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Erschienen in: Spektrum der Augenheilkunde 4/2023

Open Access 07.02.2023 | originalarbeit

Akanthamöbenkeratitiden in Jugendlichen mit Orthokeratologielinsen

verfasst von: Julia Aschauer, Michal Klimek, Ruth Donner, Jan Lammer, Philipp Roberts, Gerald Schmidinger

Erschienen in: Spektrum der Augenheilkunde | Ausgabe 4/2023

Zusammenfassung

Hintergrund

Durch die rasant steigende Prävalenz der Myopie kommen zunehmend progressionshemmende Verfahren zum Einsatz. Auch die Orthokeratologie, basierend auf dem Ansatz des peripheren Defokus, erlebt eine Renaissance. Die gefährlichste Nebenwirkung der Orthokeratologie ist die mikrobielle Keratitis, unter ihnen eine Infektion mit Akanthamöben, welche oft spät diagnostiziert wird und potenziell visusbedrohende Verläufe nehmen kann.

Material und Methode

Diese Fallserie beschreibt die Diagnosefindung und den Behandlungsverlauf der Akanthamöbenkeratitis bei jugendlichen Patient*innen mit Orthokeratologielinsen, welche an der Spezialambulanz für Hornhauterkrankungen der Universitätsklinik für Augenheilkunde und Optometrie an der Medizinischen Universität Wien im Zeitraum eines Jahres betreut wurden.

Resultate

Vier Fälle von orthokeratologieassoziierten Akanthamöbenkeratitiden wurden mittels kornealer Konfokalmikroskopie und mikrobiologischer Verfahren zwischen August 2021 und August 2022 diagnostiziert. Die intensive Stufentherapie umfasste ein hochdosiertes, topisches Biguanid in Kombination mit einem Diamidinderivat, welches in der ersten Therapiephase mit antibakteriellen und antifungalen Augentropfen kombiniert wurde. Der Therapieverlauf und -erfolg wurde mittels der kornealen Konfokalmikroskopie beurteilt, und entsprechend angepasst.

Schlussfolgerung

Die Akanthamöbenkeratitis ist ein ernst zu nehmendes Erkrankungsbild im Zusammenhang mit Orthokeratologielinsen. Im Hinblick auf das Alter der Zielgruppe dieser myopieprogressionshemmenden Therapie sollte, neben sorgfältiger Patientenselektion, auf eine detaillierte Schulung der Kontaktlinsenträger in der Handhabung der Linsen sowie auf ein erhöhtes Bewusstsein für Zeichen einer frühen Infektion besonderes Augenmerk gelegt werden. Da alternative Möglichkeiten zur Myopieprophylaxe bestehen, müssen PatentInnen auf das Risiko der jeweiligen Methode hingewiesen werden.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

