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30.10.2024 | Ärztekammer

Umsteigen auf Prävention

verfasst von: Von Josef Broukal

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200 Expert:innen lassen die Köpfe rauchen. Heraus kommt: sehr viel. Eine neue Diagnosecodierung von Allgemeinmedizinern für Allgemeinmediziner, und ein Bekenntnis zur Vorsorgemedizin.

Bad Hofgastein, wenige Tage vor dem Nationalfeiertag. Versammelt: Alles, was in Österreich in Sachen Gesundheitspolitik Rang und Namen hat. Die Themen: Digitalisierung – auf Neudeutsch auch E-Health genannt – und Prävention. Präsentiert werden Zahlen, die Unheil verkünden. Immer mehr immer ältere Menschen in unserem Land plus eine immer besser (aber auch teurere) Medizin sorgen für immer höhere Kosten. Wie lange werden wir uns das noch leisten können? Oder, schrecklicher Gedanke, leisten wollen? Beim Austrian Health Forum im Gasteinertal (vom 24. bis 25. Oktober 2024) wurde nach Antworten gesucht. Über allem schwebte das Motto: „Digital vor ambulant vor stationär“. Beim Thema E-Health war man schnell einig: Schon in einem Jahr werden wir wissen, welche Krankheiten Österreichs niedergelassene Ärztinnen diagnostizieren und behandeln. Diagnosekodierung heißt das Zauberwort – und es sieht so aus, dass dafür ein taugliches System gewählt wird ( SNOMED-CT; s. S. 24 ). Dank EU werden die gefundenen Daten der Wissenschaft zur Verfügung stehen. Auch beim Thema Patientenlenkung gibt es Fortschritt zu vermelden. Wien etwa plant einen gewaltigen Ausbau von 1450. Das allein wird nicht reichen, um Kosten zu senken und so den lebenslangen Zugang zu Spitzenmedizin zu erhalten (was alle Parteien schwören). Prävention soll verhindern, dass Menschen überhaupt krank werden – oder erst später – siehe die blamablen 59 gesunden Lebensjahre im Land). In Bad Hofgastein zerbrachen sich sechs Fachpersonen darüber auf offener Bühne den Kopf, unter dem Titel „Vorsorgen ist besser als heilen und heulen“. (Da war es wieder, das Gespenst der Unterfinanzierung.) Drei von ihnen holen wir vor den Vorhang. Die anderen hätten es auch verdient.

Nicht-ärztliche Berufe werden nicht eingebunden

„Ich denke schon, dass wir in der Gesundheitsversorgung viele Defizite haben. Die kurative Medizin ist vorherrschend. Weit schlechter sind wir aufgestellt bei der Prävention und bei der Betreuung von chronischen Erkrankungen.

Zum Beispiel: Es fehlen Disease-Management-Programme. Und wo es sie gibt, nehmen nur wenige Menschen teil. Wir haben 800.000 Menschen, die an Diabetes erkrankt sind. Und am Disease-Management-Programm nehmen laut Rechnungshofbericht bloß 100.000 Personen teil. Warum ist das so? Dazu sagt der Rechnungshofbericht, es fehlt insbesondere im niedergelassenen Bereich an der Einbeziehung der nicht-ärztlichen Gesundheitsberufe. Also wir haben ein sehr gutes, aber doch arztzentriertes System. Und die anderen Gesundheitsberufe spielen bei uns im niedergelassenen Bereich keine systematische Rolle. Die Leistungen der nichtärztlichen Gesundheitsberufe, der Pflegeberufe, der Diätologinnen etc. sind über die Krankenversicherung nicht ersetzbar. Aus dem Grund gibt es eben eine, wenn man so will, multidisziplinäre Versorgung im niedergelassenen Bereich nur für diejenigen, die es sich leisten können.

Aus diesem Grund ist einer der zentralen Wünsche und Forderungen der AK an die nächste Bundesregierung eine Strukturveränderung im niedergelassenen Bereich vor dem Hintergrund der steigenden, auch demografischen Herausforderung. Der Bevölkerungsanteil der 65-Jährigen wird bis 2030 von 19 auf 26 Prozentpunkte steigen. Das sind eine Million mehr ältere Personen als heute. Und die älteren Personen sind besonders betreuungsintensiv.

Die AK hat im Rahmen einer Diabetes-Studie erhoben, wie viele Personen in welchen Gesundheitsberufen es bräuchte, wenn man bis 2030 eine flächendeckende Versorgung im Rahmen eines Disease-Management-Programmes für Diabetes herstellen will. Die Antwort ist: 2500. 2.500 Menschen in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen – diplomierte Pflege, Diätologinnen etc. Aber woher nehmen wir diese Leute? Wir müssen sie vorher ausbilden, müssen entsprechende Ausbildungseinrichtungen schaffen, um diese Zahl überhaupt zu bewältigen.

Und das erfordert eine umsichtige, gezielte, bedarfsorientierte Planung. Und dafür werben wir sehr.“

Mag. Wolfgang Panhölzl, AK Wien, Gesundheitsberuferecht und Pflegepolitik

Leute sollen sich nur fragen: Wann ist mein Impftermin?

