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Ärzte Woche

26.03.2023 | Allergologie

Mögen die Pollenspiele beginnen

verfasst von: Martin Krenek-Burger

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Allergie- und Pollen-Experten rechnen mit einer milden Saison, was für die Allergiker aber leider keine Entwarnung darstellt. Gilt es doch, mit hierzulande neuen Phänomenen wie dem „Gewitter-Asthma“ fertig zu werden. In australischen Städten, wo das Thunderstorm-Asthma schon gewütet hat, waren die Notfallambulanzen schnell überfüllt.

Um zu wissen, wann der Frühling beginnt, muss ich seit vielen Jahren nur in meinen Terminkalender schauen. Wenn Uwe E. Berger, der langjährige Leiter des Österreichischen Pollenwarndienstes, zur Presse spricht und seine hieb- und stichfesten Pollenprognosen streut –, dann ist Frühling. Heuer war er noch einmal live zu erleben – Uwe Berger geht 2024 an der MedUni Wien in Pension. Was er aus der einstmals kleinen Abteilung am AKH Wien gemacht hat und welche Zukunftspläne ihn umtreiben, hören Sie in unserem Podcast „Hörgang“.

Aber nun dürfen die Taschentücher gezückt werden. Berger: „Die Birke steht vor der Tür.“ Die Pollensaison legt rund einen Monat früher los und tut das mit Wucht: Schon im Jänner war ein Frühstart zu beobachten. Dieser heftige Beginn dürfte sich bei Birke und Esche aber nicht fortsetzen. Für Allergiker bedeutet das – leider – keine Entwarnung. Neue Erscheinungen wie das sogenannte „Gewitter-Asthma“, das in Australien vermehrt zu beobachten ist, tauchen am Horizont auf.

„Zahlreiche Allergene werden vermehrt produziert, wenn Pflanzen unter Stress stehen“, schilderte Prof. Dr. Barbara Bohle, Leiterin des Instituts für Pathophysiologie und Allergieforschung der Medizinischen Universität Wien. „Stress“ könne etwa verursacht werden durch Hitze, Trockenheit sowie Nahrungskonkurrenz und erhöhte Belastung durch Umweltschadstoffe wie Ozon, Schwefel- und Stickoxide.

Das Hauptallergen des Birkenpollens, Bet v 1, löst bei vielen Menschen allergischen Schnupfen aus. Mehrere Studien hätten gezeigt, sagte Bohle, dass gestresste Birken höhere Mengen von Bet v 1 erzeugen und dass Birkenpollen von Bäumen, die höheren Stickoxid- und Ozonkonzentrationen ausgesetzt waren, stärkere allergische Symptome bei Allergikern auslösen.

Auch wenn grundsätzlich mit einer „eher milden Saison“ zu rechnen sei, könne die Intensität der Belastung noch nicht vorausgesagt werden, hieß es. Ein Grund: Der Klimawandel kann Pflanzen „verwirren“. Doch auch bei Allergikern gibt es fragliche Punkte: So stellen alle Aspekte der COVID-19-Krise, von Long Covid über das Tragen von Schutzmasken bis hin zu mehr Aufenthalt in den eigenen vier Wänden, bis dato nicht konkret einschätzbare Faktoren dar. Auch die Tatsache, dass vor allem im Lockdown mehr Haustiere angeschafft wurden, kann die Häufigkeit von Allergien – den sogenannten „Indoor-Allergenen“ – signifikant beeinflussen. Daten gibt es dazu bisher aber kaum.

Warm und überfallsartig

„Der letzte Winter reiht sich in die deutlich zu milden der letzten Jahrzehnte ein“, sagte der Meteorologe Mag. Harald Seidl von GeoSphere Austria (ehemals Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik ZAMG, Anm. ). „Im Tiefland wurde der sechstwärmste der 256-jährigen Messgeschichte verzeichnet.“ Ideal für Pflanzen, besonders früh ihre Pollen abzugeben. Die Phänologie zum Frühstart liefert Uwe E. Berger, MBA: „Bereits im Jänner begannen heuer im Osten Hasel und Erle mit ihrer Blüte.“ Bedeutet: Viele Allergiker wurden unvorbereitet getroffen – erste Symptome waren heuer ebenso bemerkenswert wie deren Intensität.

