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02.05.2018 | Leben | Online-Artikel

Frankensteins liebes Monster

verfasst von: Martin Křenek-Burger

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Wir schreiben das Jahr 1816, das Jahr ohne Sommer oder auch „eighteen hundred and froze to death“. Der Ausbruch des Vulkans Tambora versetzte Europa in Schockstarre und die damals 19-Jährige Mary Wollstonecraft Shelley brachte, bei düsterem Nebelwetter am Genfersee, ihr Meisterwerk „Frankenstein, oder der moderne Prometheus“ zu Papier.

Schon bald wird der Stoff vielfach theatralisch bearbeitet und verfilmt, und dadurch weltberühmt. Bei diesen  Nacherzählungen nehmen meist Schauder- und Schockeffekte überhand: Von Mary Shelleys feinem und vielseitigen Roman bleibt nur noch ein mordendes Monster, der bloße Horror. 

Die Neuverfilmung von Noemi Amadori und Philipp Ramspeck erinnert daran, dass in Dr. Frankensteins Kreatur weitaus mehr steckt, als ein grünes Ungeheuer mit Schrauben im Hals. Der Streifen ist eine originalgetreue Verfilmung jener Teile des Romans „Frankenstein, oder der moderne Prometheus“, in denen Frankensteins Monster zum Icherzähler wird. 

Der Zuseher erwacht mit dem Monster im Labor des Pfuschers Viktor Frankenstein, er entdeckt mit ihm die Lieblichkeit der Natur, den Hunger, die Kälte und die Einsamkeit. Man begleitet das Monster bei seinen ersten unliebsamen Erfahrungen mit den Menschen und lernt mit ihm, was Liebe und Geborgenheit bedeuten können – vor allem, wenn man davon ausgeschlossen bleibt. Das Monster selbst sieht der Kinogänger nie, er bekommt es nur in Form seiner überdimensionalen Hände und seines Schattens zu Gesicht. Allein die grausamen Reaktionen der Menschen bei jeder Begegnung, lassen erahnen, welch schauerliches Äußeres zu dieser liebenswerten und verspielten Kreatur gehört, die wie jedes Kind die Welt entdeckt – (und dabei vor sich hin brabbelt. Die zunehmende Isolation des Monsters bleibt jedoch nicht ohne fatale Folgen.

Amadori und Ramspeck haben die kindliche Ich-Perspektive bewusst gewählt: „Vor dem Hintergrund der immer da gewesenen Angst vor dem Fremden, sowie dem aktuell extrem unbeholfenen und gefährlichen Umgang der heutigen Institutionen mit dieser Angst, erscheint uns Mary Shelleys Stoff und ihre geistreiche Art der Gesellschaft vorsichtig einen Spiegel vorzuhalten, ohne die Hoffnung auf eine grundlegende Veränderung zu nehmen, aktuell wie nie zuvor.“

Shelleys Geist weht durch den Film

Das Team hat mit viel Idealismus einen feinen Film gemacht. Ein Kunstwerk, das dem Zuschauer vorsichtig ein Spiegelbild vorhalten will, dabei jedoch liebevoll vorgeht und ihm, so zumindest die Hoffnung der Filmemacher, mit einer Perspektive aus dem Kino entlässt. Mary Shelley selbst schreibt in ihrem Vorwort von 1817: Es ist mir durchaus nicht gleichgültig, welche Wirkung die Moral, die sich in den Gefühlen oder Charakteren meiner Erzählung enthüllt, auch auf den Leser hat; doch hat sich meine Hauptsorge in dieser Hinsicht darauf beschränkt, die zerrüttende Wirkung der zeitgenössischen Romane zu vermeiden und den Wert universaler Tugend darzustellen. 

