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Zahnarzt

27.06.2014 | Mundschleimhauterkrankungen

Lichen planus: Tipps zur Diagnose und Therapie

verfasst von: M. Störmer, B. Ehmke, M. Ohlmeier

Die Erstdiagnose des Lichen planus erfolgt meist beim Zahnarzt.

Erkrankungen der Mundschleimhaut sind vielfältig und nehmen mit steigendem Alter der Patienten zu. Relativ häufig tritt der Lichen planus auf, eine Autoimmunerkrankung, deren Erstdiagnose meist aufgrund von Effloreszenzen an der Mundschleimhaut beim Zahnarzt erfolgt. Lesen Sie im Folgenden ein Fallbeispiel mit Tipps zur Diagnose und Therapiemöglichkeiten.

Zur Abklärung einer plötzlich aufgetretenen Rötung ihres Zahnfleisches stellte sich eine 47-jährige Patientin bei ihrem Hauszahnarzt vor, der eine plaqueinduzierte Gingivitis vermutete. Weil sich das klinische Erscheinungsbild durch diverse Therapieansätze (professionelle Zahnreinigung, antimikrobielle Therapie mit Spüllösungen, lokale/systemische Antibiose u.a.) nach anderthalb Jahren nicht wesentlich veränderte, wurde die Patientin an die Poliklinik für Parodontologie des Universitätsklinikums Münster überwiesen.

Eine Auffälligkeit der allgemeinen Anamnese bestand neben einer medikamentös eingestellten Hypertonie und Hashimoto-Thyreoditis in einer Doxycyclin- und Kortisonunverträglichkeit.

Bei der Inspektion ihrer Mundhöhle imponierte die keratinisierte Gingiva generalisiert erythematös und atrophisch. Nach detaillierterer Begutachtung zeigten sich außerdem feine weiße retikuläre Effloreszenzen im Bereich der Gingiva und in der Umschlagfalte 23, 36 und 47. Die Patientin wies ein konservierend-prothetisch suffizient versorgtes Gebiss bei guter Mundhygiene auf (PI < 20%). Die Erhebung des PSI ergab Taschensondierungstiefen bis 3,5 mm und lokalisierter BAS.

Eine gezielte Evaluation subjektiver Parameter zeigte, dass während des oben genannten Zeitraumes die Aufnahme bestimmter Nahrungsmittel ein Mundschleimhautbrennen provozierte. Allgemeinanamnestisch berichtete sie außerdem von seit zwei Jahren rezidiverendem Juckreiz im Genitalbereich, der sich bis dato von gynäkologischer Seite ebenfalls therapieresistent erwies. Ihre Nagelfalze erschienen spröde und narbig verändert.

Resultierend aus dem klinischen Erscheinungsbild und unter Berücksichtigung der Anamnese ergab sich die Verdachtsdiagnose Lichen planus.

Zur Diagnosesicherung wurde unter Lokalanästhesie eine Biopsie aus der Läsion Regio 35 mit ausreichendem Abstand zum Margo gingivae genommen. Die histologische und immunfloureszenzmikroskopische Untersuchung an der Poliklinik für Dermatologie des UKMs bestätigte die klinische Verdachtsdiagnose.

Aufgrund der Kortisonunverträglichkeit wurde die medikamentöse Therapie mit Tacrolismus-Salbe 0,1% (Protopic®) eingeleitet: Die Applikation auf die oralen Läsionen erfolgte in den ersten sechs Monaten zweimal täglich und wurde dann in den folgenden sechs Monaten auf einmal täglich reduziert. Die Therapie des Genitalbereichs wurde durch den betreuenden Gynäkologen durchgeführt. Ein Jahr nach der Erstdiagnose wurde die Tacrolismus-Salbe abgesetzt und die Patientin ist subjektiv beschwerdefrei, was im Einklang mit dem klinischen Erscheinungsbild steht (s. Abb.1).

Der Lichen planus

Der Lichen planus (LP) ist eine chronische T-zellvermittelte mukokutane Autoimmunerkrankung, die sich an der Haut, oraler und genitaler Schleimhaut sowie Hand- und Fußnägeln manifestieren kann. Da die Erstdiagnose meist aufgrund von Effloreszenzen an der Mundschleimhaut erfolgt, sollte besonders der Zahnarzt mit dem Erkrankungsbild vertraut sein.

Die meist spontan auftretende Erkrankung stellt mit einer Prävalenz von 0,1-4% eine der häufigsten Mukodermatosen dar, wobei Frauen mit einem Erkrankungsgipfel zwischen dem 30.-60. Lebensjahr am meisten betroffen sind.

