Krankheitsverlauf und mögliche Prävention

Ramona Heim / stock.adobe.com × Es kam wie aus heiterem Himmel – oder besser gesagt: bei strahlendem Sonnenschein. Die Patientin fuhr mit ihrem Buick Convertible durch die Wüste des Bundesstaates New Mexico, als sie plötzlich den Eindruck hatte, eine Wolke habe sich über ihr rechtes Auge geschoben. Sie hielt an, suchte ein Münztelefon – ja, diese gab es in der Ära lange vor den Smartphone noch an jeder Tankstelle – und rief eine Freundin an: „Meine ganze Welt ist verschwommen!“ Ihr Augenarzt diagnostizierte kurz darauf eine ausgedehnte exsudative Makuladegeneration auf diesem Auge. Georgia O`Keefe (1887–1986) war eine der großen Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Ihre AMD kam untypisch plötzlich über sie – oder wurde ihr plötzlich bewusst. Das Risikoprofil allerdings passt zur Pathogenese der altersabhängigen Makuladegeneration (AMD): O‘Keefe arbeitete in ihrer sonnendurchfluteten Wahlheimat unter freiem Himmel und schuf Werke, in denen sich die Farbabstufungen in der Wüste, die gleißenden Reflexionen von den Fels- formationen und die ausgebleichten Schädelknochen der Büffel wieder finden. Viel fataler war, dass sie den Ratschlägen des berühmt-berüchtigten Dr. Bates und seinem „Augentraining“ folgte – und angestrengt in diese brennende Sonne blinzelte, ohne Sonnenbrille. So setzte sie ihre Retina einem immensen Photostress aus, der sich in der Anflutung freier Radikale äussert, die zum Zelluntergang, zur Apoptose von retinalen Sinneszellen führt. Die trockene AMD ist das natürliche Endstadium nach Jahren, wenn nicht Jahrzehnten des Krankheitsverlaufes Das Schicksal der Künstlerin ist geradezu symbolkräftig für eine oft übersehene Facette der AMD, sei sie exsudativ („feucht“) oder geographisch/atrophisch („trocken“): sie tritt zwar meist – wie ihr Name andeutet – in höherem Lebensalter auf, die Grundlagen werden indes oft schon viel früher, oft Jahrzehnte frühergelegt. Diesem Aspekt widmete sich auf der Augenärztlichen Akademie Deut- schland (AAD) 2018 ein Symposium, zu dem Omnivision eingeladen hatte und das unter der Fragestellung stand, ob die AMD und hier besonders die trockene Variante, gegen die es keine den intravitrealen anti-VEGF-Injektionen vergleichbare Therapie gibt, wirklich eine Erkrankung des Alters ist. Die Vorstufen nämlich, aus denen sich eine AMD entwickeln kann, treten schon im mittleren Lebensalter auf: Drusen. Sie sind der erste Schritt in einer Kaskade der Zellumwandlung, an deren Ende die trockene AMD steht. Diese sieht man heute mit einer gewissen Ernüchterung als das Endstadium des natürlichen Krankheitsverlaufes an – Ernüchterung, weil sich inzwischen in Langzeitbe- obachtungen von Patienten unter multiplen intravitrealen Injektionen zeigt, dass die therapierte feuchte AMD letztlich der atrophischen Form Platz macht. Die VEGF inhibierende Therapie, soresümierte Prof. Dr. Ulrich-Christoph Welge-Lüßen (Erlangen), schiebt dieses Endstadium des natürlichen Verlaufs nur um rund 10 Jahre hinaus. Der Referent ging auf einen – neben dem Alter, das bekanntlich in der ärztlichen Gesprächsführung für eine Vielzahl von Krankheiten und Gebrechen verantwortlich gemacht wird – der wichtigsten Risikofaktoren der AMD ein: oxidativer Stress. Die unheilvolle Wirkung freier Sauerstoffradikale ist für eine Reihe von