Ebola, Malaria, Armut, Putsche, Krieg und Hunger – über Afrika wird wegen humanitärer oder auch politischer Krisen berichtet. Doch der Kontinent mit seiner jungen Bevölkerung birgt ein riesiges Potenzial, wirtschaftlich und menschlich. Für eine nachhaltige Entwicklung ist eine funktionierende Gesundheitsversorgung für möglichst viele Menschen entscheidend. Hier leisten NGOs Pionierarbeit. Wir stellen in den kommenden Wochen Hilfsprogramme in Äthiopien, Uganda oder Mosambik vor. Den Anfang macht Sierra Leone, wo sich „Jugend Eine Welt“ seit 20 Jahren engagiert.
Ein reißender, knöchelhoher Bach bahnt sich seinen Weg durch die St. Anthony’s Clinic in Sierra Leones Hauptstadt Freetown. Von der Straße kommend flutet er Gänge und Behandlungsräume und spült gefährliche Keime in das kleine Krankenhaus, denn es liegt am Rande eines Slums mit 15.000 Einwohnern und ohne Kanalisation.
Dramatische Wassereinbrüche in der Regenzeit sind aber nicht das einzige Problem des seit 32 Jahren bestehenden Spitals: Es ist wegen seines Alters, zahlreicher Risse in Dach und Mauerwerk sowie vieler Beschädigungen bei Unwettern akut einsturzgefährdet.
Kein soziales Netz
Für die meisten Menschen im und um den Slum ist das eine Katastrophe, denn die „St. Anthony’s Clinic für die Armen“, wie die Krankenstation im Stadtteil Brookfields vollständig heißt, ist ihre einzige Anlaufstelle für leistbare medizinische Behandlungen. Ein soziales Netz existiert in Sierra Leone, einem der ärmsten Länder Afrikas, nicht. Selbst in staatlichen Spitälern sind Behandlungen für einen Großteil der Bevölkerung unerschwinglich, weshalb die St. Anthony’s Clinic trotz ihres desolaten Zustands vorerst noch in Betrieb bleibt.
„Wenn die Klinik einstürzt, zerstört das alles, was wir aufgebaut haben“, seufzt Peter Konteh. St. Anthony genieße großes Ansehen unter den Menschen in Brookfields und darüber hinaus. „In den vergangenen Jahrzehnten hat das Personal eine große Expertise in Bezug auf Schwangere, Stillende und Kinder unter fünf Jahren entwickelt“, sagt der Präsident der Caritas Freetown im Gespräch mit der Ärzte Woche. „Darüber hinaus werden Impfungen angeboten, Infektionskrankheiten wie Typhus und Malaria behandelt sowie Menschen mit psychischen Leiden oder Drogenproblemen betreut.“
Ärztemangel und Raumnot
Trotz der Einsturzgefahr kommen laut Father Peter täglich 400 bis 500 Patientinnen und Patienten, die von einigen wenigen Ärztinnen und Ärzten betreut würden. „Es arbeiten mittlerweile nur mehr ältere Mediziner mit einer wirklich großen Leidenschaft für ihren Beruf in der Klinik“, beschreibt der Priester die schwierige Situation. „Junge Ärzte, die frisch von der Uni kommen, wollen ihr Leben nicht riskieren. Wenn man das Klinikgebäude sieht, versteht man das aber.“ Father Peter engagiert sich seit mehr als 30 Jahren mit aller Kraft für die Menschen in Sierra Leone. Während des Bürgerkriegs (1991 bis 2002) setzte er sich für Frieden und Versöhnung ein, heute arbeitet er mit Unterstützung der Hilfsorganisation Jugend Eine Welt und des internationalen Don-Bosco-Netzwerks daran, jungen Menschen im Land eine Zukunft zu geben. Mit Österreich verbindet Father Peter eine seit Jahrzehnten anhaltende Freundschaft zu einer mittlerweile 94-jährigen Ärztin aus Bad Reichenhall, die ihn als jungen Mann gefördert hat. „Sie ist wie eine Mutter für mich“, sagt der Priester liebevoll, „und ich besuche sie ein- bis zweimal pro Jahr.“
Anfang September war der 58-Jährige in Wien, um für finanzielle Unterstützung für den dringend nötigen Neu- und Ausbau der St. Anthony’s Clinic zu werben. Das bereits bewilligte Bauvorhaben soll das Krankenhaus nicht nur wieder sicher machen, sondern durch eine Erweiterung der Anlage eine angemessene Behandlung der vielen Patienten ermöglichen. Derzeit verfügt das Spital lediglich über einige wenige Behandlungsräume und acht stationäre Betten. „Wir haben von sieben bis 18 Uhr geöffnet und unsere Wartebereiche sind immer überfüllt“, beschreibt Father Peter die Lage. Dadurch könnten sich Krankheiten schnell ausbreiten.
