Radikale Zystektomie: Wann und wie?

Beim muskelinvasiven Urothelkarzinom ist die radikale Entfernung der Harnblase Therapie der Wahl. Die radikale Zystektomie ist, trotz der geringen Fallzahlen, ein Routineeingriff, der fast in jeder urologischen Klinik durchführt wird. Auch die therapeutische Lymphdissektion hat ihren Stellenwert, am besten innerhalb klarer Resektionsgrenzen. Alternativen zur radikalen Zystektomie sind vorhanden, jedoch verlaufen sie in der Langzeitprognose meist ungünstiger, berichtet Prim. Prof. Dr. Steffen Krause, Abteilung für Urologie am Allgemeinen Krankenhaus Linz. Erstmalig wurde eine offene Zystektomie von Bardenheuer 1887 beschrieben. Das 20. Jahrhundert wurde geprägt von den verschiedenen Harnableitungen: Zystektomie mit Harnleiter-Darm-Implantation (Coffey 1921), die Anlage eines Ileum-conduits (Bricker 1951) und den verschiedenen Arten der kontinenten Harnableitung nach Entwicklung der Neo-Harnblase. Heute steht die radikale Zystektomie wieder im Fokus, sie ist mit einhergehender regionaler Lymphdissektion nach wie vor Goldstandard in der Therapie des muskelinvasiven Harnblasenkarzinoms. Darüber hinaus muss über die Auswahl der OP-Technik und über die Frage, ob radikal oder schonend bzw. blasenerhaltend operiert werden soll, entschieden werden. Das Ausmaß der Lymphdissektion und die Operationsgrenzen sind ebenfalls Gegenstand der Diskussion. Offen vs. minimal-invasiv Erste Daten aus der Österreichischen Zystektomie-Datenbank zeigen, dass die meisten Operationen offen (80 Prozent transperitoneal oder extraperitoneal), 15 Prozent laparaskopisch und vier Prozent Roboter-assistiert durchgeführt werden. Eine rezente Studie (Eur Urol 2013;64:734-41) umfasste 70 Fälle im Follow-up von neun Jahren (medianer Follow-up 30 Monate). Das Ergebnis war ein gleiches onkologisches, funktionelles sowie Komplikations-Outcome bei der Roboter-assistierten radikalen Zystektomie verglichen zur offenen Operation. Jedoch war ein deutlicher Bias zu verzeichnen (T1: 32%, T2: 53%, T3: 4%). Die minimal-invasive OP-Techniken sind sowohl beim Mann, als auch bei der Frau gut durchführbar. Die Fallzahlen sind jedoch gering und valide klinische Daten praktisch nicht vorhanden. Zusätzlich unterliegen die Auswertungen dem Selektionsbias (jüngere Patienten, günstiges Stadium, kaum Begleiterkrankungen). Nach Hautmann (Curr Opin Urol 2009;19:522-6) ist die laparoskopische Zystektomie noch nicht mit der offenen Operation vergleichbar. Auf jeden Fall handelt es sich um einen komplexen Eingriff, dessen Outcome von der Qualität der Operation und des Operateurs (Anzahl der Eingriffe) abhängt. Was passiert bei fortgeschrittenen Tumoren (T3/T4)? „Ob eine Lymphdissektion auch bei fortgeschrittenen Tumoren in einem sinnvollem Ausmaß durchführbar ist, ist kritisch zu hinterfragen, auch weil der onkologische Outcome im Langzeit-Follow-up fehlt“, sagte Krause. Minimal-invasiv Da pro Klinik und Jahr nur etwa 10 bis 20 Zystektomien durchgeführt werden, lässt sich ein Standard schwer festmachen. Soll eine Klinik überhaupt verschiedene OP-Techniken anbieten? „Ein schwieriges Thema, das schwer zu beantworten ist“, so Krause. Am AKH Linz werden zwei Techniken angeboten, die meisten Patienten werden dort mittlerweile minimal-invasiv behandelt. Aufgrund der Lernkurve ist dieser Ansatz möglicherweise die Technik der Zukunft. Andererseits gibt es oft eine Konversion zur offenen Harnableitung, was wiederum Zeit und Geld beansprucht. Bei alten Patienten ist außerdem die Harnleiter-Haut-Fistel ein großes Thema. Nicht nur Staging Die aktuellen Empfehlungen in den Leitlinien stammen aus dem Jahr 1999 (Wallmeroth A et al, Uroll Int. 1999;62(2):69-75): Bei der Autopsiestudie an 367 Patienten mit pT2-T4-Blasenkarzinom wiesen knapp 70 Prozent Metastasen auf, 90 Prozent davon an den Lymphknoten (92 % regional, 72 % retroperitonal und 35 % abdominal). Auf