Hintergrund

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat die rasante Zunahme der Myopie zu einem globalen Gesundheitsproblem erklärt. Betrug die Zahl an betroffenen PatientInnen im Jahr 2000 weltweit noch rund 1,4 Mrd., so wird sie 2050 bereits auf bis zu 4,8 Mrd. prognostiziert [1]. Während Länder Ostasiens über besonders hohe Prävalenzen berichten, steigt die Häufigkeit der Myopie auch in Europa bei jungen Erwachsenen im Alter zwischen 25 und 29 Jahren zunehmend an [2]. Es herrscht daher ein erhöhtes Bewusstsein für die Myopie als sozioökonomische Belastung mit der klaren Zielsetzung, eine Progression der Myopie bei Kindern und Jugendlichen und insgesamt hohe Myopieformen zu vermeiden.
Die Maßnahmen zur Myopieprogression, zuletzt vonseiten der Kommission für Refraktion, Optometrie und Kontaktologie der Österreichischen Ophthalmologischen Gesellschaft diskutiert, werden laufend an den neuesten Forschungsstand adaptiert [3]. Unter den optischen Methoden ist dabei der Einsatz von Orthokeratologie(OK)-Linsen weit verbreitet, welche die Form und in weiterer Folge die Refraktion der Hornhaut verändern. Die größte Gefahr und wichtigste Nebenwirkung dieser myopieprogressionshemmenden Maßnahme ist das Auftreten mikrobieller Keratititen [4]. Dabei sind die häufigsten kausalen Mikroorganismen, wie bei anderen kontaktlinsenassoziierten Keratitiden, Pseudomonas aeruginosa und Akanthamöben, da diese Erreger die Fähigkeit zur Oberflächenhaftung besitzen [5].
Die Akanthamöbenkeratitis (AK) kann durch verschiedene Stämme der Gattung Acanthamoeba verursacht werden. Sie sind Einzeller (Protozoen), mit einer aktiven Form, dem Trophozoit, welcher sich unter ständigem Gestaltwechsel mit Scheinfüßchen bewegt, und die Fähigkeit besitzt, sich unter suboptimalen Lebensbedingungen in eine sehr widerstandsfähige Überdauerungsform, die Zyste, umzuwandeln. Die Inkubationszeit der Infektion kann bis zu mehrere Wochen betragen und hängt sowohl von der primären Korneaschädigung als auch den Eigenschaften des infizierenden Stammes ab.
Symptome der betroffenen PatientInnen sind meist unspezifisch und umfassen Fremdkörpergefühl, zunehmende (oft unverhältnismäßige) Schmerzen, Epiphora, Blepharospasmus und verschwommenes Sehen. Auch die objektiven Zeichen einer frühen Infektion, wie ein „gräulich-schmutzig“ erscheinendes Epithel, winzige Epitheldefekte und das Erscheinen von „Pseudodendriten“ sind meist nur subtil, weshalb die korrekte Diagnose einer AK oft erst spät gestellt werden kann. Besonders die feinen „Pseudodendriten“ können oft mit „dendritischen Bäumchen“ einer epithelialen Herpeskeratitis verwechselt werden, deren „knollenhafte“ Ausläufer jedoch meist prominenter ausgeprägt sind, im Vergleich zu den subtileren „Pseudodendriten“ der AK. Spätere Stadien können das Auftreten einer als pathognomonisch erachteten perineuralen Infiltration bis zur Formation eines entzündliches Ringinfiltrat umfassen, mit Spätfolgen wie einer chronisch-progressiv ulzerierenden Keratitis mit Uveitis, Skleritis und Sekundärglaukom.
Die AK ist somit ein sehr ernst zu nehmendes ophthalmologisches Krankheitsbild mit potenziell visusbedrohendem Verlauf, deren Auftreten und Signifikanz im Zusammenhang der Orthokeratologie definiert werden muss.
Das Ziel dieser Arbeit ist die Darstellung einer Fallserie an Jugendlichen mit AK im Zusammenhang mit OK-Linsen, welche im Zeitraum eines Jahres (August 2021 bis August 2022) in der Spezialambulanz für Hornhauterkrankungen der Universitätsklinik für Augenheilkunde und Optometrie behandelt wurden.