unerwünschten Entwicklungen nachgewiesen: vaskuläre Erkrankungen, Krebs, neurologische Erkrankungen - und nicht zuletzt entsprechend der 1957 von dem Gerontologen Denham Harman aufgestellten „free radical theory of ageing“ das Altern selbst. Und ein wichtiger Auslöser solcher freien Radikale ist Licht von hoher Intensität, vor allem jenes im blauen (energiereichen) Spektralsegment. Licht führt zu Photostress und dieser lässt die freien Radikale anfluten Zu viel und damit möglicherweise schädliches Licht fällt nicht nur durch die naturgegebene Beleuchtung – das Sonnenlicht – ins Auge. Welge-Lüßen wies auf das moderne Freizeitverhalten hin, in den elektronische Geräte wie Smartphone und Tablet vom Kindesalter an in kurzer Distanz auf das Auge einwirken und damit neben der Exposition gegenüber hohen Licht- intensitäten auch noch mit Blick auf die dramatische Zunahme der Myopie weltweit bedenklich erscheinen. Derartige digitale Geräte nutzen nach einer Umfrage unter mehr als 10.000 Amerikanern gut ein Viertel der Kinder (was wohl eine eher konservative Schätzung sein dürfte), gut zwei Drittel der Erwachsenen im erwerbsfähigen Alter und 37 % der Senioren. In Deutschland hat eine Erhebung ergeben, dass 84 % täglich ein Smartphone, einen PC oder ein Tablet benutzen - und dazu zählen auch Kinder, deren Linsen noch nicht gelb gefärbt sind und die somit keine protektive Wirkung haben. Auch die LED- Lampen, die sich vielerorts bei uns gegen die klassische Glühbirne durchgesetzt haben, sind ein zweischneidiges Schwert: vermeintlich gut für die Umwelt, wohl eher schlecht für unsere Augen. Licht ist als (Mit-)Ursache der AMD seit längerem identifiziert. So wurde schon vor mehr als einem Vierteljahrhundert nachgewiesen, dass Patienten mit fortgeschrittener AMD im Schnitt einer erhöhten Lichtexposition über die zurück liegenden 20 Jahre ausgesetzt gewesen waren. In einer anderen Studie konnte eine signifikante Korrelation zwischen Blaulicht-Exposition und neovaskulärer AMD gerade bei Patienten mit sehr niedrigem Antioxidantien-Level nach- gewiesen werden. Abb. 1: Lichtabsorption durch okuläre Gewebe in Abhängigkeit vom Alter (aus: Behar-Cohen F, Glaettli M: Mögliche Risiken für Kinderaugen durch neue Leuchten. Paediatrica 2015;26 (5):6-9.) Mit freundlicher Genehmigung der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie (SGP) × Ganz zweifellos bedarf die Netzhaut in reiferen Jahren eines Lichtschutzes. Ein solcher ist die Linse, die bereits in recht jungen Jahren ihre einstige Transparenz ein wenig verliert und meist schon in der vierten Lebensdekade eine gelbliche Färbung annimmt. Diese kann im Laufe der nächsten Jahre und Jahrzehnte in eine ausgedehntere, meist graue, manchmal bräunlich Trübung übergehen, die Katarakt – ein weiteres verbreitetes und dem höheren Lebensalter geschuldetes Leiden, das indes den willkommenen Nebeneffekt hat, hohe Lichtintensitäten quasi weg zu filtern. Die andere Protektion ist das Makulapigment Lutein, dessen Dichte indes im Laufe des Lebens allmählich nachlässt. Die Aufnahme von Lutein und Zeaxanthin senkt nachweislich die Wahrscheinlichkeit, an AMD zu erkranken Wenn etwas natur- oder altersgemäß weniger wird, stellt sich die Frage, ob eine Substitution möglich ist. Im Falle der Makulapigmente wie Lutein und Zeaxanthin ist dies der Fall. Welge-Lüßen wies auf die