„Das Wetter selbst macht nicht krank“, erklärte Dipl.-Biol. Holger Westermann, Chefredakteur von menschenswetter.at , einer Service-Plattform für wetterempfindliche Menschen. Allerdings könne es Verlauf und Intensität von Erkrankungen beeinflussen. „Dieser Effekt ist umso größer, je dramatischer der physiologische Stress für den Organismus ausfällt. Wenn der Wetterwechsel also abrupt und tiefgreifend ist oder weil eine manifeste Vorerkrankung in besonderem Maße sensibilisiert.“

„Das Wissen um und die Vermeidung von Risikofaktoren sowie die Einhaltung der Allergie- und Asthmabehandlung ist für die Prävention von gewitterbedingtem Asthma entscheidend“, sagte Doz. Dr. Felix Wantke, Leiter des Floridsdorfer Allergiezentrums in Wien.

Asthma bronchiale ist eine der häufigsten chronischen Atemwegserkrankungen. Hierzulande leiden fünf Prozent der Erwachsenen an dieser schweren Erkrankung. Bei Kindern ist die Häufigkeit doppelt so hoch, bereits jedes zehnte Kind ist asthmakrank.

Atemwegsallergien gegen Baum- oder Gräserpollen sind der häufigste Grund für das Entstehen von allergischem Asthma. Anfangs treten Beschwerden wie trockener Husten, pfeifende Atmung, Atemnot und ein Engegefühl in der Brust nur dann auf, wenn der Körper mit den Allergie-Auslösern in Kontakt kommt. Wantke weiter: „Die Atemwege entzünden sich, die Schleimhäute schwellen an, es bildet sich zäher Schleim, und die Bronchialmuskulatur verkrampft. Mit der Zeit werden die Atemwege durch die häufige Entzündung so empfindlich, dass sie auch auf Reize wie Tabakrauch, Kälte, Staub, körperliche Anstrengung, Stress oder bestimmte Umwelteinflüsse reagieren. Man spricht dann von bronchialer Hyperreagibilität.“

Asthma-Attacke bei Sturm

Bei einem Gewitter mit plötzlichem Temperaturabfall und hoher Luftfeuchtigkeit kommt es zu einem sprunghaften Anstieg von Pollenkonzentration und Ozonbelastung. Das „Gewitter-Asthma“, das nicht selten bis dahin symptomfreie Menschen betrifft, ist in unseren Breiten noch rar – in australischen Großstädten allerdings vermehrt zu beobachten. Während eines Sommergewitters quellen Pollen auf – und platzen. Dabei wird eine große Menge Allergene freigesetzt, was ein hohes Risiko für Asthma-Attacken bedeutet. Außerdem: Fehlt eine Nachtabkühlung, verschlechtert sich die Schlafqualität, der Organismus kann sich nicht ausreichend erholen - und wird vulnerabler.

Was ein häufiges Auftreten von Gewitter-Asthma für das Gesundheitswesen eines Landes bedeutet, lässt sich am bisher massivsten Fall von Thunderstorm-Asthma ablesen, der sich 2016 in Australien zutrug. Nach einem starken Sturm, der über Melbourne zog, mussten innerhalb von 30 Stunden 8.500 Menschen in den Notfall-Ambulanzen versorgt werden, sagt Wantke, „zehn von ihnen starben an einem Asthmaanfall“.

Erschreckendes Detail: 4 von 10 der australischen Patienten mit Asthmaanfall hatten bis dato noch nie Asthmabeschwerden. Andere Untersuchungen von Patienten mit Gewitter-Asthma bestätigen das, sagt Wantke. Allerdings: Eine Pollenallergie war bei 99 Prozent der Betroffenen vorhanden.

Wie ruhig wird der Ruhestand?

Die Pollen werden Uwe Berger nicht loslassen. Kaum zu glauben, dass 2023 sein letzter öffentlicher Auftritt gewesen sein soll. „Ich hoffe doch, dass ich unter der Führung meines Sohnes (Dr. Markus Berger, Anm .) noch ein paar Jahre im System arbeiten darf und kann.“

Weitere Informationen:

menschenswetter.at

Allergie-Atlas für Europa

Metadaten
Titel
Mögen die Pollenspiele beginnen
Publikationsdatum
26.03.2023
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 13/2023

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