Ätiologie & Pathogenese

Die Ätiologie ist bis zum heutigen Zeitpunkt nicht geklärt. Eine T-Zell vermittelte Autoimmunreaktion wird für die Pathogenese verantwortlich gemacht, bei der es durch eine Modifikation der zellvermittelten Immunantwort zu einer veränderten Antwort auf Autoantigene kommt. Entsprechend imponiert histologisch ein Entzündungsinfiltrat mit aktivierten T-Zellen, die letztlich zur Apoptose der Keratinozyten in der Basalmembran führen. Inwieweit genetische oder sozioökonomische Faktoren wie Stress, Rauchen, Ernährung bei der Erkrankung eine Rolle spielen, wird, ebenso wie eine mögliche Koinzidenz zu Hepatitis C, kontrovers diskutiert.

Orale Manifestation

1968 klassifizierte Andreasen erstmalig den oralen Lichen planus (OLP) in sechs Gruppen basierend auf dem klinischen Erscheinungsbild. Die häufigste Form ist der retikuläre Typ (s. Abb.2). Hier gehen von Papeln weiße, nicht abwischbare retikuläre Streifen aus, die oft bilateral im Planum bukkale zu finden sind und als Wickham’sche Streifung bezeichnet werden.

Bei der papulären Form sind singuläre weiße Papeln erkennbar, die beim Plaque-Typ eher flächenhaft verlaufen. Beim atrophischen Typ zeigen sich neben weißen auch rötliche Mundschleimhautveränderungen. Der zweithäufigste Typ ist der ulzerativ-erosive Typ, der mit schmerzhaften Erosionen einhergeht. Kleine Blasen imponieren beim bullösen Typ, die schnell platzen und so die Mundschleimhaut auch erosiv verändern können.

Alternativ kann der OLP in symptomatisch und asymptomatisch unterteilt werden. Die symptomatische Form tritt häufiger beim erosiven, atrophischen oder bullösen Typ auf und ist mit Schmerzen oder Brennen der Mundschleimhaut assoziiert.

Häufig ist der OLP mit einer desquamativen Gingivitis vergesellschaftet, was eine Rötung, Desquamation und Erosion der attached Gingiva mit überwiegend bukkaler Lokalisation impliziert und meist mit Schmerzen assoziiert ist.

Extraorale Manifestation

Bei einer extraoralen Mitbeteiligung können Kopf- und Körperhaut, Hand- und Fußnägel involviert sein; nicht selten bilden sich aber auch Symptome an der genitalen Schleimhaut aus. Dieses sogenannte vulvovaginal-gingivale Syndrom als Sonderform des erosiven LP wurde erstmalig 1982 von Pelisse beschrieben. Bei etwa 19-25% der Patienten mit oraler Manifestation sind simultan die vulvale und gingivale Schleimhaut befallen.

Diagnose

Die klinische Inspektion sollte sich zunächst auf die Farbe und Ausdehnung der Veränderung konzentrieren. Imponiert die Gingiva generalisiert gerötet, folgt die Evaluation der Plaquemenge. Steht diese im Missverhältnis zum Ausmaß der Entzündung, kann eine rein plaqueinduzierte Gingivitis ausgeschlossen werden. Daraufhin sollte auf erosive Läsionen oder netzartige hyperkeratotische Linien an der keratinisierten Gingiva, Umschlagfalte und Planum buccale geachtet werden, die nicht in Zusammenhang mit mechanischen Traumata stehen. Nicht selten manifestiert sich die typische Wickham´sche Streifung im Planum bukkale bilateral.

Eine Evaluation subjektiver Parameter erweist sich ebenfalls als hilfreich. So berichten Patienten oft über Mundschleimhautbrennen, das durch den Genuss spezieller Nahrungsmittel provoziert wird (scharf, süß-sauer, stark gewürzt). Da in ca. 20% der Fälle auch extraorale Beteiligungen auftreten, sollte standardmäßig gefragt werden, ob der Patient in anderen Arealen wie Gesicht, Kopfhaut, Nägel oder Genitalbereich Veränderungen wie Rötung oder Juckreiz bemerkt.

Eine rautenförmige Probeexzision (ca. 4 - 6mm) aus der Läsion dient dann der immunfluoreszenzmikroskopischen und histopatholgischen Untersuchung. Die Transportlösung ist in der Regel Formalin (Histopathologie) und NaCl (Immunfluoreszenz). Ein Vorschlag für das diagnostische Vorgehen in der Praxis kann der Figur 1 entnommen werden.

Differenzialdiagnose

Der OLP muss nicht zwangsläufig mit der Wickham’schen Streifung einhergehen. So beschränken sich ca. 10% der Läsionen nur auf die Gingiva, so dass die generalisierte Rötung mit einer plaqueinduzierten Gingivitis verwechselt werden kann. Führt aber eine suffiziente Gingivitis-/Parodontitistherapie nicht kurzfristig zur signifikanten Verbesserung, muss eine desquamative Gingivitis als Manifestation einer systemischen Erkrankung in Betracht gezogen werden (Abb.3). Entscheidend ist, dass dies nicht die Diagnose, sondern einen unspezifischen Befund darstellt, der mit mukokutanen Dermatosen assoziiert ist (z.B. Lichen planus, Pemphigoid, Pemphigus vulgaris).

