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Erschienen in: rheuma plus 2/2021

Open Access 03.03.2021 | Autoinflammation

Arthritis anders? – Neues zu seronegativen Spondarthritiden

verfasst von: Prim. PD Dr. Peter Peichl, MSc.

Erschienen in: rheuma plus | Ausgabe 2/2021

Zusammenfassung

Unter dem Begriff der Spondyloarthritiden wird eine Vielzahl von klinisch unterschiedlichen Krankheitsbildern zusammengefasst. Neben der klassischen ankylosierenden Spondylitis geht es über die Psoriasis, Psoriasis-Arthritis, zu einer akuten anterioren Uveitis, reaktiven Arthritis oder einer Arthritis in Verbindung mit Colitis ulcerosa oder Colitis ulcerosa und Morbus Crohn.
Hinweise
Literatur beim Verfasser

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Aus klinischer Sicht stellt die Spondyloarthritis eine extrem heterogene Krankheitsgruppe dar. Grundsätzlich können diese beschriebenen klinischen Manifestationen individuell bei jedem Patienten auftreten: ankylosierende Spondylitis, Psoriasis, Psoriasis-Arthritis, akute anteriore Uveitis, reaktive Arthritis, Arthritis in Verbindung mit Colitis ulcerosa oder Colitis ulcerosa und Morbus Crohn. In unterschiedlicher Intensität und Ausprägung, Schweregrad und auch zeitlich im Verlauf der grundlegenden Erkrankung kann es zu überlappenden Manifestationen aus dem oben beschriebenen Formenkreis kommen (Abb. 1).
Aus klinischer Sicht ist es anamnestisch extrem wichtig, all die oben beschriebenen Krankheitsbilder auch bei unterschiedlichen momentanen klinischen Manifestationen einzeln ergänzend abzufragen. Die Patienten schildern beim Dermatologen selten Sehnenschmerzen, oder auch der Orthopäde fragt sicher nicht nach Nagelveränderungen bei Schwellungen des Kniegelenks.

Immunologische Gemeinsamkeiten

Diese Krankheitsbilder haben aber zentrale immunologische Gemeinsamkeiten (Abb. 2). Aus immunologischer Sicht spielen Mechanismen, die sowohl autoinflammatorischen Ursprungs als auch Mechanismen der klassische Autoimmunität implizieren, eine wesentliche Rolle.
Aufgrund der oben beschriebenen Unterschiede der klinischen Bilder ist auch eine wechselnde Dominanz, sowohl von Autoinflammation als auch von Autoimmunität in unterschiedlicher Ausprägung und Intensität vorhanden.

Autoinflammation

Autoinflammation betrifft das angeborene Immunsystem, klassisch entsprechend dem klinischen Bild auch hier eine periodische oder kontinuierliche klinische Manifestation, grundsätzlich eine unspezifische Immunantwort und Zytokin-gesteuert. Was sind nun klassische autoinflammatorische Mechanismen?
Histologisch werden in den Plaques der Psoriasis keine Autoantikörper gefunden, und es spielen für die Induktion der Psoriasis-spezifischen Plaques vor allem die Zytokine Interleukin (IL)-17, IL-23 und auch IL-35, auch ohne T‑Zellen, eine wesentliche Rolle.