„Bei den Impfungen liegen wir im Europavergleich schlecht. Selbst, wenn wir Gratis-Impfprogramme aufsetzen, schaffen wir nicht mehr als 13, 14 Prozent. Deutschland hat 43 Prozent, Italien liegt über 50 Prozent, Frankreich liegt um die 50 Prozent. Also ich meine, wir haben da schon wirklich Benchmarks, an denen wir uns orientieren können.

Und dann nehme ich eine andere Impfung her, die hat etwas mit einem kleinen schwarzen, krabbelnden Tier zu tun. Das ist die FSME-Impfung, die Zecken-Impfung. Und da haben wir 85 Prozent Durchimpfung. Und damit sind wir Europameister, und das nicht einmal mehr knapp. Und jetzt müsste man sich die Frage stellen, warum ist das so? Hat das etwas damit zu tun, dass Deutschland, jetzt auf die Influenza bezogen, sein Impfsystem besser verwaltet? Oder dass dort die Allgemeine Ortskrankenkasse einfach mehr Kraft aufwendet, um die Versicherten zum Impfen zu bewegen?

Ich glaube, wir beschäftigen uns viel zu oft damit, eine Frage hin und her zu schieben: Wer ist zuständig? Wer muss das jetzt machen? Dann schreiben wir noch eine Verordnung und ein Gesetz. Aber am Beispiel der Zecken-Impfung sehen wir: Es liegt nicht daran, dass wir diese Impfung besser verwalten. Es liegt daran, dass diese Impfung viel besser in den Köpfen der Menschen ankommt. Weil es einfach in der österreichischen Bevölkerung von Kindesbeinen an vollkommen kl

ar ist, dass man eine FSME-Impfung hat. Und man stellt sich überhaupt nicht mehr die Frage, ob die gut oder schlecht oder gescheit ist. Man stellt sich nicht mehr die Frage, ob ja oder nein. Man stellt sich ausschließlich die Frage, wann ist die nächste Impfung fällig?

Und genau dort müssen wir bei den anderen Impfungen auch hinkommen. Dass die Bevölkerung das einfach in sich trägt, die Überzeugung, dass Impfen gescheit ist, und dass die Menschen nicht mehr die Ja-Nein-Frage und die Sinnfrage stellen, sondern einfach: Wann ist für mich der nächste Impftermin?

Und ob wir das besser hinbekommen, wenn wir klar definiert haben, welches Verwaltungsorgan hier zuständig ist? Ich glaube nicht, dass das wirklich die Gretchenfrage ist. Aber wenn es so sein soll, dann werden wir uns dieser Sache natürlich annehmen.“

Dr. Michael Müller, SVS, Direktor Geschäftsbereich Leistung & Prävention

Was uns fehlt, ist eine gescheite Patientenlenkung

„Es ist ungefähr ein Jahr her, da wurde uns die Problematik von Umfragen über die ,gesunden Lebensjahre’ dargestellt. Deutschland war dort viele Jahre genauso schlecht wie wir. Und dann haben die Deutschen eine Frage geändert, sie einfach ein wenig anders aus dem englischen Original übersetzt – und siehe da, Deutschland ist jetzt in Europa in Sachen ,gesunde Lebensjahre die Nummer drei. Vielleicht müssten auch wir die englischen Texte der Fragen ein wenig anders übersetzen. Ich glaube einfach nicht, dass wir so krank sind, wie diese europaweite Umfrage es uns darlegt.

Und viel mehr fällt mir zu der Thematik Prävention nicht ein. Wir sind alle erwachsen – mit Ausnahme der Kinder und der dementen Alten. Wir sind mündig und sollten daher selbst in der Lage sein, das zu tun, was für uns sinnvoll ist. Wir haben eine hervorragende Reparaturmedizin – und es ist ja mittlerweile auch so, dass jeder meint, wenn irgendwas kaputt ist, dann wird es einfach wieder hergerichtet.

Das funktioniert bei den Extremitäten relativ gut. Wenn ich dann einmal meine Leber verbraucht habe und eine neue will, dann wird es schon ein bisschen problematischer. Und hier das Bewusstsein in die Bevölkerung zu bringen, wird unsere gemeinsame Aufgabe sein.

Wir haben ein gutes Gesundheitssystem. Die Eigenverantwortung werden wir den Leuten nicht nehmen können. Aber was wir ihnen, glaube ich, geben sollten, sind ein paar Richtlinien, wie sie sich im Gesundheitssystem benehmen müssen.

Weil: Zurzeit macht jeder im Gesundheitssystem, was er will. Er geht als erstes gleich einmal in eine Universitätsklinik, weil dort ist der Spezialist. Und wir haben dort eine gute, abgestimmte Versorgung. Was uns aber fehlt, ist eine gescheite Patientenlenkung. Die telefonische Gesundheitsberatung 1450 funktioniert, aber sie könnte besser funktionieren.

Die Prävention werden wir in die Leute nicht hineinprügeln. Aber Patientenlenkung – dazu können wir sie erziehen. Möglicherweise muss man sie strenger erziehen, als es einem lieb ist. Man braucht auch bei Kindern unterschiedliche Erziehungsmaßnahmen, je nachdem, wie einsichtig sie sind. Und ich fürchte, es ist leider Gottes in der Gesundheit nicht anders.“

Dr. Harald Mayer, Kurienobmann Angestellte Ärzte in der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK)

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Metadaten
Titel
Umsteigen auf Prävention
Publikationsdatum
30.10.2024