörung bei Verwendung von in Georgien kommerziell erhältlichen Phagencocktails (Pyo bacteriophage und Enko bacteriophage, Eliava Institut für Bakteriophagen, Mikrobiologie und Virologie, Tiflis, Georgien; [53]). Dies führte zu einer klinischen Anwendung der Phagencocktails in Patienten mit asymptomatischer Bakteriurie [54]; wo es zu einer Reduktion der Bakterienlast in 67 % der Fälle kam. Die daraus resultierende weltweit erste randomisierte, kontrollierte, doppelblinde Studie zur Anwendung von Phagen bei HWIs zeigte eine vergleichbare Erfolgsrate von Phagen und Antibiotika („odds ratio“ 2,66, 95 %-Vertrauensintervall 0,79–8,82, p = 0,11), aber keine Überlegenheit von Phagen gegenüber Plazebo („odds ratio“ 1,60, 95 %-Vertrauensintervall 0,45–5,71, p = 0,47) bei Patienten mit HWI im Rahmen einer transurethralen Resektion der Prostata [55, 56].
Durch die gewonnenen Erfahrungen gelang der Aufbau eines Netzwerkes von international führenden Phagenexperten in der Grundlagen- und klinischen Forschung, und es kam zu einer gemeinsame Förderung mehrerer Phagentherapieprojekte. Im Projekt CAUTIphage (http://p3.snf.ch/project-189957) ist es unser Ziel, CAUTIs zu behandeln. Anstelle von herkömmlichen Phagen werden wir dabei sogenannte Designerphagen mit verbesserten Wirkmechanismen und breiterem Anwendungsspektrum verwenden. Die Expertise des Departementes Gesundheitswissenschaften und Technologie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich in der Herstellung synthetischer Phagen [57, 58] ist dafür ausschlaggebend. In ImmunoPhage (https://www.hochschulmedizin.uzh.ch/de/projekte/immunophage.html) bilden Patienten mit rezidivierenden HWIs die Zielpopulation. Die hier verwendeten Designerphagen werden dabei so gestaltet, dass sie Bakterien aktiv abtöten und gleichzeitig Immunmodulatoren freisetzen, welche das Immunsystem aktivieren und damit die Selbstheilung fördern.
Trotz dieser vielversprechenden Entwicklungen sind wir in der westlichen Welt noch weit von einer Phagenanwendung ausserhalb klinischer Studien oder experimenteller Therapieversuche entfernt. Zum aktuellen Zeitpunkt erlauben die zuständigen Behörden keine anderweitigen Phagentherapien. Dies lässt sich nur mit neuen Studien ändern, die allen Kriterien der modernen, evidenzbasierten Medizin entsprechen und einen eindeutigen klinischen Nutzen sowie einen sicheren Therapieeinsatz beweisen [59].
Fazit für die Praxis
Bei Patienten unter Dauerkatheter oder mit intermittierendem Katheterismus sind Harnblasenspülungen mit Leitungswasser oder physiologischer Kochsalzlösung eine einfache Möglichkeit zur Verbesserung des Harnblasenmanagements.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
L. Leitner und T.M. Kessler geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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