diesen Ergebnissen fußt auch die Einteilung einer standardisiert durchgeführten Lymphdissektion (LD). Die limitierte LD reicht von der fossa obturatoria bis zur iliacalen Bifurkation (sollte Standard sein). Die extendierte LD geht bis zur aortalen Bifurkation und die „super-extended“-Version reicht bis zum Abgang der Art. Mesenterica inf., letztere wird aber nur von wenigen Zentren angeboten. „Bei der Lymphdissektion sollte jedoch nicht nur das Staging, sondern die ganze therapeutische Prozedur im Vordergrund stehen“, sagte Krause. Shariat et al. konnten zeigen, dass das Risiko zu versterben bzw. das Risikos eines Blasenkrebsrezidivs nach Zystektomie mit dem Lymphknotenstadium unabhängig vom T-Stadium zusammenhängt (J Urol 2006;176:2414-22). Lymphdissektion: Was bringt sie? In einem systemischen Literatur-Review bei Patienten, die zu einer Dissektion anstanden, kamen zwei unabhängige Untersucher zu einem Überlebensvorteil bei einer extendierten Lymphadenektomie gegenüber einer Standardprozedur. Einen Überlebensvorteil von sogar bis zu 30 Prozent in zehn Jahren hatten jene mit positiven Lymphknoten (Bruins et al EAU MIBC Guideline 2013 update). Aber wie viele Lymphknoten müssen mindestens entfernt werden, um ein optimales Ergebnis zu bekommen? Koppie TM et al. zeigten, dass die Anzahl der Lymphknoten zwar mit dem Überleben korreliert, jedoch fehlen valide Daten über die Mindestanzahl der zu entfernenden Lymphknoten. Die Autoren definierten zehn bis 15 entfernte Lymphknoten als suffizienten Lymphknoten-Status (Cancer 2006;107:2368-74). Noch gelten also die Anzahl der Lymphknoten als Surrogatparameter für die Qualität der durchgeführten Lymphdissektion. „Es stellt sich die Frage, ob es nicht besser wäre, sich an anatomische Grenzen zu halten“, sagte Krause. Zwei derzeit laufende Studien (German AUO und US SWOG1011 Trial) lassen erste Ergebnisse erst für 2015 bzw. 2020 erwarten, was genügend Zeit für weitere Diskussionen geben wird. OP-Grenzen Vom muskelinvasiven Blasenkarzinom sind Frauen viel häufiger betroffen, während die Inzidenz des Blasenkarzinoms beim Mann fast viermal so häufig ist. Entfernt werden bei der Frau die inneren Genitalien (Cervix/Uterus, Ovarien), die Vaginalvorderwand und Harnröhre, und beim Mann Prostata, Samenblasen, Ductus deferens sowie Harnröhre je nach Lage des Tumors. Nach aktuellen Empfehlungen von der ESMO 2013 sind aber Spielräume vorhanden: Ob die Harnröhre beim Mann belassen wird oder nicht, hängt unter anderem auch von der Lage des Tumors und der gewählten Harnableitung ab. Hingegen soll bei der Frau die Harnröhre mitentfernt werden (ausgenommen Neoblase). Early vs. neoadjuvant Innerhalb von drei Monaten nach Diagnose sollte daher die OP-Planung durchgeführt werden Je länger man zuwartet, desto schlechter wird die Prognose für die Radiochemotherapie nach TUR-B als Alternative zur radikalen Zystektomie, und dies sowohl beim Mann als auch bei der Frau. „Keine aussagekräftigen Daten gibt es zum Thema Blasenteilresektion, weswegen dies meines Erachtens rein experimentellen Status hat “, so Krause. Im klinischen Alltag spielen noch andere Fragen eine Rolle: Kann ich eine neoadjuvante Chemotherapie durchführen, auch wenn der Patient das volle Schema vielleicht nicht verträgt? Spricht der Patient überhaupt auf eine platinhaltige Chemotherapie an bzw. fällt er möglicherweise in ein schlechteres Stadium? Die Auswahl des richtigen Zeitpunkts einer Operation (early, neoadjuvant) wird zukünftig im Fokus stehen. Auch die Zystektomie beim alten Patienten wird in den nächsten Jahrzehnten an Bedeutung gewinnen. „Diese sollte unbedingt kritisch hinterfragt werden, und keinesfalls nur für eine gute Statistik herhalten“, sagt Krause. Quelle: Fortbildungstagung der Österreichischen Gesellschaft für Urologie und Andrologie (ÖGU), 15.-16. November 2013, Linz

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