Physikalische Medizin, Rehabilitationsmedizin, Kurortmedizin 2001; 11(6): 231-232
DOI: 10.1055/s-2001-19075
KOMMENTAR DGPMR
Kommentar DGPMR
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die Perspektive der Rehabilitationsmedizin zur ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit)

Application of the International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) in Clinical PracticeG. Stucki, A. Cieza, T. Ewert
  • Klinik für Physikalische Medizin und Rehabilitation der Universität München
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Publication Date:
18 December 2001 (online)

Die Rehabilitationsmedizin ist entsprechend der allgemeinen Entwicklung in der Medizin gefordert, ihre Leistungserbringung zu optimieren. Dazu gehören die Forderungen nach umfassenden Untersuchungen zur Kostenwirksamkeit mit dem Ziel einer zunehmend evidenzbasierten und effektiven klinischen Praxis, einer umfassenden Qualitätssicherung sowie die Erbringung der Leistungen in integrierten Versorgungskonzepten.

Grundvoraussetzung, um diesen Forderungen zu entsprechen, sind allgemein anerkannte, überprüfbare und praktikable Konzepte zur Beschreibung der Patienten und ihrer Gesundheitsprobleme. Bisher werden diese aber nur beschränkt eingesetzt und zudem mit sehr verschiedenen standardisierten Verfahren umgesetzt. So können beispielsweise Ergebnisse von Untersuchungen kaum verglichen werden. Zudem ist der Informationsaustausch zwischen verschiedenen Leistungserbringern, aber auch zwischen den Berufsgruppen erschwert.

Das kürzlich weiterentwickelte ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit-)Modell der WHO [1], welches im Beitrag von Herrn Schuntermann dargestellt wird, wirkt diesem Mangel im Bereich der Rehabilitation entgegen. Es stellt sich jedoch die Frage, wie die ICF für die rehabilitative Medizin nutzbar gemacht werden kann, denn im Gegensatz zu dem ICF-Modell findet die diesem Modell zugrunde liegende ICF-Klassifikation bisher kaum Anwendung.

Das Haupthindernis für die Anwendung der Klassifikation ist der hohe Zeitaufwand für eine Kodierung der Beeinträchtigungen der funktionalen Gesundheit und die Notwendigkeit der Erfassung durch speziell geschultes Personal. Dieser Mangel an Praktikabilität ist darin begründet, dass die ICF-Klassifikation nicht speziell für die Rehabilitation, sondern vielmehr für die Anwendung innerhalb multipler Settings und für sehr unterschiedliche Zwecke entworfen wurde. Demzufolge sind weitere Schritte notwendig, um die Praktikabilität der Klassifikation in der rehabilitativen Praxis zu erhöhen [2]. In einem ersten Schritt geht es darum, krankheitsspezifische ICF-Core-Sets [3] zu entwickeln, die dem Zweck dienen, eine Vereinfachung der ICF-Klassifikation in der klinischen rehabilitativen Praxis zu implementieren und den bisher unklaren Bezug zur komplementären ICD-10 herzustellen.

Ein krankheitsspezifisches Core-Set wird als die Sammlung der für eine bestimmte Gesundheitsstörung bedeutsamen ICF-Domänen bezeichnet. Die krankheitsspezifischen Core-Sets sollen einerseits möglichst wenig Domänen beinhalten, um praktikabel zu sein. Andererseits müssen sie so viele Domänen wie notwendig beinhalten, so dass das prototypische Spektrum an funktionalen Einschränkungen der spezifischen Erkrankungen beinhaltet ist.

Eine wissenschaftlich fundierte Erarbeitung gesundheitsstörungsspezifischer Core-Sets mit hoher Praktikabilität ebnet den Weg für die Integration der ICF-Klassifikation in die tägliche Praxis und schafft so eine Basis für eine evidenzbasierte Rehabilitationsmedizin. Außerdem ermöglicht sie die notwendige Standardisierung für klinische Qualitätsmanagementprogramme, klinisch-epidemiologische Studien, für die Entwicklung von Fallgruppen sowie die vereinfachte Kommunikation zwischen den Leistungserbringern.

In einem weiteren Schritt würde es darum gehen, diese Core-Sets mit „maßgeschneiderten” Assessmentverfahren zu koppeln, damit die relevanten Aspekte der Funktionsfähigkeit sowohl hinsichtlich der Ökonomie als auch gemäß den Testgütekriterien suffizient erhoben werden können.

Im Folgenden möchten wir gerne einen kurzen Einblick in ein Projekt geben, welches sich mit der Umsetzung des ersten Schrittes befasst.

Literatur

  • 1  World Health Organization (WHO). ICF. International Classification of Functioning, Disability and Health. Geneva; World Health Organization 2001
  • 2 Ewert T, Stucki G. ICIDH und Assessment. Aus der Sicht der PM&R: Ergebnisse des ICIDH-Reversion Meetings der WHO in Madrid, November 2000.  Phys Med Rehab Kuror. 2001;  11 35-36
  • 3 Stucki G, Cieza A, Ewert T, Kostanjsek N, Chatterji S, Üstün T B. Application of the International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) in Clinical Practice. Disabil-Rehabil in press

Prof. Dr. Gerold Stucki

Klinik für Physikalische Medizin und Rehabilitation der Universität München

Marchioninistraße 15

81377 München

Email: gerold.stucki@phys.med.uni-muenchen.de

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