Falldarstellungen

Fall 1

Im August 2021 wurde ein 14-jähriger, männlicher Patient mit der Diagnose einer „persistierenden Erosion“ in der Ambulanz für Hornhauterkrankungen vorstellig. Anamnestisch war der Gebrauch von OK-Linsen seit einem Jahr zu vermerken, ansonsten war die Krankengeschichte im Hinblick auf Vorerkrankungen (systemisch und ophthalmologisch) sowie Allergien unauffällig.
Der Patient beklagte ein Fremdkörpergefühl und Irritation seit 3 Wochen. Eine Therapie mit Fluorchinolon-Augentropfen (Agtt), Ganciclovir-Agtt und einem konservierungsmittelfreien Tränenersatzmittel (TEM) wurde vom zuweisenden Augenarzt bei Verdacht auf epitheliale Herpeskeratitis initiiert.
Bei Vorstellung zeigte sich am rechten Auge ein unauffälliger Spaltlampenbefund des vorderen und hinteren Augenabschnitts. Am linken Auge war ein irreguläres Epithel in Form einer Epithelleiste auffällig, weshalb die Verdachtsdiagnose einer persistierenden Herpeskeratitis als wahrscheinlich galt und systemisch Valaciclovir, 1 g, Fluorchinolon-Agtt, 3‑mal, und Loteprednol-Agtt, 3‑mal, als Therapie begonnen wurden. Dem Patienten wurde zusätzlich eine therapeutische Kontaktlinse eingesetzt.
Bei ausbleibender Befundverbesserung wurden eine Woche darauf ein Korneaabradat und -abstriche für eine Herpes‑/Bakterien- und Pilz‑/AK-Polymerase-Kettenreaktion (PCR) sowie für eine Bakterien- und Pilz‑/AK-Kultur durchgeführt. Die Therapie wurde zu diesem Zeitpunkt nicht verändert.
Eine Woche später lag ein positiver Akanthamöben-PCR-Befund vor. Die Therapie wurde somit adaptiert: Start mit Chlorhexidin, 0,02 %ige Agtt, halbstündlich, Propamidin-Isethionat, 0,1 %ige Agtt, halbstündlich, Fluconazol, Agtt, 6‑mal, und Bacitracin-Zink-Neomycin-Augensalbe (AS), 4‑mal. Zu diesem Zeitpunkt wurde neben einem Spaltlampenfoto erstmals auch eine korneale Konfokalmikroskopie (CCM) durchgeführt, welche AK-ähnliche Zysten, jedoch keinen eindeutigen Hinweis auf Trophozoiten zeigte (Abb. 1, vor Behandlungsbeginn, Baseline).
Der Patient wurde im wöchentlichen Intervall engmaschig kontrolliert.
Einen Monat nach Therapiebeginn wurde nach erster klinischer Besserung, die Therapie reduziert: Chlorhexidin, 0,02 %ige Agtt, 6‑mal, Propamidin-Isethionat, 0,1 %ige Agtt, 3‑mal, Fluconazol-Agtt, 3‑mal, und Bacitracin/Zink/Neomycin-AS 3‑mal.
Zwei Monate nach Therapiebeginn wurde die antibiotische und antifungale Therapie bei Beibehaltung der Biguanid-Diamidin-Kombinationstherapie beendet, zu diesem Zeitpunkt berichtete der Patient erstmals eine subjektive Beschwerdefreiheit, und der Befund zeigte einen komplettem Epithelschluss.
Vier Monate nach Therapiebeginn sah man im Spaltlampenbefund ein geschlossenes Epithel, jedoch eine neu aufgetretene perineurale Infiltration mit diffusen subepithelialen und anterior-stromalen Infiltraten (immunologische Reaktion). Zu diesem Zeitpunkt war der bestkorrigierte Snellen-6-m-Visus 0,5. In der CCM zeigten sich noch einzelne Zysten, ohne jeglichen Hinweis auf Trophozoiten (Abb. 1, Monat 4), weshalb die Therapie mit Propamidin-Isethionat, 0,1 %ig, nun auch beendet wurde, und neben Chlorhexidin, 0,02 %ige Agtt, 6‑mal, ein TEM verordnet wurde.
Fünf Monate nach Therapiebeginn betrug der bestkorrigierte Snellen-6-m-Visus weiterhin 0,5. Es zeigte sich nun eine narbig verheilte Perineuritis mit diffusen subepithelialen und anterior-stromalen Narben.
Die Therapie mit Chlorhexidin-Agtt wurde über die nächsten Monate bei stabilem Spaltlampenbefund um monatlich 1 Trpf. in der Frequenz reduziert.
Zwölf Monate nach Therapiebeginn war der bestkorrigierte Snellen-6-m-Visus auf 1,0 gestiegen; es zeigten sich biomikroskopisch diffuse subepitheliale und anterior-stromale Narben, im CCM jedoch keinerlei Zysten (Abb. 1, Monat 12), weshalb die Beendigung der Therapie mit Chlorhexidin als sicher galt.

