Mehr als 12 % der Einwohner leben mit einer Behinderung, die oft als Fluch gilt und Ausgrenzung sowie Diskriminierung nach sich zieht. Mit Aufklärungsprogrammen und durch Unterstützung bei der Inklusion am Arbeitsmarkt trägt Licht für die Welt zu einem Umdenken bei – und setzt dabei auf Kinofilme.
Ein Slum am Rande von Ugandas Hauptstadt Kampala: Zwischen Holzverschlägen und kleinen Geschäftsständen strömen Frauen und Männer zu einer aus Brettern gezimmerten Halle – dem lokalen Kino, „Kibanda“ genannt. Wo sonst Fußballspiele oder nigerianische TV-Dramen gezeigt werden, steht an diesem Abend ein besonderer Streifen auf dem Programm: „When you become me“, ein eindringlicher, aufwendig produzierter Spielfilm, der Bewusstsein für Menschen mit Behinderungen schaffen soll.
Kurz vor Vorstellungsbeginn ist die Halle voll besetzt, ein Generator dröhnt, nur wenig Licht dringt durch die Wände und das Dach aus Wellblech. Die Zuseher auf den Bankreihen blicken gespannt auf den großen Fernseher, auf dem der erste inklusive Film des Landes gleich starten wird. Sie lauschen den Worten eines Mannes, der die englischen Dialoge in den nächsten eineinhalb Stunden lautstark in die lokale Sprache übersetzt.
Fluch oder „Strafe Gottes“
In Uganda, das sich selbst „die Perle Afrikas“ nennt, leben 12,4 Prozent der Bevölkerung mit einer Behinderung. Das sind bei knapp 46 Millionen Einwohnern rund 6 Millionen Menschen. Ihr Leben ist meist von klein auf geprägt von Diskriminierung, Ausgrenzung und Aberglauben, denn körperliche oder mentale Beeinträchtigungen gelten trotz der Regierungsbemühungen um Inklusion oft als Fluch oder Strafe Gottes.
„When you become me“ setzt auf Aufklärung, verpackt in einen mitreißenden Plot. Der Film, der von der ugandischen NGO Sauti+ mit Unterstützung von Licht für die Welt und der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit produziert wurde, zeigt den entschlossenen Kampf eines sehbehinderten Mannes um eine ihm zustehende Beförderung. An seiner Seite steht eine junge Journalistin mit Sprachbeeinträchtigung, die selbst um ein eigenständiges Leben ohne Diskriminierung ringt. Der Film trifft mit Spannung, Drama und Romantik genau den Geschmack des Publikums im Kibanda.
„Was Leute im Kino sehen, bleibt hängen“, sagt Herman Namanya von Sauti + . Die Organisation, die eine Vielzahl an Projekten für benachteiligte junge Menschen und Inklusion betreut, setzt bei Awareness-Kampagnen auf unterhaltsame Filme oder Videoclips, die in Kinos oder im Fernsehen laufen. Am Land vermitteln Hörspiele im Radio wichtige Inhalte, da dieses Medium dort im Alltag eine große Rolle spielt.
Weitere für Bewusstseinsbildung genutzte Kanäle sind Social Media, Podcasts und der populäre, jährlich stattfindende Talentwettbewerb „Sauti Canvas“. Bei ihm hat heuer Parton Musiimenta, 25, eine junge Frau, gewonnen, die in Gebärdensprache beliebte Songs singt – weil sie den Rhythmus spürt.
Wichtig ist Sauti+ und Licht für die Welt die Zusammenarbeit mit Behindertenverbänden und Menschen, die selbst eine Behinderung haben. In „When you become me“ betrifft das die zwei Hauptdarsteller: Musa Mwambu ist blind, Doreck Ankunda kann nicht hören. Obwohl beide Schauspieler – es war jeweils ihre erste Rolle – aus vergleichsweise wohlhabenden Mittelschichtfamilien stammen, erlebten sie seit ihrer Kindheit Diskriminierung, selbst in der engsten Verwandtschaft. „Mein Vater wollte mich zuerst nicht in die Schule schicken“, erzählt Musa, der in Begleitung einer persönlichen Assistentin zum Interviewtermin mit der Ärzte Woche gekommen ist. Seine Mutter habe sich zum Glück durchgesetzt, sagt der 33-Jährige, weshalb er eine gute Ausbildung bekam.
Neue Role Models
Auch Doreck hat erfahren, wie wenig Menschen mit Behinderung zugetraut wird. „In meiner Familie hieß es, dass Gehörlose ohnehin keine Zukunft haben“, sagt die 28-Jährige in Gebärdensprache, während eine Dolmetscherin übersetzt. Das Mitwirken bei „When you become me“ habe diese Meinung nachhaltig geändert. Sie selbst sei durch den Film selbstbewusster als früher, sagt Doreck, sie sehe sich als Role Model.
Ihr Wissen um die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen nutzen Doreck und Musa nicht nur künstlerisch, sondern auch für Licht für die Welt . Als speziell ausgebildete Inklusionsberater unterstützen sie Unternehmen, Organisationen und Ministerien in Uganda bei der Beschäftigung von Menschen mit Beeinträchtigung – Musa hat zum Beispiel erfolgreich mit Mastercard zusammengearbeitet.
In Uganda gibt es zwar keine finanziellen Anreize für die Einstellung von Menschen mit Behinderung, wie „Licht für die Welt“-Landeschef Silvester Kasozi erläutert, denn das System wurde von einzelnen Firmen missbraucht. Doch viele Unternehmen, vor allem größere, verpflichten sich freiwillig zu Inklusion. Über 50 von Licht für die Welt geschulte Beraterinnen und Berater helfen ihnen, Menschen mit Behinderungen Chancen zu geben und ein geeignetes Arbeitsumfeld für sie im Betrieb zu schaffen.
Qualifikation und Jobchancen
Licht für die Welt unterstützt auch einzelne Betroffene: beim Erwerb von Qualifikationen, im Bewerbungsprozess oder bei der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit. Darüber hinaus engagiert sich die NGO humanitär – in Uganda leben rund 1,5 Millionen Flüchtlinge aus umliegenden Krisenstaaten. Licht für die Welt stellt sicher, dass auch Menschen mit Beeinträchtigungen Hilfe erhalten.
Als er ein Kind war, konnten sehbehinderte Menschen im besten Fall Telefonisten oder Volksschullehrer werden, erinnert sich Musa Mwambu. Mehr wurde ihnen nicht zugetraut und ermöglicht. Awareness-Programme und der bessere Zugang zu Assistenzsystemen für die Computernutzung hätten bereits eine „gewaltige Veränderung“ gebracht. „Heute gehen viele sehbehinderte Menschen auf die Universität“, sagt Musa, der wie Doreck studiert hat. Große Fortschritte gebe es zudem bei größeren Unternehmen, doch gerade auf lokaler Ebene, in den Communities der Menschen, sei „noch viel zu tun“.