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Ärzte Woche

17.08.2020 | Allergologie

Waldbaden

Bei meiner Borke!

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In Japan gilt die Forest Medicine als richtige Medizin. Auch in Europa gibt es immer mehr Gesundheits-Angebote, die Shinrin Yoku als „Alleskönner“ propagieren.Was sagen heimische Experten dazu?

Dass ein Spaziergang im Wald viele positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden hat, haben wohl alle von uns schon einmal am eigenen Leib erfahren. Nicht nur die gesunde Bewegung, sondern die verschiedenen Reize für Augen, Ohren und Geruchssinn können sich subjektiv positiv auswirken. Die Idee des „shinrin yoku“, des „Waldbadens“ kommt aus dem japanischen Raum, wo es mit der „Forest Medicine“ sogar eine eigene Fach- und Forschungsdisziplin gibt. Auch in unserer Alpenrepublik findet man immer mehr Urlaubsangebote, die Waldbaden als „Weg zur Heilung“ bewerben. Wobei das „Bad im Wald“ im Wesentlichen nichts anderes als der gute alte Waldspaziergang ist – oft kombiniert mit Entspannungstechniken und/oder Methoden der Traditionellen Europäischen Medizin.

Doch Wald ist nicht gleich Wald. In Österreich ist Prof. Dr. Daniela Haluza von der Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin der MedUni Wien stv. Leiterin des europaweiten Projekts „Dr. Forest“*, welches die Wirkung unterschiedlicher Waldkulturen genauer untersucht. Ziel der „Österreichischen Biodiversitätsstrategie 2020+“ sei es, die Biodiversität der Wälder näher an den urbanen Bereich zu bringen und naturnahe Mischwälder zu schaffen – erklärt sie. Im artenreichen Lebensraum Wald sei etwa eine größere Anzahl natürlicher Wirtstiere vorhanden, die Krankheitserreger abfangen, als in artenarmen Gegenden. Die biologische Vielfalt helfe auch gegen die Entstehung von Allergien und Asthma.

Karin Martin

Literatur: „Investigating the Qualities of a Recreational Forest: Findings from the Cross-Sectional Hallerwald Case Study“. Renate Cervinka, Markus Schwab, Daniela Haluza. 4 March 2020. Int.J.Environ.Res.Public Health 2020, 17, 1676; doi:10.3390/ijerph17051676.

Biodiverser Wald bietet die meisten Sinnesreize

„In den COVID-19 bedingten Ausgangsbeschränkungen waren in Österreich Spazierengehen, Joggen, aber auch der Besuch eines wohnortnahen Grünraums ausdrücklich erlaubt, natürlich unter Berücksichtigung der Abstandsregelung. Das ist auch gut so, denn: Der Aufenthalt im Freien ist als körperlicher Ausgleich für die sitzende Lebensweise des modernen urbanen Menschen dringend nötig.

Vor allem die Bewegung im Wald führt zu messbaren Veränderungen im Körper: Puls, Blutdruck und mentale Erschöpfung sinken, die Immunabwehr wird angekurbelt und das vegetative Nervensystem findet zu einer natürlichen Balance. Sport im Freien bietet ein kostenloses Ganzkörpertraining mit Zusatzeffekt: Die Natur stimuliert Körper und Sinne zusätzlich durch thermische Wechselreize und ein dreidimensionales Terrain. Diese Wirkung wird auch vom aus Asien kommenden Trend des Waldbadens aufgegriffen. Waldbaden ist das bewusste Aufnehmen der Waldatmosphäre und ein achtsamer Aufenthalt im Wald. Waldbaden entschleunigt und kann, muss aber nicht unter Anleitung erfolgen. Probieren Sie es einfach aus, gehen Sie in den Wald Ihres Vertrauens und schalten Sie ab, vor allem das Smartphone!

Allergiker profitieren von der sauberen Waldluft. Besonders für Asthmatiker relevant sind darüber hinaus die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass ihren Lungen der Aufenthalt bei Wasserfällen besonders guttut. Die Kombination aus Grün, also Wald, und Blau, also Wasser, wird in unseren Studien zu Wald und Gesundheit als herausragend erholsam bewertet. Dies liegt wohl daran, dass schon unsere Vorfahren auf Schutz, Nahrung und Wasser gleichermaßen angewiesen waren und durch ,Grün und Blau‘ einen Überlebensvorteil hatten. Dieser Urinstinkt wirkt bis in die heutige Zeit nach. Gegen Zeckenstich und Sonnenbrand gilt es allerdings Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, für einen unbeschwerten regelmäßigen Waldaufenthalt.

Die gesundheitsfördernde Wirkung eines Waldes ist umso höher, je vielfältiger die darin vorzufindende Artenvielfalt ist. Diese Biodiversität zeichnet sich durch das Vorkommen unterschiedlicher Baumarten, junger und alter Bäume und einer Vielzahl verschiedener Pflanzen- und Tierarten aus. So ein biodiverser Wald bietet eine ganz andere Bandbreite an Sinnesreizen, allein wenn man an die unterschiedlichen Jahreszeiten denkt.“

Prof. DDr. Daniela Halzua, FÄ f. Hygiene und Mikrobiologie, Umweltmedizinerin, MedUni Wien

Möglicher Beitrag, um Medikation zu reduzieren

„Spätestens seit der ,Mühlviertler Waldluftbade-Studie‘ im Jahr 2016, die ich gemeinsam mit dem Mühlviertler Kernland Tourismus durchgeführt habe, ist Waldbaden (WLB) in aller Munde. Das ist für mich ein ganz natürliches Phänomen. Man erinnere sich zurück an den Beginn des Nordic Walking. Vor dem Trend war das Gehen nicht wirklich populär, aber kaum hat das ,Kind einen neuen Namen‘, ist es in aller Köpfe.