Fall 2

Ein 18-jähriger, männlicher Patient wurde vom zuweisenden Augenfacharzt bei Verdachtsdiagnose Herpeskeratitis mit Dexamethason-Agtt und systemischem Valaciclovir behandelt. Bei Erstvorstellung in der Ambulanz für Hornhauterkrankungen im Dezember 2021 berichtete der Patient, seit 2 Jahren OK-Linsen zu tragen und regelmäßig Kontakt mit Leitungswasser beim Duschen zu haben. Er beklagte starke Fotophobie, Epiphora und brennende Schmerzen seit 5 Wochen. Die restliche Krankengeschichte war unauffällig. Das rechte Auge zeigte einen unauffälligen vorderen und hinteren Augenabschnittsbefund in der Spaltlampenuntersuchung; links waren bei einem bestkorrigiertem Snellen-6-m-Visus von 0,5 eine Lidschwellung und ziliäre Injektion, ein „schmutziges“ Hornhautepithel und perineurale Infiltration Richtung temporal auffällig. Es wurde ein Spaltlampenfoto angefertigt und eine CCM durchgeführt. In Letzterer zeigte sich eine diffuse Anhäufung an Trophozoiten, Zysten und dendritischen Zellen, (Abb. 2, vor Behandlungsbeginn, Baseline) weshalb die mikroskopische Diagnose einer AK links gestellt wurde. Zu diesem Zeitpunkt wurden ein Korneaabradat und -abstriche für eine Herpes‑/Bakterien- und Pilz-Kultur und PCR abgenommen und eine entsprechende Therapie eingeleitet: Chlorhexidin-Agtt hochdosiert auf 0,06 %, halbstündlich, Propamidin-Isethionat, 0,1 %ige Agtt, halbstündlich, Voriconazol, 1 %ige Agtt, 6‑mal, und Bacitracin/Zink/Neomycin-AS, 4‑mal.
Der Patient wurde zunächst im wöchentlichen Intervall engmaschig kontrolliert.
Eine Woche nach Therapiebeginn war die Akanthamöben-PCR positiv und das „schmutzige“ Epithel in der Biomikroskopie rückläufig, jedoch bei nun ausgeprägter Perineuritis. Die Therapie wurde auf ein stündliches Biguanid-Diamidin-Tropfschema reduziert.
Zwei Wochen nach Therapiebeginn war auch die Akanthamöbenkultur positiv. Bei weiterhin starker Perineuritis wurden neue subepitheliale Infiltrate vermerkt (immunologische Reaktion), weshalb die Therapie im selben Schema fortgeführt wurde.
Ein Monat nach Therapiebeginn berichtete der Patient erstmals eine deutliche Verbesserung der Symptomatik. Im klinischen Befund fand man eine rücklaufende perineurale Infiltration mit abblassenden subepithelialen Infiltraten und einem regulären Epithel. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Voriconazol-Agtt-Therapie auf 4‑mal täglich reduziert.
Zwei Monate nach Therapiebeginn erreichte der Patient bereits wieder einen bestkorrigiertem Snellen-6-m-Visus von 1,0. Es zeigte sich ein beinahe reizfreier Vorderabschnittsbefund, mit abgeblassten subepithelialen und perineuralen Narben. Im CCM waren nur mehr vereinzelt Zysten zu erkennen (Abb. 2, Monat 2). Chlorhexidin, 0,06 %ige Agtt, wurde auf 6‑mal, Propamidin-Isethionat, 0,1 %ige Agtt, auf 4‑mal, Voriconazol, 1 %ige Agtt, auf 2‑mal reduziert, und die Bacitracin/Zink/Neomycin AS-Therapie wurde beendet.
Drei Monate nach Therapiebeginn wurden bei stabilem Befund auch Propamidin-Isethionat, 0,1 %ige Agtt, und Voriconazol, 1 %ige Agtt, beendet.
Fünf Monate nach Therapiebeginn konnte bei stabilem Befund die Frequenz von Chlorhexidin, 0,06 %ige Agtt, auf 3‑mal reduziert werden.
Neun Monate nach Therapiebeginn bei bestkorrigiertem Snellen-6-m-Visus von 1,25 zeigte die Vorderabschnittsuntersuchung ein ruhiges, reizfreies Auge mit vereinzelten, zumeist peripheren subepithelialen Hornhautnarben. Im CCM konnte keine zystenähnliche Struktur dargestellt werden, weshalb die Therapie beendet werden konnte (Abb. 2, Monat 9).