klassischen AREDS-Studien hin, bei denen das ursprüngliche Design mit den Vitaminen A, C und E sowie Zink und Kupfer an Erfolg zu wünschen übrig ließ. Dies änderte sich, als die Karotinoide Lutein und Zeaxanthin hinzu gegeben wurden. Diese pflanzlichen Substanzen, die im menschlichen Körper in der Retina in der höchsten Konzentration vorkommen, wirken über die Filterung von Blau- und UV-Licht photoprotektiv und verfügen darüber hinaus über antiinflammatorische Eigenschaften. Bei über 4.500 Studienteilnehmern hatte die Einnahme dieser Substanzen zu einer um 55 % geringeren Prävalenz einer geographischen und um 35 % niedrigeren Häufigkeit der neovaskulären AMD geführt. Der AREDS-Report Nummer 22 schließt mit dem Resümee: „Eine höhere Einnahme von Lutein und Zeaxanthin korreliert unabhängig mit einer verminderten Wahrscheinlichkeit, AMD- Veränderungen zu entwickeln.“ Für die Praxis bedeuten diese Ergebnisse nach Einschätzung des Referenten, dass eine solche Nahrungsergänzung vor allem von Patienten eingenommen werden sollte, die eine intermediäre AMD in einem oder beidenAugenhabensowievonBetroffenen, bei denen ein Auge eine neovaskuläre oder geographische AMD hat, das andere Auge indes noch nicht. Diese AREDS 2-Medikation stellt somit eine stadien- gerechte Behandlung der AMD in Kategorie 3 und 4 (zur Klassifikation siehe unten) dar – bei großzügiger Anwendung des Begriffs „Behandlung“. Abb. 2: Drusenmakulopathie eines linken Auges dargestellt mit verschiedenen Verfahren Prof. Dr. Albert J. Augustin × Das Auffüllen der natürlichen Pigmentansammlung in der Makula durch orale Substitution und der Effekt auf die Sehleistung konnte auch bei Gesunden nachgewiesen werden. In einer Studie erhielten 59 Probanden täglich über 12 Monate entweder eine Lutein- Zeaxanthin-Kombination oder ein Placebo. Die Makulapigmentdichte wurde mit heterochromatischer Flicker-Photo- metrie gemessen, die Sehleistung durch Photostress mit LED-Licht getestet. Es zeigte sich, dass die Makulapigmentdichte unter der Nahrungssubstitution signifikant erhöht und die Blendungsempfindlichkeit in Abhängigkeit von dieser Pigmentdichte reduziert war. Auch die Erholungszeit nach Photostress war für Augen mit einer größeren Dichte an Makulapigment signifikant verkürzt. Das Fazit der Studienautoren: Vermehrtes Makula- pigment korreliert mit besserer Sehperfor- mance unter hellen Lichtbedingungen. Die vier Stadien der AMD: von den kleinen Drusen bis zur Spätform der Krankheit Die gängige Einteilung der AMD, daran erinnerte Prof. Dr. Albert J. Augustin (Karlsruhe), erfolgt in vier Kategorien. In der ersten liegen allenfalls kleine Drusen (unter 63 µm Größe), in Kategorie 2 finden sich diese in deutlich größerer Zahl, ergänzt durch einige mittelgroße Drusen mit einer Größe bis zu 125 µm. Dieses Stadium ist besser bekannt unter der Bezeichnung „frühe AMD“. Die nächste Kategorie, die intermediäre AMD, zeigt neben Veränderungen am Pigmentepithel auch eine oder mehrere große Drusen. Kategorie 4 schließlich, die fortge- schrittene oder „späte AMD“, stellt das Vollbild der feuchten (neovaskulären) oder der trockenen (geographischen) Variante der Krankheit dar, mit Gefäßneubildungen im ersten und atrophischen Arealen im zweiten Fall. Die für diese Einteilung so essentiellen Drusen bestehen aus insgesamt mehr als 100 unterschiedlichen Eiweißmolekülen