Der oberste Arzt des Landes hat mit seinem Team ein ganzes Arbeitsprogramm für den künftigen Ressortchef am Stubenring vorgelegt. Ziel: die Rettung und der Ausbau des solidarischen Gesundheitswesens.
Alois Stöger (2008 und 2017), Sabine Oberhauser (2014), Pamela Rendi-Wagner (2017; alle SPÖ), Beate Hartinger-Klein (2017; FPÖ), Walter Pöltner und Brigitte Zarfl (2019; unabhängig), Rudolf Anschober (2020), Wolfgang Mückstein (2021) und Johannes Rauch (seit 2022; alle Die Grünen) – die Gesundheitsministerinnen und -minister der vergangenen zwei Jahrzehnte waren Beamte, Mediziner und Berufspolitiker. Und nach der Nationalratswahl? Ärztekammer-Präsident Johannes Steinhart wünscht sich einen Hausherrn am Stubenring, der „ein Gefühl fürs System“ mitbringt, „ein Gefühl auch für Medizin“. Mit seinem künftigen Gegenüber möchte er weniger über Einsparungen reden als in den vergangenen 15 Jahren, sondern mehr darüber, wie „wir das Gesundheitssystem besser und stärker machen. Das würde ich mir wünschen.“
In weniger als einem Monat werden bei der Nationalratswahl die Weichen für die kommenden Jahre gestellt. Die aktuellen Baustellen im Gesundheitssystem sind groß, sagt Steinhart, „sowohl im niedergelassenen Bereich als auch in den Spitälern muss dringend gehandelt werden, um den derzeitigen Abwärtstrend zu stoppen“.
Ganz oben auf der politischen Agenda steht Gesundheit freilich nicht. So war bei den bisherigen ORF-Sommergesprächen Gesundheit auffallend unauffällig, ein in wenigen Minuten abgehandeltes Randthema. Ausführlicher antworten die Gesundheitssprecher der politischen Parteien in der Spezialausgabe der Österreichischen Ärztezeitung zur Nationalratswahl – und in der kommenden Wahlberichterstattung der Ärzte Woche , die von Ex-ZiB-Anchorman Josef Broukal betreut wird.
Wir blockieren die Versorgung anstatt die Arbeitsbedingungen flexibler zu gestalten
„Derzeit wird sehr viel über Finanzierung gesprochen, schlussendlich kommt das Geld aber nicht dort an, wo es für die Verbesserung des Gesundheitssystems sinnvoll und hilfreich wäre. Zunächst einmal: Es ergibt keinen Sinn, wenn wir seitens der Politik immer wieder hören, dass Verbote und Zwangsmaßnahmen eingeführt werden und Leistungen an teils dafür nicht qualifizierte Berufsgruppen ausgelagert werden. Da macht es sich die Politik zu leicht. Man kann sehr viel ändern, aber es braucht dazu einen Konsens aller Experten der Gesundheitsberufe.
Das wird ein harter und anstrengender Weg, all die Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre rückgängig zu machen und unser gutes, aber verbesserungswürdiges Gesundheitssystem wieder auf Erfolgskurs zu bringen.
Das Ganze wird nur funktionieren – und daran wird auch der zukünftige Gesundheitsminister gemessen werden –, wenn wir lösungsorientiert zusammenarbeiten. Es ist sinnlos, Sonntagsreden und leere Worthülsen über zusätzliche Kassenstellen zu verbreiten, oder dass 270 PVE geschaffen werden – damit wird das Problem nicht gelöst. Denn wir brauchen die Leute, die diese Kassenstellen besetzen. Dazu müssen wir das Gesundheitssystem so attraktiv gestalten, dass Ärztinnen und Ärzte gerne darin arbeiten wollen – sowohl in der Kassenmedizin als auch im Spital.
Was für uns so erstaunlich ist. Nach Abschluss der 15a-Verhandlungen hat es geheißen: Für den niedergelassenen Bereich werden 300 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Bis heute haben wir nichts davon gesehen. Wir haben mehr als 300 Kassenstellen, die nicht besetzt sind. Wir müssen endlich diese offenen Stellen besetzen. 300 ist die Mindestzahl. Dann verkürzen sich auch die Wartezeiten automatisch. Was sind nun unsere Vorstellungen dazu?
Die Flexibilisierung der Kassenstellen ist das erste Schlagwort. Wir müssen uns davon verabschieden, dass wir in unseren Honorarverträgen, bundeslandabhängig, drinnen stehen haben, dass man 22 Stunden Ordination halten muss und davon zwei Ordinationen am Nachmittag sein müssen. Denn eine Ärztin, die zwei Kinder hat und gerne in einer künftigen Kassenordination arbeiten würde, kann womöglich am Nachmittag nicht, weil sie auf ihre Kinder schauen muss. Damit blockieren wir die Versorgung, weil diese Kassenstelle unbesetzt bleibt. Das müssen wir abstellen, das ist nicht lebensnah.
Zweitens: Was macht es für einen Sinn, dass ich heute noch für bestimmte Blutdruckmedikamente, die 10, 15 oder 20 Euro kosten, eine Bewilligung vom Kontrollarzt in der Krankenkasse brauche? Das ist Zeit- und Büroaufwand, das versteht niemand. Das sind sinnlose bürokratische Tätigkeiten.