Fall 3

Ein 15-jähriger, männlicher OK-Linsen-Träger (Anpassung vor ca. 2 Jahren) wurde vom Augenfacharzt an die Ambulanz für Hornhauterkrankungen bei therapieresistenter Herpeskeratitis (Therapie mit Famciclovir, 500 mg, 3‑mal, Aciclovir-AS, 3‑mal, Gentamicin-Agtt, 4‑mal) zugewiesen. Bei unauffälligem ophthalmologischen Befund am linken Auge zeigte sich rechts ein bestkorrigierter Snellen-6-m-Visus von 0,7, bei deutlichem Lidödem und ziliärer Injektion sowie einem irregulären Hornhautepithel und perineuraler Infiltration in mehreren perilimbalen Bereichen. Es wurde eine CCM-Untersuchung durchgeführt, welche den Verdacht auf eine AK bei Vorliegen multipler Trophozoiten und Zysten bestätigte (Abb. 3, vor Behandlungsbeginn, Baseline). Somit wurden ein Korneaabradat und -abstriche für eine Herpes‑/Bakterien- und Pilz- und AK-PCR sowie eine Bakterien- und Pilz‑/AK-Kultur durchgeführt und eine adaptierte Therapie eingeleitet: Chlorhexidin-Agtt hochdosiert auf 0,06 % halbstündlich, Propamidin-Isethionat, 0,1 %ige Agtt, halbstündlich, Voriconazol, 1 %ige Agtt, 6‑mal, und Bacitracin/Zink/Neomycin-AS, 4‑mal.
Eine Woche nach Therapiebeginn war die Akanthamöben-PCR positiv und das „schmutzige“ Epithel in der Biomikroskopie rückläufig, jedoch bei weiterhin stark ausgeprägter, zirkulärer Perineuritis. Die Therapie wurde daher im selben Schema beibehalten.
Zwei Wochen nach Therapiebeginn, nun auch die Akanthamöbenkultur positiv, konnte die Biguanid-Diamidin-Kombination auf ein stündliches Tropfschema bei Besserung der subjektiven Schmerzsymptomatik, jedoch weiterbestehender Perineuritis, reduziert werden.
Ein Monat nach Therapiebeginn berichtete der Patient eine weitere, deutliche Besserung der Symptomatik. Im klinischen Befund fand man reguläres Epithel, jedoch weiterhin eine deutliche perineurale Infiltration und Immunreaktion der inferioren Hornhaut mit oberflächlichen kornealen Neovaskularisationen. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Voriconazoltherapie, 1 %ige Agtt, auf 3‑mal täglich, die Biguanid-Diamidin-Kombination auf 6‑mal reduziert und die antibakterielle Therapie beendet.
Zwei Monate nach Therapiebeginn erreichte der Patient bereits wieder einen bestkorrigiertem Snellen-6-m-Visus von 1,0. Es zeigte sich ein ruhiger, reizfreier Vorderabschnittsbefund mit abgeblassten perineuralen Narben und regredienten Neovaskularisationen. Im CCM waren nur mehr vereinzelt Zysten zu sehen (Abb. 3, Monat 2). Chlorhexidin, 0,06 %ige Agtt, wurde auf 4‑mal reduziert, Propamidin-Isethionat, 0,1 %ige Agtt, und Voriconazol, 1 %ige Agtt, beendet.
Fünf Monate nach Therapiebeginn konnten keine Neovaskularisationen mehr dargestellt werden. Der Befund war ruhig, mit diffusen Narben. Konfokalmikroskopisch fand man keine Hinweise auf amöboide Strukturen. (Abb. 3, Monat 5). Der Patient war beschwerdefrei und der bestkorrigierte Snellen-6-m-Visus bei 1,25. Die Frequenz von Chlorhexidin, 0,06%ige Agtt, wurde auf 3‑mal reduziert mit dem Ziel, diese Therapie noch für 2 bis 3 Monate fortzuführen.