In diesem Zitat drücke sich ein großes Verantwortungsgefühl der Autorin gegenüber ihren Lesern aus, sagt Amadori. Erklärung: Shelley gehe davon aus, dass ihr Roman den Leser beschäftigt, und mache sich Gedanken darüber, ob die Wirkung, die ihr Kunstwerk hat, dem menschlichen Zusammenleben dient. „Diese Einstellung hat uns sehr inspiriert und wir wollen versuchen, Shelley in diesen Belangen nachzueifern.“

Um das zu erreichen, legen Amadori  und Ramspeck eine einfache psychologische Interpretation von Shelleys Kreatur – dessen kindliche Unvoreingenommenheit, seine Triebe und seinen Wunsch nach liebevoller Aufnahme in der Menschenwelt –, die einen künstlerischen Blick auf die Gefahren des Menschseins ermöglicht, ohne eine moralische Position einzunehmen. 

Lange Zeit beobachtet das Monster durch ein Loch in der Wand das Leben der Familie de Lacey das einem Kammerspiel gleicht, mit kurzen Dialogen, auf und ab schreitenden Akteuren und musikalischen Intermezzi. Das Wohnzimmer wird zum Mikrokosmos, eine räumlich und zeitlich verdichtete Darstellung des Menschseins in seiner ganzen Komplexität. Kein Zufall: Die Akteure haben wenig Text, Dialoge finden kaum statt. Die filmische Erzählweise lehnt sich an die Stummfilmzeit an, allerdings fehlt den Schauspielern die übertriebene Mimik und Gestik jener Ära. Im Gegenteil, sie agieren sehr zurückhaltend, sparsam im Ausdruck. Was dem Kammerspiel sehr zugute kommt. Umso stärker ist die filmische Wirkun, als die scheinbar so milde, liebevolle Familie das Monster vom Hof jagt.
Dass die Darsteller keine Profis sind, merkt man leider in einigen der Außen-Szenen, wenn der Willkommensgruß nach langer Abwesenheit allzu hölzern gerät. Unfreiwillig amüsant: ein Kuhhirte, der vor dem herannahenden Monster Reißaus nimmt. Man darf aber nicht vergessen, dass das Erstlingswerk ursprünglich als Kurzfilm konzipiert war. Und von einigen darstellerischen Schwächen abgesehen, sind dem österreichisch-schweizerischen Filmteam äußerst stimmungsvolle Bilder gelungen. Die Drehorte gemahnen an die vorindustrielle Zeit der Roman-Entstehung.

Eindrucksvoll sind die Szenen, in denen das Monster seine Klauen beinahe liebevoll um den Hals seiner Opfer legt. Der Mord an dem kleinen Wilhelm Frankenstein ist unheimlich und unheimlich gelungen. Nur angedeutet: Das Vergehen an dem unwirklich schönen Mädchen im Heu. Überhaupt verlässt sich der Film auf das „Gewicht und die alleinige Ausdruckskraft der Bilder und Geräusche“, die das Monster allein im Wald umherstreifend hört und die ihm Angst machen. 

Das Naheliegende zum Schluss 

Warum verfilmt man einen Stoff, der scheinbar „totverfilmt“ ist? Amadori und Ramspeck ziehen einen politischen Vergleich: „Die Gesellschaft befindet sich in einer ähnlichen Umbruchphase wie zur Zeit der Entstehung des Romans, in der alte, monarchistische Machstrukturen durch die Philosophie und politischen Ereignisse der Aufklärung massiv in Frage gestellt wurden. Heute drohen sich herkömmliche Regierungsstrukturen unter einer immer größer werdenden Dominanz der Privatwirtschaft aufzulösen. Doch werden wir es diesmal schaffen, so wie damals, den Umbruch zum Vorteil vieler zu gestalten? Grundrechte, Freiheit und Demokratie werden heute oft bereitwillig zugunsten ökonomischen Fortschritts aufgegeben. In diesem Film wollen wir daher die tiefe menschliche Kraft, die die Philosophie in der Zeit der Aufklärung enthielt und die Mary Shelleys Roman vor allem über die Werke Rousseaus stark beeinflusste, wieder lebhaft in Erinnerung rufen. Denn: sie ist der Ursprung der feurigen Verteidigung grundlegender Werte und dami einer Freiheit, die wir heute vielleicht als zu selbstverständlich erachten.“

Die nächste Möglichkeit, den Film zu sehen gibt es bei der Teamvorführung am 28. Juni um 18:30h beim Heurigen Draginec (Sieveringer Str. 170, 1190 Wien).

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