Wir brauchen im niedergelassenen Bereich eine breite Palette ärztlicher Angebote. Ich kann nicht nachvollziehen, warum ausgerechnet Primärversorgungszentren die Allheilmittel sein sollen. Welches große Zentrum siedelt sich in einem Dorf am Ende eines Tals an? Neben Einzelordinationen sollten Gruppenpraxen, Karenz-/Teilzeitmodelle, Jobsharing, Primärversorgungseinheiten und -netzwerke nebeneinander bestehen. Es ist wünschenswert, dass auch Einzel- und Gruppenpraxen – ebenso wie die PVE (Primärversorgungseinheiten, Anm. ) zusätzliches nicht-ärztliches Personal – Physiotherapeuten, Psychologen, Sozialarbeiter oder diplomiertes Gesundheits- und Krankenpflegepersonal – finanziert bekommen. Derzeit muss das der Arzt aus dem eigenen Sack zahlen. So ein PVE light wäre ein wichtiger Schritt.
Dr. Edgar Wutscher, Vizepräsident der ÖÄK, Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte
Es wird leider immer schwieriger, leitende Ärzte für Abteilungen zu finden
„Wir haben ein Problem bei den leitenden Ärzten, in Österreich auch als Primarärzte bekannt. Es wird immer schwieriger, diese Stellen zu besetzen. Wir haben in Österreich um die 265 Krankenanstalten, von kleinen Krankenhäusern bis hin zu Riesenkliniken wie dem AKH Wien. Die einzelnen Abteilungen werden immer von leitenden Ärzten geführt. Das können 4 oder 5 Abteilungen sein, das kann aber auch eine zweistellige Zahl von Abteilungen sein. Diese leitenden Ärzte haben die medizinische Verantwortung für ihre Tätigkeit. Sie haben aber nicht nur die Verantwortung für ihre Patienten, sondern natürlich auch für ihre Mitarbeiter – Ärzte, Pflegepersonal, administratives Personal.
Das Problem ist, dass der Handlungsspielraum der Kollegen sehr stark eingeschränkt ist bzw. nie entwickelt wurde. Das ist seit Jahrzehnten gleich geblieben. Es gibt keine Personalhoheit für diese Kollegen, es gibt keine Finanzhoheit. Damit sind wir in einem ähnlichen Problemfeld wie bei den niedergelassenen Praxen. Das führt nämlich dazu, dass man Vorgaben zu erfüllen hat, aber nicht das nötige Werkzeug dazu in die Hand bekommt.
Was dann passiert, das publizieren die Medien in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder, leider: Dass nämlich so und so viele Betten geschlossen werden; dass Patienten auf Operationen warten müssen; dass Operationen verschoben werden. Der Grund dafür ist immer wieder der Personalmangel.
Es ist eigentlich ganz einfach. Ein Primararzt hat zwei Aufgaben: Er muss schauen, dass es seinen Patienten gut geht und er muss schauen, dass es seinen Mitarbeitern gut geht. Wenn es den Mitarbeitern nicht mehr gut gehen kann, weil die Arbeitsbedingungen nicht mehr passen, dann werden sie das Spital verlassen und eine Wahlarztpraxis eröffnen. Das machen sie nicht deshalb, wie es oft berichtet wird, damit sie mehr Geld verdienen – es stimmt zwar, dass sie besser verdienen, aber das ist in vielen Fällen nicht der Grund. Der Grund ist, dass sie als Wahlärzte Zeit haben, sich mit ihren Patienten auseinandersetzen zu können und ihre medizinische Tätigkeit gut ausüben können. Deshalb wird es auch immer schwieriger, Primarärzte zu finden.
Medizin kostet immer mehr Geld. Wir werden zwar auch mehr Geld brauchen, aber mit Geld allein werden wir es nicht schaffen. Wir werden auch mehr Wissen in unsere Strukturen stecken müssen. Stellen Sie sich vor, ein Primariat kann ein mittelständisches Unternehmen sein, sie können 2-3 Mitarbeiter haben, sie können genauso gut 170 Ärzte haben und dementsprechend administratives Personal, sie haben aber weder Finanz- noch Personalhoheit.
Wir haben medizinischen Fortschritt, den mit den bestehenden Mitteln an den Patienten zu bringen schwierig genug ist. Wir haben zunehmend Aufgaben der Dokumentation, die über uns hereinbrechen. Vor wenigen Wochen ist eine Publikation im Deutschen Ärzteblatt erschienen, dass Ärzte in der Bundesrepublik bis zu 30 Prozent ihrer Zeit mit Dokumentationsaufgaben zubringen. Das ist verlorene Zeit am Patienten und nicht mehr zeitgemäß. Österreich und Deutschland haben vielleicht den Nachteil, dass wir zwar früh mit der Digitalisierung begonnen haben, aber auf die digitale Architektur vergessen haben. Daher hängt uns etwa die Türkei deutlich ab. Was zählt, ist nicht, wie viel Geld man in die Digitalisierung steckt, sondern wie intelligent man’s macht.
Dr. Rudolf Knapp, stv. Obmann der Bundeskurie angestellte Ärzte (Primar am Bezirkskrankenhaus Kufstein)