Autoimmunität

Im Gegensatz dazu spielen bei der Autoimmunität Mechanismen des erworbenen Immunsystems eine zusätzliche Rolle, mit einer zielgerichteten Immunantwort, die B‑Zell- und T‑Zell-gesteuert ist und zusätzlich auch HLA-assoziiert.
Von Seiten der Autoimmunität, ist in den Psoriasis-Läsionen vor allem eine Genomassoziation mit Genen im Bereich der Antigenpräsentation hervorzuheben. Neben den TH17-Zellen finden sich auch die klassische T‑Helferzellen. Neben der spezifischen Rolle von HLA-B-27 finden sich auch HLA-C-Assoziationen für eine autoimmunologisch vermittelte Immunantwort gegen Melanozyten.
Die HLA-Assoziation spielt hier bei allen oben beschriebenen Krankheitsbildern über HLA-B-27 in unterschiedlicher Ausprägung eine zusätzliche spezifische und pathognomonische Rolle. Neben der reinen Assoziation mit HLA-B-27 beeinflusst sicherlich auch die Zusammensetzung des Mikrobioms die immunologischen Prozesse – Prozesse, die zu einem sog. Unfolding von HLA-B-27 an den Oberflächenstrukturen der Epithelzellen führt (diese sind wiederum mit pathogenetischen Veränderungen unseres Mikrobioms assoziiert).
Ein weiterer elementarer und wesentlicher Faktor bei der Pathogenese ist, dass die Entzündung durch biomechanischen Stress und Belastung in Assoziation mit oben beschriebenen Strukturen ausgelöst werden kann. Diese Erkenntnisse sind für die klinische Praxis durchweg relevant, denn gerade die chronischen Enthesiopathien sind im Alltag oft ein therapeutisches Problem.
Von immunologischer Seite spielt die Zytokinachse IL-23, IL-22, IL-17 und zusätzlich TNF‑α eine entscheidende Rolle, die zur Inflammation, Osteoproliferation und auch zum Knochenmasseverlust zusammen mit proinflammatorischen Zytokinen führt. All diesen Mechanismen gemeinsam ist auch eine wesentliche pathogenetische Rolle von TH17-Zellen, die für die typischen Entzündungsmechanismen eine entscheidende Rolle spielen.
Eine hier ganz entscheidende typische klinische und pathogenetisch bedeutsame Manifestation ist die Enthesitis, die das klinische Substrat der oben beschriebenen immunologischen Mechanismen darstellt. Das für die Enthesitis spezifische pathophysiologische Phänomen ist eine durch eine Verletzung oder durch Überbelastung bewirkte Mechanoinflammation, die über eine vermehrte Expression von IL-17 und IL-23 gesteuert wird.
In weiterer Folge kommt es einerseits zu einer Gewebereaktion am Knochen – durch neue Knochenformation – und in weitere Folge auch durch das Wachstum von Enthesiophyten zu strukturellen Veränderungen und auch gemeinsam auf der anderen Seite mit den proinflammatorischen Zytokinen wie TNF‑α auch zu Gewebedestruktion am Knochen.
Wie wichtig neben der Anamnese auch die klinische Beurteilung ist, zeigt sich, wenn neben einer Arthritis eine Enthesitis und/oder Daktylitis vorliegt. Wenn hier zusätzliche Parameter wie eine Uveitis, Psoriasis, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, HLA-B-27 oder eine Sakroiliitis nachweisbar ist, und auch eine entsprechende Familienanamnese für eine SpA, lässt sich alleine anhand dieser oben beschriebenen klinischen Angaben eine Sensitivität von 78 % mit einer Spezifität von 82 % bei der Diagnosefindung definieren. Dies alles ist nicht bei 100 %, sodass das Erkennen einer Frühform, bei der die Therapien deutlich effektiver wirken, immer schwierig ist.
Das Auftreten von enthesealen Läsionen kann als Vorläuferfaktor für das Auftreten einer Psoriasis-Arthritis angesehen werden. Umgekehrt scheint bei Patienten mit Psoriasis mit muskuloskeletalen Beschwerden auch eine Prävention durch die Therapie zu bestehen. So lässt sich das Auftreten einer Psoriasis-Arthritis durch den frühen Einsatz von klassischen Basistherapeutika und vor allem durch den Einsatz von Biologika hinsichtlich des Auftretens einer Daktylitis oder Enthesitis verhindern.
Aus klinischer Sicht hervorzuheben ist, dass Enthesitiden vor allem bei der Psoriasis-Arthritis auftreten und seltener bei einer klassischen ankylosierenden Spondylitis.

Diagnostik

Für die Diagnostik entzündlicher Veränderungen an der Wirbelsäule stellt die Magnetresonanztomographie (MRT) ein Standarddiagnoseverfahren dar, wobei das Auftreten von klassischen, entzündlichen Veränderungen gegenüber sog. Fettläsionen („fatty lesions“) oftmals eine differenzialdiagnostische Schwierigkeit darstellt. Knochenmarködem und „fatty lesions“ treten mit zunehmendem Alter auch ohne klinische Beschwerden auf.
Die mit dem Alter zunehmende Häufigkeit deutet darauf hin, dass auch hier mechanische Faktoren eine wesentliche Rolle spielen können. Nach Beendigung der Grundausbildung im Militärdienst fanden sich in der MRT bei Soldaten ISG-Veränderungen. Auch eine Schwangerschaft kann Spuren an den ISG hinterlassen, die durchweg als Zustand nach Entzündung interpretiert werden können.
Standardverfahren für die Diagnostik entzündlicher Veränderungen an der Wirbelsäule ist die MRT
Anhand einer histologischen Untersuchung konnte in der Immunofluoreszenz gezeigt werden, dass im Bereich dieser „fatty lesions“ überwiegend hohe osteoplastische Aktivität und geringe osteoklastische Aktivität nachgewiesen wird und im Bereich der entzündlichen Veränderungen – genau umgekehrt – hohe osteoklastische Aktivität und geringe osteoplastische Aktivität vorhanden sind.
In naher Zukunft könnte ein neuer serologischer Test – AntiCD74-Antikörper – helfen, radiographische und nichtradiographische axiale SpA noch besser zu detektieren und zu diagnostizieren. Die Spezifität von Anti-CD74-Antikörpern sowohl bei radiographischer als auch bei nichtradiographischer Spondylarthropathie liegen bei 95 % vs. 90 % für die alleinige Bestimmung des HLA-B-27.
Das Mikrobiom von TNF-behandelten Patienten ähnelt jenem von gesunden Probanden
Auf die Rolle und Bedeutung des Mikrobioms bei der Pathogenese von Erkrankungen aus dem Formenkreis der seronegativen Spondyloarthropathien wurde schon hingewiesen. Eine interessante Untersuchung von Stuhlproben von 127 Patienten mit ankylosierender Spondylitis im Vergleich zu 123 Proben von Gesunden zeigt eine unterschiedliche bakterielle Besiedlung des Darms. Diese differenziert zwischen den Fällen mit ax-SPA und den Kontrollen. Es zeigt sich beim Mikrobiom auch ein Unterschied zwischen den TNF-α-behandelten Patienten und den unbehandelten Patienten mit axialer SpA. Die Signatur des Mikrobioms der TNF-behandelten Patienten ähnelt in weitere Folge jenem der gesunden Probanden.