Die laufenden Ausgaben für den Betrieb der St. Anthony’s Clinic sind zwar gedeckt, für den Neubau fehlt das Geld aber. Jugend Eine Welt hat als langjähriger Partner der Caritas Freetown die Kosten für die Errichtung des neuen Spitals, den Abriss des alten Gebäudes, die Anschaffung von Ausrüstung und eines Rettungswagens sowie für Trainingsmaßnahmen für das Personal mit rund einer Million Euro veranschlagt (Details siehe Zusatzartikel).
Ex-Kindersoldat als Mitstreiter
Für die Umsetzung des Projekts vor Ort ist einer von Father Peters engsten Mitarbeitern verantwortlich: der 42-jährige Ishmael Alfred Charles. Charles war zu Beginn des Bürgerkriegs 1991 im Alter von neun Jahren von Rebellen verschleppt und als Kindersoldat missbraucht worden. Mit 14 gelang ihm die Flucht. Nach dem Krieg besuchte er die Schule und studierte in Sierra Leone, Großbritannien und den USA.
Heute setzt Charles alles daran, das Leben der Menschen in seiner Heimat zu verbessern. Deshalb ist er auch immer wieder bei Jugend Eine Welt in Österreich zu Gast – das nächste Mal im November.
„Herr Charles und Father Peter sind der Grund, warum wir so gern mit der Caritas Freetown kooperieren. Wir haben mit ihnen zwei Menschen, denen wir völlig vertrauen“, versichert Reinhard Heiserer, Mitgründer und Geschäftsführer von Jugend Eine Welt, der Ärzte Woche. „Wir wissen, dass jeder Cent, den wir senden, am richtigen Ort landet und den Menschen wirklich nützt.“ Zuletzt machte sich Heiserer im Dezember selbst ein Bild der Lage in der St. Anthony’s Clinic (siehe Interview).
Nachhaltige Entwicklung
Für Jugend Eine Welt und die Caritas Freetown ist es wichtig, dass die Hilfe aus Europa zu einer nachhaltigen Verbesserung der medizinischen Versorgung in Sierra Leone führt. Ein Schwerpunkt der gemeinsamen Arbeit, auch in der St. Anthony’s Clinic, liegt auf der Aus- und Weiterbildung von medizinischem Personal, da das Land während der verheerenden Ebola-Epidemie 2014 bis 2016 viele Mediziner und Fachkräfte verloren hat. Ein weiterer Schwerpunkt ist gesundheitliche Aufklärung für die Menschen vor Ort.
Großen Handlungsbedarf gibt es mit Blick auf die weibliche Genitalverstümmelung, unter der 80 Prozent aller Mädchen und Frauen in Sierra Leone leiden. Mit einer Folge dieser Praxis sind die Mitarbeitenden der St. Anthony’s Clinic täglich konfrontiert: erschwerte, oft lebensgefährliche Geburten.
Drogenkrise wegen Kush
In Bezug auf Männer und Burschen berichten Father Peter und Reinhard Heiserer über ein Problem, das seit einigen Jahren in Westafrika grassiert: die „Zombie-Droge“ Kush. Die stark süchtig machende Substanz wird geraucht, lokal produziert und hat je nach Hersteller verschiedene Bestandteile und gesundheitliche Auswirkungen.
Die Grundlage bildet jeweils Cannabis, dem Opioide wie Tramadol und Fentanyl beigemengt werden. Auch Lösungsmittel wie Aceton oder Formalin sind enthalten. Da letzteres auch zur Konservierung von Leichen dient und Kush Gerüchten zufolge auch gemahlene Menschenknochen enthält, entstand der Name „Zombie-Droge“. Sierra Leone erklärte heuer im Jänner wegen Kush den nationalen Gesundheitsnotstand.
Father Peter sieht den Grund für die weite Verbreitung der Droge, die die Konsumenten oft stark sediere, in den fehlenden Zukunftsperspektiven in Sierra Leone. „Die meisten jungen Menschen, die eine Ausbildung oder ein Studium absolviert haben, finden im Land keinen Job“, sagt er. Während sich die einen Kush zuwendeten, versuchten andere ihr Glück auf dem teuren und äußerst gefährlichen Weg nach Europa.
Aufklärung und Ausbildung
Mit Infokampagnen versucht die Caritas Freetown, sowohl das eine als auch das andere zu verhindern. „Wir bringen Menschen an die Unis, die selbst nach Europa wollten. Sie berichten von ihren Erlebnissen mit Menschenhändlern, von Vergewaltigungen auf der Reise durch die Wüste und von Misshandlungen in libyschen Auffanglagern.“ Auch in Radio und Fernsehen werden diese Informationen aktiv verbreitet. Mit Blick auf die Kush-Abhängigen plant die NGO derzeit ein Rehabilitationszentrum in Freetown.