und finden sich vor allem im oberen und temporalen Quadranten des Fundus. Gut erkennbar und in ihrer Größe einschätzbar sind die Drusen nach Augustins Worten im OCT, wo sie zu einer Anhebung des retinalen Pigmentepithels (RPE) führen und leicht hyperreflektiv sind, wodurch sie sich von einer serösen Abhebung unterscheiden. Die klassische Unter teilung in harte und weiche Drusen wird durch das OCT ebenfalls sehr erleichtert: während die weichen, gelblichen Drusen mit ihrer irregulären Gestalt und den verwaschenen Grenzen gut darstellbar sind, trifft dies für die meist kleineren und gut abgegrenzten harten Drusen nicht zu; diese lassen sich klinisch oder angio- graphisch besser identifizieren. Abb. 3: CLARUS Ultra-Weitwinkel-Fundusaufnahme Dr. Jörg Pintaske × Diagnostik der AMD: Alle Bildgebungen auf einer „Workstation“ Bei der Diagnostik und der Verlaufs- beurteilung der AMD greift der Arzt in erster Linie auf das OCT (in ca. 53 %) und die Fundusfotographie (in 38 %) – nach Zahlen aus dem Jahr 2011, die Dr. Jörg Pintaske von der Firma Zeiss vorstellte. Daneben spielt natürlich auch die Fluoreszenz-Angiographie eine Rolle, ebenso wie die Dokumentation der Autofluorezenz. Ein unzweifelhafter Fortschritt ist die Ultraweitwinkel- Fotografie als moderne Nachfolgerin der klassischen Ophthalmoskopie. Mit dem von dem Clarus Ultra-widefield fundus image können auch Veränderungen in der äußersten Peripherie erfasst werden, ob vereinzelte Drusen bei früher AMD oder periphere Manifestationen einer nicht- proliferativen diabetischen Retinopathie. Eine Entwicklung der jüngeren Zeit ist die OCT-Angiographie (OCTA), bei der zeitliche Unterschiede im Reflexions- verhalten bestimmter Schichten, hervorgerufen zum Beispiel durch die Bewegung von Erythrozyten in den Blutgefäßen, erfasst werden. Die OCTA hat sich als höchst wertvoll zum Nachweis von Neovaskularisationen erwiesen, sowohl an der Glaskörpergrenzfläche als auch in der Choriokapillaris und in der neuro- sensorischen Netzhaut. Die multimodale Bildgebung, also die Integration solch verschiedener Methoden an einer Stelle ist für den Arbeitsablauf in einer Klinik oder Praxis essentiell. Das neue, ab Frühjahr 2018 eingeführte Konzept der Diagnostic Imaging Suite (DIS) von Carl Zeiss Meditec ermöglicht dem Augenarzt, alle gesammelten Informationen an einer Workstation zu rezipieren und zu interpretieren. Dadurch erhält der Arzt eine breite Auswahl an Befunden, die ihn eine sichere Diagnose treffen lässt und das Übersehen feiner Details vermeiden hilft –wie zum Beispiel jene ersten mittelgroßen Drusen, die nach dem auf dem Symposium Vorgetragenen als eine Indikation gewertet werden können, dass eine Subsitution mit Antioxidantien und Makulapigment Sinn machen dürfte. Georgia O‘Keefe übrigens stieg nach ihrer Erkrankung (auf dem Partnerauge erlitt sie zu allem Überfluss einen Zentralvenenverschluss) von der Malerei auf die Schaffung von Skulpturen um, wobei es mehr um taktile Geschicklichkeit und Wahrnehmung ging, weniger um Sehschärfe. Möglicherweise können rechtzeitig - bevor der Begriff „Alter“ auf das Individuum zutrifft – ergriffene prophylaktische Maßnahmen und Anpassungen des Lifestyles viele Menschen vor einem zu solch einschneidenden Veränderungen führenden Schicksal bewahren helfen.

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