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Ärzte Woche

24.04.2023 | Antibiotika

Peter Klimek: „Extraprämie für höhere Versorgungssicherheit“

verfasst von: Josef Broukal

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Prof. Dr. Peter Klimek ist seit wenigen Wochen Direktor eines Instituts zur Erforschung von Problemen bei Lieferketten – auf Neudeutsch „Supply Chain Intelligence Institute Austria“ oder kurz ASCII. Jetzt liegt die erste Studie vor. Es geht um die offensichtlichen Probleme bei der Versorgung mit Antibiotika. Und vor allem um Lösungen.

Ärzte Woche: Verzweifelte Mütter laufen von Apotheke zu Apotheke, um Antibiotika für ihre Kinder zu bekommen. Patienten müssen in Spitäler aufgenommen werden, weil es nur dort die benötigen Antibiotika gibt. Wie ist es dazu gekommen?

Klimek: Das hat viele Gründe – und ist gewissermaßen ein Marktversagen. Die Produktion der Ausgangsstoffe für Antibiotika hat sich in den vergangenen Jahren auf zwei Länder konzentriert: Weltweit gibt es 25 Fabriken, die diese Ausgangsstoffe herstellen – 16 davon in China und Indien. Wenn man das weiß, weiß man auch, dass selbst kleine Störungen in der Lieferkette große Auswirkungen haben können. Aber das ist nicht der einzige Grund. Es wäre verlockend zu sagen: Wenn wir in Österreich produzieren, haben wir keine Mängel mehr. Wir produzieren viele Antibiotika in Österreich, haben ein Vorzeigeprojekt in Kundl – wo die gesamte Lieferkette in Österreich angesiedelt ist ( Anm.: Kundl ist Sitz der Sandoz GmbH. Das Werk ist spezialisiert auf biotechnologisch hergestellte Arzneimittel – von der Forschung und Entwicklung bis zur Produktion .) Und trotzdem haben wir auch in diesem Segment Mängel.

Ärzte Woche: Wieso gibt es gerade bei den Antibiotika diese Probleme?

Klimek: Mit Antibiotika kann man nicht viel Geld verdienen. Man nimmt sie, wenn man sie braucht, ein bis zwei Wochen. Medikamente, die man ein Leben lang einnimmt, sind wirtschaftlich viel interessanter. Hinzu kommt, dass es bei Antibiotika viele Generika gibt – mit hohem Kostendruck. Die Firmen haben also wenig Anreiz, hier in die Produktion zu investieren.

Ärzte Woche: Während der COVID-19-Pandemie ging die Nachfrage nach Antibiotika zurück. Haben es die Pharmafirmen verabsäumt, die Erzeugung rechtzeitig wieder hochzufahren?

Klimek: Die Lockdowns während der Pandemie, das Tragen der Masken haben nicht nur die Verbreitung von SARS-CoV-2 eingedämmt. Sie haben auch die Zirkulation anderer Erreger reduziert. Wir haben hier für Europa gute Zahlen: Der Verbrauch von Antibiotika ging während der Pandemie um 20 Prozent zurück. Aber in den vergangenen Monaten haben alle Länder die Anti-Corona-Maßnahmen beendet – auch China. Und dadurch hat sich der Bedarf an Antibiotika sprunghaft erhöht. Und zwar wesentlich schneller als das an und für sich schon fragile, konzentrierte Produktionssystem die Erzeugung steigern konnte.

Ärzte Woche: Wie lange wird diese Knappheit noch anhalten?

Klimek: Wenn es wärmer wird, wird die Zahl der Infektionen zurückgehen. Das wird helfen, dass sich die Lage entspannt. Ich gehe davon aus, dass sowohl die Einkäufer als auch die Produzenten erkannt haben, dass die Nachfrage nach Antibiotika wieder nachhaltiger nach oben geht – und dass sie ihre Kapazitäten entsprechend anpassen. Lieferengpässe hat es übrigens auch schon vor der Pandemie gegeben. Warum hat man sie kaum bemerkt? Weil vor der Pandemie mehr als 80 Prozent der fehlenden Medikamente durch ein anderes Medikament ersetzt werden konnten. Das hat sich jetzt geändert: Jetzt ist nur noch für 40 Prozent des Fehlenden Ersatz da. Einfach gesagt: Wenn der Ausgangsstoff für ein Medikament fehlt, kann man nicht auf ein anderes Medikament mit dem gleichen Wirkstoff ausweichen.

Ärzte Woche: Der Verband der Pharmahersteller hierzulande, PHARMIG, sagt, dass die Sozialversicherung so wenig für Medikamente zahlt, dass es marktwirtschaftlich sinnvoller sei, sie in anderen Ländern anzubieten. Welchen Einfluss hat das?

Klimek: Im Moment schauen die Hersteller mehr auf den Preis als auf die Versorgungssicherheit. Und das sollte uns beim Thema Antibiotika-Resistenz sogar noch mehr Sorgen machen als das zeitweilige Fehlen des einen oder anderen Medikaments. Wenn der Preisdruck so hoch wird, dass nicht mehr in neue Forschung investiert wird, dann kommen auch keine neuen Antibiotika auf den Markt. Die Resistenzen gegenüber den bestehenden Antibiotika werden immer mehr zunehmen. Das müssen wir sehr genau im Auge behalten. Ich glaube, es wir nötig sein, die Bezahlung von Antibiotika vom Verkauf zu entkoppeln. Etwa, indem Staaten die Pharmafirmen für Forschung bezahlen. Da gibt es zum Beispiel das „Netflix-Modell“: Die Pharma-Firmen erhalten einen fixen Betrag, egal wie viele Medikamente sie tatsächlich verkaufen. Oder sie erhalten für die ersten Chargen mehr als für die weiteren – je mehr von einem Antibiotikum verkauft wird, desto billiger wird es. Anders gesagt: Wir dürfen nicht ausschließlich darauf schauen, wo wir die Medikamente am billigsten bekommen. Wir müssen vielmehr in stabile Beziehungen zu den Herstellern investieren.

Ärzte Woche: Werden die benötigten Medikamente dadurch nicht teurer?

Klimek: Das muss uns aber schon klar sein – wir zahlen dann eine Extra-Prämie für eine höhere Versorgungssicherheit. Aber das muss es uns wert sein. Denn derzeit gibt es Anzeichen von Marktversagen.

Ärzte Woche: Was sollte in Österreich jetzt geschehen?

Klimek: Wir müssen zuerst einmal herausfinden, wie hoch die Nachfrage nach Medikamenten ist – über längere Zeiträume, aber auch die Nachfrage zu Spitzenzeiten ist interessant. Wenn wir das einmal wissen, wissen wir auch, wie viel von einem Medikament wir auf Lager legen müssen. Ob die Lager ausgebaut werden müssen. Es wäre aber nicht effektiv, wenn jedes europäische Land seine eigenen Lager baut. Denkbar ist eine europäisch koordinierte, zentrale Lagerhaltung.

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Metadaten
Titel
Peter Klimek: „Extraprämie für höhere Versorgungssicherheit“
Schlagwort
Antibiotika
Publikationsdatum
24.04.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 17/2023

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