08.05.2018 | Perspektiven
Ärztliches Handeln in der Defensive der Verrechtlichung
Eine medizinphilosophische Betrachtung
Erschienen in: Wiener klinisches Magazin | Ausgabe 3/2018
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Die Folge von Effizienzdiktat und Zunahme von Vorschriften und Pflichten in den letzten Jahren ist eine Änderung des ärztlichen Berufsbildes: Die stetige Ökonomisierung und Verrechtlichung ließ die ärztliche Praxis von einer Kultur des Heilens zu einer Dienstleistung mutieren. Angeboten werden immer mehr möglichst vollständig rechtlich abgesicherte, auf wissenschaftlichen Grundlagen basierende Behandlungspakete. Die Wissenschaft etabliert Grundlagen, wobei publiziertes Wissen prinzipiell unbeschränkt, das einzelmenschliche jedoch stark beschränkt ist. Dies fußt auf der Illusion des zur wissenschaftlichen Erkenntnis fähigen Einzelmenschen. Ärztliches Handeln muss jedoch rechtlich nach den Grundsätzen der medizinischen Wissenschaft und den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgen. Logische Konsequenz: Ein Facharzt mit durchschnittlichen Fähigkeiten kann diesen wissenschaftsorientierten Standard nicht vollständig einhalten. Ebenso wenig kann er aufklärungspflichtgemäß „Risiken und deren Eintritt“ vorhersehen – organisches Leben entzieht sich der Kausalität. In der Klagemedizin gibt es systembedingt zahlreiche Profiteure, was insgesamt die Befürchtung zulässt, dass sich eine Defensivmedizin, die dem formalen Recht gegenüber dem Patientenwohl den Vorrang gibt, implementieren könnte.
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