Endoprothetik

Eine US-Medicare-Analyse bei Patienten mit und ohne ankylosierende Spondylitis, die jünger als 75 Jahre waren, zeigt eine erhöhte Inzidenzrate von Hüft-Totalendoprothesen (TEP). Die Inzidenzrate verdoppelte sich von 4,5 pro 100.000 Patientenjahre auf 9,6 pro 1000 Patientenjahre. Das ist eine Analyse an 52.560 Patienten mit AS im Vergleich zu 4,6 Mio. Patienten ohne AS. Diese erhöhte Hüft-TEP-Inzidenz betrifft sowohl Frauen als auch Männer mit ankolysierender Spondylitis.
Hinsichtlich der Knie-TEPs findet sich interessanterweise nur bei Frauen mit ankolysierender Spondylitis eine erhöhte Inzidenz von Knie-TEPs bei Patienten mit ankolysierender Spondylitis von 12,3 auf 100.000 Patientenjahren gegenüber der gesunden Vergleichsgruppe mit 5,7/1000 Patientenjahren.

Therapie

Seit dem Beginn der Biologika-Ära steht für entzündlich-rheumatische Erkrankungen, insbesondere für die Gruppe der seronegativen Spondyloarthropathien, eine Vielzahl von neuen Therapieoptionen zur Verfügung. In den ersten zehn Jahren von 2000 bis 2010 war es vor allem die Ära der TNF-α-Blocker. Im darauffolgenden Jahrzehnt bis zur Gegenwart wurde eine Vielzahl von unterschiedlichen Wirkmechanismen differenziert. Wie einleitend erwähnt, spielt hier die Pathophysiologie von Zytokinen und Zellen, insbesondere TH17, und die damit verbundenen Zytokinmechanismen wie IL-12, IL-23 und IL-17 eine wesentliche Rolle.
Vor allem bei der Psoriasis und Psoriasis-Arthritis bewirkt die Inhibition von IL-17 bis dato ungeahnte klinische Erfolgsraten. Aber auch andere gezielte Therapieoptionen wie IL-23 oder IL-12 und Kombinationen sowie auch das Armamentarium der TNF-α-Blocker stellen für uns fast ungeahnte Möglichkeiten der Therapie dar. Nicht zuletzt die aktuelle Zulassung von Jakiniben bei der Therapie der Psoriasis-Arthrits und der axialen SpA sind weitere positive Therapieoptionen.
Kurz noch ein Wort zum Standardtherapeutikum Methotrexat: Dieses stellt im Einzelfall vor allem bei jenen Krankheitsbildern, die ähnlich einer chronischen Polyarthritis firmieren (Psoriasis-Arthritis), eine noch immer wesentliche und elementare Therapiesäule dar. Eine rezente Untersuchung der Kombination eines TNF-α-Blockers und Methotrexat hinsichtlich der klinischen Krankheitsaktivität konnte zeigen, dass das Weglassen von Methotrexat, was oftmals auch ein wesentlicher Wunsch der Patienten ist, keine Verschlechterung unter einer laufenden Therapie mit einem TNF-α-Blocker bringt – dies ist nicht unerheblich für die klinische Realität.
Eine genaue Differenzierung des klinischen Zustandsbildes und die Festlegung des dominanten Krankheitsbildes hinsichtlich seiner vorrangigen Organmanifestation ergeben die Indikation zu einer zielgerichteten, differenzierten Therapie mit allen kurz angesprochenen Therapieoptionen.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

P. Peichl gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden vom Autor keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Metadaten
Titel
Arthritis anders? – Neues zu seronegativen Spondarthritiden
verfasst von
Prim. PD Dr. Peter Peichl, MSc.
Publikationsdatum
03.03.2021
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
rheuma plus / Ausgabe 2/2021
Print ISSN: 1868-260X
Elektronische ISSN: 2191-2610
DOI
https://doi.org/10.1007/s12688-021-00418-x

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