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Ärzte Woche

21.02.2023 | Arteriosklerose

Arteriosklerose bei Mumien

verfasst von: Sylvia Unterdorfer

Arteriosklerose mit den lebensbedrohenden Folgen Herzinfarkt und Schlaganfall ist heute eine der häufigsten Todesursachen. Sie gilt als moderne Zivilisationserkrankung mit den Risikofaktoren hohe Blutfette, falsche Ernährung, Rauchen und Bewegungsarmut. Doch jetzt haben Wissenschafter bei Menschen Gefäßverkalkung entdeckt, die bereits vor Hunderten und sogar Tausenden Jahren lebten.

In Bolivien, in der auf 3.650 Meter Höhe gelegenen Hauptstadt La Paz beherbergt das Nationalmuseum für Archäologie einen besonderen Schatz: Im Depot sind fast fünfzig Mumien aus präkolumbianischer Zeit aufbewahrt. Wie die meisten Mumien in den Anden sind die Verstorbenen in Kauerstellung in Begräbnistürmen bestattet worden, genannt Chullpa. Die große Höhe und das trockene Klima haben sie perfekt konserviert.

Mumienforscher aus Bozen und aus den USA erhielten im vergangenen Sommer die Erlaubnis, die natürlich mumifizierten Körper mit neuen wissenschaftlichen Methoden zu untersuchen. Sie durften im Museum von den Verstorbenen Proben entnehmen für die Analyse des Genoms und des Mikrobioms.

„Wir werden versuchen, die DNA von einigen Krankheitserregern zu identifizieren, um herauszufinden, welche Krankheiten bei der Urbevölkerung vorhanden waren und welche Krankheiten die Europäer in die neue Welt einschleppten,“ erklärt der bolivianische Biochemiker Guido Valverde, der für das Forschungsprojekt zur Zeit im EURAC Institut für Mumienforschung in Bozen beschäftigt ist.

Als erstes wurden die Mumien in einem Computertomografen gescannt. Denn ein besonderes Interesse vor allem amerikanischer Experten gilt der Suche nach Kalkablagerungen in den Blutgefäßen, also Spuren von Arteriosklerose. „Zu meiner großen Überraschung und auch zur Überraschung der amerikanischen Gruppe fanden wir in ein paar Mumien tatsächlich Kalkablagerungen in den Arterien“, sagt Guido Valverde.

US-Kardiologen in Ägypten

Alles begann vor etwa zwölf Jahren mit einem Ägyptenbesuch einer Gruppe amerikanischer Kardiologen. Bei einer Besichtigung der Mumien im Museum in Kairo erfuhren die Herzexperten, dass laut Papyrus-Inschriften bereits die Pharaonen an Gefäßverkalkung gelitten haben. Die amerikanischen Ärzte waren sehr erstaunt und konnten das nicht glauben. Denn Arteriosklerose gilt ja als moderne Zivilisationskrankheit, verursacht von fettem Essen, Rauchen und zu wenig Bewegung. Die Ägypter erlaubten den Kardiologen, in einem Spital einige Mumien in einem Computertomografen zu durchleuchten.

„Nach der siebenten Mumie sagten wir: Oh mein Gott! Wir sind falschgelegen!“, erinnert sich Prof. Dr. Gregory Thomas von der Universität von Kalifornien in Irvine. „Zur damaligen Zeit führten die Menschen ein aktives Leben. Sie hatten keine hohen Blutfette, sie rauchten nicht, sie fuhren nicht mit dem Auto, sie bewegten sich sehr viel. Und doch gab es Ablagerung! Sie hatten Kalk in den Gefäßwänden. Die Menschen hatten Arteriosklerose – vor 3.200 Jahren!“

Die „Horus-Gruppe“ entsteht

Nach diesem erstaunlichen Fund nannten sich die amerikanischen Kardiologen nach dem ägyptischen Hauptgott „Horus-Gruppe“. Die Herz-Experten begannen systematisch, weitere ägyptische Mumien zu untersuchen, insgesamt 52. So ermöglichte es ihnen beispielsweise das Egizio Museum in Turin, in einem modernen Computertomographen die 3.400 Jahre alte Mumie von Kha zu scannen, der Architekt von Theben in der 18. Dynastie. Der mumifizierte Körper wies starke Verkalkungen der Beckenarterie auf. Oder die Mumie von Ahmesit, der Tochter von Amenhotep, die am Bauch und an der Halsschlagader ausgedehnte Ablagerungen zeigte. Diese Menschen starben im Durchschnitt im Alter von 40 Jahren. Und trotzdem haben 44 der 52 Mumien identifizierbare Plaques, zwanzig – also fast dreißig Prozent – hatten echte Gefäßverkalkungen, nachweisbar in jeder dritten ägyptischen Mumie.