Darüber hinaus müssen differenzialdiagnostisch sogenannte lichenoide Läsionen, Leukoplakien und sämtliche Blasen bildenden Erkrankungen wie Pemphigus vulgaris, Pemphigoid oder lineare IgA-Dermatose abgegrenzt werden.

Prämalignes Potential

Obwohl das prämaligne Potential des OLP in der Literatur zunehmend kontrovers diskutiert wird, hat die WHO den OLP als präkanzerogene Erkrankung eingestuft. Angaben über maligne Transformationsraten schwanken zwischen 0,5-2% innerhalb von fünf Jahren. Aufgrund dieser potentiellen Malignität scheint eine Nachsorge in einem geregelten Intervall sinnvoll, wobei Frequenzempfehlungen variieren (2-4 x jährlich).

Therapie

Aufgrund fehlender kurativer Behandlungsansätze ist das primäre Therapieziel rein symptomatisch und in der Reduktion der Schmerzen und klinischen Läsionen zu sehen.

Als medikamentöse Therapie werden in der Literatur verschiedene Wirkstoffe wie Kortikoide, Calcineurininhibitoren und Retinoide beschrieben. Nach heutigem Stand stellen topische Kortikoide die Mittel der Wahl dar.

Die Problematik des Therapieprotokolls liegt einerseits in der fehlenden Evidenz für Präparat (Clobetasol/Triamcinolon/Fluocinolon), Applikationsart (Salbe/Spüllösung/Spray) und Dosis, andererseits aber auch im individuellen patientenbezogenen Therapieerfolg.

Nach Minderung der Symptome ist die Reduktion des Medikaments auf eine minimale Erhaltungsdosis, sogar der vollständige Verzicht empfehlenswert, da die Behandlung nicht ohne Nebenwirkungen ist. Systemische Nebenwirkungen wie der Hyperkortisonimus werden zwar selten, aber auch in der Literatur erwähnt, wohingegen die orale Candidiasis eine klassische Nebenwirkung darstellt.

Das genaue Therapieprotokoll der Poliklinik für Parodontologie Münster kann der Figur 2 entnommen werden.

In den letzten Jahren wurden für therapieresistente Fälle potente Calcineurininhibitoren wie Tacrolismus propagiert. Literaturangaben zufolge sind sie topischen Kortikoiden nicht überlegen, bieten aber dennoch eine Behandlungsalternative.

Im weiteren Schritt führt die Einstellung einer der Situation angepassten Mundhygiene zu einem zusätzlichen positiven Effekt. Die Einschränkung der häuslichen Pflege kann nämlich gerade bei symptomatischen Formen zu erhöhter Plaqueakkumulation führen, das die Beschwerden triggern und so indirekt das Risiko für eine parodontale Erkrankung erhöhen kann. Die geregelte Nachsorge dient somit nicht nur der Dysplasie-Kontrolle, sondern auch zur Remotivation der häuslichen Mundhygiene.

Bei einem OLP erfolgt die Behandlung durch den Zahnarzt. Sobald allerdings extraorale Stellen involviert sind, gehört die Therapie der betroffenen Patienten vornehmlich in die Hände der Dermatologen, die auch eine orale Therapie einleiten und Empfehlungen für den Zahnarzt aussprechen können.

Korrespondenzadresse:

Dr. Mirjana Störmer

Universitätsklinikum Münster

Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde

Poliklinik für Parodontologie

Albert-Schweitzer-Campus 1,

Waldeyerstrasse 30

48149 Münster

E-Mail:

Mirjana.Stoermer@ukmuenster.de

Der Originalartikel inklusive Literaturangaben ist erschienen in: Der junge Zahnarzt 1/2013, © Springer Verlag

Fazit für die Praxis

• Lichen planus ist eine chronische mukokutane Erkrankung, die prämalignes Potential besitzt

• Erstmanifestation ist oftmals die Mundschleimhaut, extraorale Mitbeteiligung von (Kopf-) Haut, Nägeln und Genitalbereich ist möglich

• Diagnostik in der Regel klinisch und histopathologisch

• Therapie erfolgt symptomatisch mit topischen Kortikoiden und sollte ausgeschlichen werden

• Eine regelmäßige Nachsorge zwei- bis viermal jährlich wird empfohlen

Metadaten
Titel
Lichen planus: Tipps zur Diagnose und Therapie
Publikationsdatum
27.06.2014
Zeitung
Zahnarzt
Ausgabe 7-8/2014

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