Fall 4

Der letzte Fall beschreibt eine rezente Vorstellung einer volljährigen weiblichen Patientin mit OK-Linsen-Gebrauch seit ca. einem Jahr. Die Patientin wurde vor der Vorstellung in der Ambulanz für Hornhauterkrankungen schon über 4 Wochen von verschiedenen Augenärzten mit Verdacht auf eine allergische Keratokonjunktivitis mit einer Kombination aus antibiotischen und kortisonhaltigen Agtt behandelt. Sie beklagte starke Schmerzen und Fotophobie. Die augenärztliche und die allgemeinmedizinische Anamnese waren unauffällig. Bei genauer Befragung berichtete die Patientin, in Spanien Leitungswasser verwendet zu haben, um die Kontaktlinsenbehälter ihrer OK-Linsen auszuwaschen. Es zeigte sich im Spaltlampenbefund an beiden Augen eine starke ziliäre Injektion mit diffusen subepithelialen apikalen Infiltraten, einem rauen Epithel und punktuellen, epithelialen Erosionen. Es wurde bei Verdacht auf AK eine CCM durchgeführt. Es zeigten sich am rechten Auge große Zysten und am linken Auge kleinere perlenschnurartig angeordnete kleinere Zysten (Abb. 4, rechtes und linkes Auge). Bei konfokalmikroskopischem Nachweis einer AK wurde auch hier eine entsprechende Therapie eingeleitet: Chlorhexidin-Agtt hochdosiert auf 0,06 % halbstündlich, Propamidin-Isethionat, 0,1 %ige Agtt, halbstündlich, Voriconazol, 1 %ige Agtt, 6‑mal, und Bacitracin/Zink/Neomycin-AS, 4‑mal. Ein Korneaabradat und -abstriche für eine Herpes‑/Bakterien- und Pilz- und AK-PCR sowie eine Bakterien- und Pilz‑/AK-Kultur wurden am linken Auge durchgeführt, ein Abradat rechts wurde von der Patientin abgelehnt. Das PCR-Ergebnis links fiel negativ aus, ein finales Kulturergebnis wird noch erwartet, die Patientin wird engmaschig kontrolliert.