Die positive Wirkung des WLB ist aus meiner Sicht auf zwei untersuchte Tatsachen zurückzuführen. Einerseits zeigt eine japanische Studie, dass die Nutral Killer Zellen durch lange andauernde Waldaufenthalte in ihrer Zahl, Funktion und Lebensdauer Verbesserungen erfahren. Unser Immunsystem wird also gestärkt. Andererseits konnte ich zeigen, dass sich durch mindestens vier Stunden Wald pro Woche über ein dreiviertel Jahr die Aktivität des Parasympathikus - ,Herr‘ von Regeneration, Erholung, Reparatur, Schlaf und Verdauung – erhöht.

Wo sind die Grenzen beim Waldluftbaden? Es wäre ja schön, wenn wir auf unserer ewigen Suche in allen Bereichen des Lebens – aber ganz besonders in der Medizin – endlich fündig geworden wären bzgl. der sog. „Eier legenden Woll-Milch-Sau“. Doch davon kann und wird auch in Zukunft nicht die Rede sein können. Alle mir bekannten Krankheitsbilder basieren auf multiplen Auslösern. Allein das WLB als Therapie betrachten, wäre zu eindimensional.

Auf alle Fälle ist es gut, dass es in Österreich unter Einhaltung einfacher und klarer Verhaltensregeln (noch) erlaubt ist, den Wald zu nutzen – und zwar kostenlos. Damit erschließt sich uns ein weiteres gratis Werkzeug der Lebensstilmedizin. Man sollte aber auch wissen, dass jede Art der Reiztherapie darauf angewiesen ist, dass die therapeutischen Reize immer wieder neu definiert werden, damit unser Organismus ständig einen Anpassungsdruck spürt. Sonst läuft man Gefahr, dass das mit der Zeit zwar nett ist, aber nicht mehr therapeutisch wirkt! Regelmäßige Waldaufenthalte sind einmal der Anfang. Man beginnt dann den einen oder anderen Aufenthalt in seiner Dauer zu verlängern und letztlich versucht man die Intensität des Aufenthaltes zu variieren. Schafft man das, dann kann es im Menschen enorme Wirkung auslösen und damit ein Beitrag sein, um pharmakologische Medikation zu reduzieren – in manchen Fällen sogar ausschleichen zu lassen.“

Dr. Martin Spinka, Arzt für Allgemeinmedizin, Spezialist für TEM Naturheilkunde, Linz

Vorsicht bei Baumpollen-, gut bei Gräserpollen-Allergie

„In der wissenschaftlichen Fachliteratur findet sich ein rezentes Review zu sechs randomisierten, kontrollierten Studien, die den Einfluss des Aufenthaltes im Wald auf verschiedene Gesundheitsparameter untersuchten. Dabei konnte bei insgesamt relativ geringer Patientenzahl ein positiver Einfluss auf verschiedene Gesundheitsparameter wie Bluthochdruck, Immunsystem (Protein-Expression von NK-Zellen und CD8+ T-Zellen), Inflammation (Reduktion von IL-6, IL-8 und IFN-gamma bei Patienten mit COPD), oxidativer Stress und eine Reihe psychologischer Parameter (Ängstlichkeit, Stimmung etc.) gefunden werden. In Bezug auf Lungenerkrankungen zeigte sich in einer Studie an älteren Frauen mit teilweise Bluthochdruck eine Zunahme der FEV1 (0,19 +/- 0,26 l) im Sinne einer Verbesserung der Lungenfunktion und eine Abnahme des systolischen und diastolischen Blutdrucks nach einstündigem Waldspaziergang, während nach einem Stadtspaziergang bei der Kontrollgruppe keine Besserung gefunden wurde. Da die Studien meist nur an geringen Patientenzahlen durchgeführt sind und teilweise methodologisch Mängel aufweisen, ist eine allgemeine Aussage hier jedoch nicht mit Sicherheit möglich.

Auch Beobachtungen, dass Kinder, die auf Bauernhöfen aufgewachsen sind, eine erniedrigte Prävalenz von Allergien aufweisen, kann nicht direkt mit dem Aufenthalt im Wald verglichen werden, sondern spiegelt eher die Konfrontation des Immunsystems mit dem unterschiedlichen Mikrobiom – höhere Diversität – im Stall wider.

Patienten mit einer bestehenden Baumpollen-Allergie sollten sogar in der jeweiligen Pollensaison den Wald meiden, insbesondere wenn dort Bäume blühen, gegen die sie allergisch sind, wie Birken oder Eschen. Umgekehrt werden Gräserpollenallergiker im Wald vor starkem Gräserpollenflug geschützt und können dort im Sommer die Natur genießen.

Insgesamt sind Waldspaziergänge – ausgenommen bei den genannten Einschränkungen – sicher als positiv für Geist und Körper anzusehen und sollten auch von Patienten mit Lungenerkrankungen zur Erholung genützt werden. Für wissenschaftlich fundierte Aussagen benötigt es aber sicher noch eine Reihe von gut-designten Studien.“

Prim. Dr. Fritz Horak, Allergiezentrum Wien-West

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Titel
Waldbaden
Bei meiner Borke!
Publikationsdatum
17.08.2020
Zeitung
Ärzte Woche
Ausgabe 29-34/2020

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