Weitere Mumien im CT

Die „Horus-Gruppe“ begann nun auch Mumien aus anderen Regionen zu untersuchen. Insgesamt scannten die Forscher neben 76 ägyptischen Mumien noch 51 mumifizierte Tote aus Peru, fünf Angehörige einer präkolumbianischen Pueblo-Kultur aus dem Südwesten der USA sowie fünf Jäger und Sammler, die auf den Aleuten in Alaska gelebt hatten. Das Ergebnis: Bei mehr als einem Drittel aller Mumien fanden die Wissenschafter deutliche Kalkablagerungen in mindestens einer großen Arterie, und zwar unabhängig von Kultur oder Zeit, obwohl sich Ernährung und Klima bei den verschiedenen Völkern sehr unterschieden. So ernährten sich die Jäger auf den Aleuten fast ausschließlich von Fisch und Meeresfrüchten, die Pueblo-Indianer jagten Wild und die Bewohner des alten Peru bauten Mais, Kartoffeln und Maniok an. Die Forscher veröffentlichten diese wissenschaftliche Sensation im bekannten Fachjournal Lancet [DOI: 10.1016/S0140-6736(13)60598-X].

Infektionen als Ursachen

Um den Ursachen der frühen Gefäßverkalkung auf die Spur zu kommen, suchten die Wissenschafter nach Gemeinsamkeiten der 137 Mumien. Und fanden zunächst eines: Alle vier Kulturen lebten in der Nähe von Gewässern und hatten weder Kanalisation noch grundlegendes Wissen zur Hygiene. Ständige Infektionen mit Bakterien und Parasitenbefall durch verseuchtes Trinkwasser könnten Entzündungen der Gefäßwände gefördert haben. Auch in der heutigen Medizin ist bekannt, dass entzündliche Erkrankungen wie Rheuma oder chronische Infektionen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigen.

Als einen weiteren Risikofaktor erkannten die Forscher Rauch, den die Menschen einatmeten. Alle vier Kulturen kochten über offenem Feuer mit Holz, Kohle oder Dung. Die CT-Scans zeigten zudem, dass Frauen mehr zu Arteriosklerose neigten als Männer: „Bei diesen Kulturen war Kochen Frauensache. Wie bei den Ägyptern haben die Frauen im Freien am offenen Feuer gekocht. Und möglicherweise haben Ruß und Rauch ähnlich schädlich gewirkt wie der Tabakrauch heute“, erklärt Gregory Thomas.

Neben Rauchen gilt heute ungesunde Ernährung als Hauptrisikofaktor für Gefäßverkalkungen. Dementsprechend groß ist das Angebot an Essenstipps und Nahrungsergänzungsmitteln, die Arteriosklerose vorbeugen sollen. Besonders wirkungsvoll sollen Omega-3-Fettsäuren sein, die vor allem in Fischöl enthalten sind und laut Studien Ablagerungen in den Gefäßen verhindern.

Doch das Ergebnis einer neuen Studie der „Horus-Gruppe“ war eine Überraschung, erinnert sich Gregory Thomas: „Vor Kurzem haben wir vier Inuit-Mumien untersucht, Menschen, die im 15. Jahrhundert in Grönland lebten. Diese jungen Männer und Frauen in ihren Zwanzigern ernährten sich ausschließlich von Meeresprodukten. Daher hofften wir, dass sie durch das Fischöl, die Omega-3-Fettsäuren, vor Gefäßverkalkung geschützt waren. Aber leider hatten auch diese jungen Inuit Arteriosklerose.“

Natürliche Alterserscheinung

Obwohl die Inuit hauptsächlich Fisch essen, der reich an Omega-3-Fettsäuren ist, wiesen drei der vier 500 Jahre alten natürlich mumifizierten Verstorbenen Verkalkungen in Bauch-, Herz- und Halsschlagarterien auf. Inzwischen haben die Forscher der Horus-Gruppe bereits fast 300 Mumien aus der ganzen Welt untersucht. Eines zeigt sich deutlich: Je älter die Menschen bei ihrem Tod sind, desto eher haben sie Gefäßverkalkungen.

Verlangsamen, nicht verhindern

Der Kardiologe Thomas resümiert: „Wir haben elf verschiedene Kulturen untersucht, von der Mongolei über Litauen bis nach Neapel, den Alpen und Bozen, wo der Eismann ist, von Ägypten bis nach Peru und Grönland. Wir haben keine Kultur gefunden, wo es keine Arteriosklerose gibt. Wir wissen heute, wir können die Gefäßverkalkung zwar verlangsamen, aber die Veranlagung dazu ist im Erbgut festgelegt.“

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Metadaten
Titel
Arteriosklerose bei Mumien
Schlagwort
Arteriosklerose
Publikationsdatum
21.02.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 08/2023

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