Diskussion

Diese Fallserie fasst den klinischen Verlauf jugendlicher orthokeratologielinsenassoziierter Akanthamöbenkeratitiden zusammen, welche über einen Zeitraum von knapp einem Jahr in einem Tertiärzentrum vorstellig wurden. Passend zu einer rezent veröffentlichten Übersichtsarbeit waren 3 von 4 PatientInnen bei Diagnosestellung minderjährig sowie alle PatientInnen bereits länger als 12 Monate in Behandlung mit OK-Linsen und galten somit „erfahren“ in deren Handhabung [5].
Ähnliche Fallberichte von AK bei Jugendlichen mit OK-Linsen werden in der Literatur beschrieben [611]. Ein Bericht stellt die Akanthamöben als kausales Pathogen in der Hälfte aller OK-assoziierten Keratitiden in Taiwan dar [12].
Die Infektion mit Akanthamöben erfolgt meist durch mit parasitenkontaminierte Kontaktlinsenbehälter/-pflegemittel bzw. in weiterer Folge Kontaktlinsen, selten direkt durch kontaminiertes Wasser. Bei letzterem Infektionsweg wird kontaminiertes Wasser verwendet, um prädisponierte Augen mit Mikroläsionen der Hornhaut zu spülen, wodurch den Akanthamöben ein direkter Pfad zur Einnistung in der Hornhaut ermöglicht wird.
Das Design der OK-Linsen erfüllt zweierlei Zwecke: Zum einen wird durch den abflachenden Effekt auf die korneale Kurvatur durch das nächtliche Tragen der Linse eine gute unkorrigierte Sehschärfe tagsüber erreicht, andererseits wird die Augenlängenzunahme durch die Induktion eines peripheren myopen Defokus gebremst [13, 14]. Zwar ermöglicht die OK-Linse als formstabile, reverse Geometrielinse eine hohe Sauerstoffdurchlässigkeit, jedoch können durch die mechanische Belastung des Epithels oberflächliche Mikrotraumen entstehen, welche das Risiko für Hornhautinfektionen und -ulzerationen erhöhen [15]. Zudem kommt es während des Schlafs bei geschlossenen Lidern zu einer relativen kornealen Hypoxie, wodurch diffuse mikrozystische, epitheliale Veränderungen und ein subklinisches Hornhautödem entstehen können. Kommt dem das nächtliche Tragen von OK-Linsen hinzu, so wird dieser Sauerstoffmangel verstärkt, was zu epithelialer Apoptose und Desquamation mit dem Risiko für Hornhauterosionen und demzufolge mikrobiellen Infektionen führen kann [16, 17].
Bei Verdacht auf eine AK sollten ein Korneaabradat bzw. -abstrich und, falls vorhanden, die Einsendung von Kontaktlinsen nebst Behälter zur Kultivierung erfolgen. Die Kultur auf E.-coli-beschichteten, nährstofffreien Agarplatten galt bislang als Goldstandard für die Diagnose der AK [18]. Über die letzten Jahre hat sich jedoch auch die PCR als schnelles, weniger aufwendiges Verfahren als hilfreich erwiesen, welches rasch ein Befundergebnis liefert, jedoch keinem Aufschluss über die Vitalität des Erregers bietet, was z. B. bei der Therapiekontrolle zu berücksichtigen ist [19]. Wie man im Fall 4 der Arbeit sieht, können jedoch auch PCR-Ergebnisse falsch-negativ sein, wenn z. B. Zysten in tiefer liegenden Hornhautschichten wie der Bowman-Membran oder dem anterioren Stroma liegen und das Abradat nur oberflächlich durchgeführt wurde, oder wenn Epithelbereiche ohne Parasitenbefall abgetragen werden.
Insbesondere in solchen Fällen und zur noch schnelleren, „In-vivo“- und „Echtzeit“-Analyse von Verdachtsfällen eignet sich die CCM. Dieses mikroskopische Verfahren erlaubt eine nichtinvasive Untersuchung der einzelnen Zellen der Hornhaut mit einer transversalen Auflösung bis zu 1 μm in den verschiedenen Schichten des Epithels, der Bowman-Membran, des subepithelialen Nervenplexus, des Stromas und Endothels vom Zentrum der Hornhaut bis zum Limbus. Akanthamöbenspezifische Trophozoiten in frühen Stadien und Zysten in späteren, welche sich als hyperreflektive, runde, siegelringförmige oder doppelwandige Strukturen oft in perlenschnurförmigen Anordnungen zeigen, können mittels CCM dargestellt werden. Die Untersuchungsmodalität dient außerdem der Kontrolle des Krankheitsverlaufs und des Therapieansprechens, ist jedoch stark untersucherabhängig [20].
Die diagnostische Sensitivität der CCM, PCR und Kultur wurden zuletzt mit 100 % (95 %-Konfidenzintervall, 95 %-KI, 63,1–100 %), 71,4 % (95 %-KI 41,9–91,6 %) und 33,3 % (95 %-KI 9,9–65,1 %) angegeben. Alle 3 Methoden zeigten eine Spezifität von 100 % und einen positiven Vorhersagewert von 100 % [21].
Für die Therapie der AK gelten bisher keine spezifischen Therapiepläne als etabliert. Alle empirischen Therapieprotokolle basieren auf klinischen Beobachtungen und Publikationen.
Aufgrund ihrer effektiven zystiziden Wirkung und guten Verträglichkeit wird als Eingangsmedikation Polyhexamethylenbiguanid (PHMB, auch Polihexanid; 0,02 %ig) oder Chlorhexidin (0,02 %ig) verschrieben. Sie können als Monotherapie oder auch als Kombinationstherapie, meist zunächst mit einem Diamidinderivat wie Propamidin-Isethionat (0,1 %ig) verwendet werden, wobei hier bei längerer Therapie eine erhöhte Oberflächentoxizität beobachtet werden kann. Obwohl es keinen klaren Hinweis auf die Überlegenheit einer dualen gegenüber der Monotherapie gibt, wird oft die duale Therapie aufgrund der synergistischen Effekte im Hinblick auf eine effiziente Zysteneradikation bevorzugt [22]. Dabei sind Anwendungen von PHMB zwischen 0,02 und 0,06 % und von Chlorhexidin zwischen 0,02 und 0,2 % möglich [23]. In Österreich sind meist magistrale Zubereitungen von Chlorhexidin in 0,02 %iger Konzentration gebräuchlich. Wir können in dieser Fallserie aber auch eine sehr gute und rasche Infektionskontrolle bei guter subjektiver Verträglichkeit von Chlorhexidin mit einer Konzentration von 0,06 % berichten. In den ersten 48 h sollten die Tropfen häufig (halbstündlich) als „Überraschungsangriff“ zur Überwindung der Pumpsysteme der Parasiten appliziert werden. Auch eine therapeutische Abrasion zur verbesserten Penetration der Medikation wird empfohlen.
Außerdem ist bekannt, dass Akanthamöben mit einer Vielzahl an Bakterien und Pilzen in Endosymbiose leben können und diese neben einer Nahrungsquelle für die Akanthamöben auch ihr eigenständiges Pathogenitätspotenzial vorweisen [24]. Daher wird die Supplementierung der oben dargestellten Therapie, v. a. in den frühen Therapiestufen, mittels eines Antibiotikums, meist eines Neomycinpräparats, aufgrund seiner In-vitro-Antitrophozoiten-Aktivität empfohlen. Hier ist aber wiederum ein epitheliotoxischer Nebeneffekt möglich, weshalb regelmäßige Therapiekontrollen und ein baldiges Ausschleichen des Medikaments anzuraten sind. Als antifungale Therapie wird meist ein Azol der neueren Generation (z. B. Voriconazol, auch systemische Gabe möglich) angewandt, da zystizide Wirkspiegel in vitro gezeigt werden konnten [25].
Die topische Therapie sollte für mindestens 9 Monate fortgeführt werden und betroffene PatientInnen nach dem Absetzen der Therapie weiterhin regelmäßig kontrolliert werden, da bereits eine einzelne Zyste zu einem Wiederaufflammen der Infektion führen kann. Außerdem ist, wie es auch aus den ersten beiden Fällen unserer Arbeit hervorgeht zu beachten, dass insbesondere PatientInnen mit einer vorangegangener Kortisontherapie, resistente Verläufe zeigen können und daher oft einer besonders intensiven Therapie bedürfen.
In schweren, therapieresistenten Fällen stehen chirurgische Verfahren wie die korneale Kryotherapie, das „photoactivated chromophore for infectious keratitis cross-linking“ (PACK-CXL) und die penetrierende Keratoplastik (PKP) zur Verfügung [26, 27]. Letztere galt bis zur Einführung der Biguanide und Diamidine als First-Line-Therapie der AK, kommt aber heute generell nur in Fällen einer fulminanten Infektion mit Einschmelzung und Ulzeration zum Einsatz. Die topische Antiamöbentherapie sollte bis zu einem Jahr nach einer therapeutischen PKP fortgeführt werden.