Ein weiterer Schwerpunkt sind Ausbildungsprogramme, etwa im landwirtschaftlichen Bereich. Dabei arbeitet die Caritas Freetown eng mit dem Don-Bosco-Netzwerk zusammen, dem auch Jugend Eine Welt angehört. „Caritas und Don Bosco sind wie Zwillinge“, scherzt Father Peter.
Auch sonst gibt es eine gute Zusammenarbeit. Die katholischen Einrichtungen in Sierra Leone bieten landesweit ein Netz an medizinischen Hilfseinrichtungen an.
„Wenn die St. Anthony’s Clinic neu gebaut wird, hilft uns das auf vielen Ebenen“, fasst Father Peter seinen derzeit größten Wunsch an die Menschen in Europa zusammen. „Wenn Sie die Möglichkeit haben, helfen Sie bitte, den Traum der Menschen in der Armensiedlung am Rande Freetowns wahr werden zu lassen“, appelliert NGO-Gründer Reinhard Heiserer an mögliche Philanthropinnen und Philanthropen: „Sie ermöglichen dadurch sichere Geburten, genauere Diagnosen und eine bessere sanitäre Versorgung. Kurz: Sie schenken kranken Menschen Leben und neue Perspektiven.“
Hier können Sie helfen:
Jugend Eine Welt-Spendenkonto: AT66 3600 0000 0002 4000
Onlinespenden www.jugendeinewelt.at/spenden (steuerlich absetzbar)
„Wir haben großes Vertrauen in unsere Projektpartner vor Ort“
Die NGO Jugend Eine Welt setzt sich seit 20 Jahren für Menschen in Sierra Leone ein. Immer dabei ist Geschäftsführer Reinhard Heiserer.
Ärzte Woche: Herr Heiserer, Sie haben im Dezember die St. Anthony’s Clinic besucht. Was waren Ihre Eindrücke?
Reinhard Heiserer: Die Klinik ist in einem wirklich schlechten Zustand. Das kaputte Dach ist provisorisch mit Plastikplanen abgedeckt. Ich bekam Fotos von der Regenzeit zu sehen, in der Wasser durch das ganze Gebäude läuft. Die Sorge ist groß, dass die Klinik bei einem Erdbeben einstürzt. Die täglich 400 bis 500 Patientinnen und Patienten nehmen den desolaten Zustand aber in Kauf, da ihnen anderswo nicht geholfen wird. Da die Klinik auch schlecht ausgestattet ist, umfasst unser Förderpaket nicht nur den Neubau, sondern auch eine zeitgemäße Ausstattung sowie die Fortbildung der Mitarbeiter. Die Menschen sollen wieder Hoffnung schöpfen und sicher sein, dass sie die bestmögliche Behandlung bekommen.
Ärzte Woche: Das alles kostet viel Geld. Bis wann hoffen Sie, dieses zusammen zu haben?
Heiserer: Insgesamt betragen die Projektierungskosten rund eine Million Euro. Wir hoffen, das erste Drittel bis Jahresende zu erhalten, das zweite Drittel bis nächsten Sommer. Das wäre der Betrag, den wir für die Bauausstattung und den Abriss des alten Gebäudes benötigen. Das letzte Drittel sollte bis Ende 2025 stehen, da es die Fortbildung des Personals über zwei bis drei Jahre finanziert. Wir hoffen, dass der eine oder andere Philanthrop oder Großspender eine schnellere Finanzierung ermöglicht.
Ärzte Woche: Wie stellen Sie sicher, dass Spendengelder sinnvoll genutzt werden?
Heiserer: Jugend Eine Welt arbeitet seit über 20 Jahren in Sierra Leone. Wir kennen unsere Partner vor Ort sehr gut und wissen, dass sie verlässlich Projekte erstellen und betreiben. Im Dezember nahmen wir an der Feier zum 25-jährigen Bestehen von Don Bosco Fambul teil. Das ist eine Einrichtung u. a. für Straßenkinder, Sexarbeiterinnen und Kinder im Gefängnis. Wir konnten alle Einrichtungen besichtigen, darunter ein Therapiezentrum, das von einheimischen Fachkräften gebaut wurde. Die Qualität dieses Projektes beweist, dass das neue Krankenhaus auf jeden Fall in guter Qualität errichtet werden kann. Unsere jahrelange Zusammenarbeit hat zudem gezeigt, dass essenzielle Punkte wie Projektabrechnung, Dokumentation und Berichtswesen sehr ordentlich erfolgen. Die notwendige Kontrolle ist gegeben, Berichte kommen genau und rechtzeitig. Zusammengefasst: Wir haben großes Vertrauen in unseren Projektpartner. Jeder Förderer, der eine größere Summe investiert, ist eingeladen, das Projekt mit uns zu besichtigen.