Schlussfolgerungen

Zusammenfassend ist zu betonen, dass neben asiatischen Ländern, die Akanthamöbeninfektion im Zusammenhang mit der OK auch in Europa eine zunehmende Gefahr darstellt, und daher erhöhter Aufmerksamkeit bedarf. Eine dementsprechende Aufklärung der PatientInnen und Eltern ist zwingend erforderlich. Diese Fallserie zeigt den unverzichtbaren Wert einer frühen Diagnosestellung der Akanthamöbenkeratitis im Hinblick auf einen vorteilhaften Therapieverlauf. Eine ordentliche und ausführliche Schulung der PatientInnen in der Handhabung und Pflege ihrer Orthokeratologielinsen sowie der Hinweis auf eine niedrigschwellige Vorstellung beim Ophthalmologen, sollten Symptome eine Infektion auftreten, sind unentbehrlich. In Fällen eines klinisch-fundierten Verdachts auf eine Akanthamöbenkeratitis empfehlen wir, auch bei noch ausständiger Bestätigung der Diagnose, das Einleiten einer adäquaten Therapie.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

J. Aschauer, M. Klimek, R. Donner, J. Lammer, P. Roberts und G. Schmidinger geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Ethische Standards

Einwilligung zur Publikation dieser Fallserie wurde von den PatientInnen und Erziehungsberechtigten eingeholt.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Titel
Akanthamöbenkeratitiden in Jugendlichen mit Orthokeratologielinsen
verfasst von
Julia Aschauer
Michal Klimek
Ruth Donner
Jan Lammer
Philipp Roberts
Gerald Schmidinger
Publikationsdatum
07.02.2023
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
Spektrum der Augenheilkunde / Ausgabe 4/2023
Print ISSN: 0930-4282
Elektronische ISSN: 1613-7523
DOI
https://doi.org/10.1007/s00717-023-00536-1

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